Saarbruecker Zeitung

Der türkische Alptraum nimmt kein Ende

Die Behörden in Ankara setzen fast im Wochenrhyt­hmus Deutsche fest, am Sonntag traf es ein Ehepaar. Berlin ist entsetzt – wirkt aber auch hilflos.

- VON NICO POINTNER UND CAN MEREY Produktion dieser Seite: Frauke Scholl Jana Freiberger

BERLIN (dpa) Mittlerwei­le ist die Ratlosigke­it im Auswärtige­n Amt mindestens so groß wie die Empörung. Wenn man nur wüsste, was diese Leute umtreibt, sagt Sprecher Martin Schäfer gestern. „Wir können nur darüber spekuliere­n.“Diese Leute, damit meint er wohl den türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan, Vertreter des Außenminis­teriums in Ankara, die türkischen Behörden. Schon wieder wurden am Sonntag in der Türkei deutsche Staatsbürg­er festgesetz­t. Inzwischen seien auch Deutsche betroffen, „die nichts anderes machen wollten als Urlaub“, sagte Schäfer. „Der Alptraum setzt sich fort.“

Gerade mal etwas mehr als eine Woche ist es her, da wurde ein Ehepaar mit türkischen Wurzeln aus Rheinland-Pfalz im Urlaubsort Antalya festgenomm­en. Diesmal traf es ein deutsches Ehepaar türkischer Abstammung in Istanbul. Sie wurden am Sonntag in Polizeigew­ahrsam genommen. Man müsse davon ausgehen, dass einer der beiden Ehepartner immer noch von der Polizei festgehalt­en werde, sagt Schäfer. Gegen die zweite Person sei eine Ausreisesp­erre verhängt worden. Ob politische Gründe, etwa der Verdacht auf Unterstütz­ung von Terroriste­n oder Putschiste­n, dahinter stehen, weiß man nicht.

Die türkische Regierung verweist immer wieder darauf, dass sich auch Ausländer in der Türkei an die dortigen Gesetze halten müssten – und dass ein deutscher Pass kein Persilsche­in ist, der vor Festnahme schützt. Ankara bemängelt, die Bundesregi­erung zeige kein Verständni­s dafür, wie ernst die Bedrohung der Türkei durch Putschiste­n und Terroriste­n sei. Anschuldig­ungen, Deutsche würden als Faustpfand festgenomm­en, hatte Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin vor wenigen Tagen zurückgewi­esen.

Während Deutsche in der Türkei hinter Gitter kommen, warnt das türkische Außenminis­terium seit Samstag vor Reisen nach Deutschlan­d, wo „fremdenfei­ndliche und rassistisc­he Behandlung“drohe. Darüber müsse man eigentlich schmunzeln – trotz der ernsten Lage, sagt Schäfer. Die deutschen Reisehinwe­ise seien dagegen traurige Realität. In der Türkei seien derzeit mindestens zehn Deutsche wegen politische­r Vorwürfe inhaftiert. Darunter etwa der „Welt“-Korrespond­ent Deniz Yücel, der seit Februar festgehalt­en wird.

Weil Deutsche „willkürlic­h inhaftiert“würden, hat die Bundesregi­erung ihrerseits die Reisehinwe­ise für die Türkei verschärft – aber eine Reisewarnu­ng, die nur für Bürgerkrie­gsländer, gibt es nicht – noch nicht. Zu diesem scharfen Schwert der Diplomatie will die Bundesregi­erung auch nicht nach dem erneuten Vorfall greifen, selbst wenn Grüne und Linke immer lauter darauf pochen. „Wir werden uns nicht dazu hinreisen lassen, Reisehinwe­ise politisch zu missbrauch­en“, sagt Schäfer. Aber wenn Verhaftung­en zu einer „täglichen Routine“würden, könne es soweit kommen.

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