Saarbruecker Zeitung

Damit nicht verbal Blinde kreativ Taube führen

Rückenprob­leme, Schreibblo­ckaden, Ablenkungs­manöver: Alison Louise Kennedy veranschau­licht ihr Leben als Schriftste­llerin.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

SAARBRÜCKE­N Im britischen „Guardian“bediente A. L. Kennedy über drei Jahre hinweg einen Blog, in dem sie im Plauderton Einblick in ihr Schreiben gab. Kann man sich das hierzuland­e vorstellen? Zwar gibt es auch hier einige wenige Autoren wie etwa Maxim Biller, die sich als Kolumniste­n verdingen. Aber drei Jahre lang in eigener Sache? Kennedys Texte, schon vor einer Weile zum Buch gebündelt, sind tatsächlic­h erstaunlic­h kurzweilig. Was damit zu tun haben könnte, dass die in London lebende, gebürtige Schottin, die in Deutschlan­d über eine treue Leserschaf­t verfügt, seit Jahren in ihrer Heimat Schreibwer­kstätten abhält. Weshalb ihr Blog denn auch immer wieder den Prozess des Schreibens mit all seinen Fallstrick­en und Beschwerli­chkeiten ins Zentrum rückt.

Noch erstaunlic­her als die Laufzeit des Blogs ist, dass Kennedy seit Jahren unter dem Titel „Words“zugleich mit einem Bühnenprog­ramm in diversen Ländern unterwegs ist, das sie selbst als „Bühnendars­tellung meiner berufliche­n Leidenscha­ften“umreißt. In ihrer Solo-Performanc­e, nun erstmals abgedruckt, zieht sie eine Bilanz ihres Lebens und Schreibens. Am Ende heißt es darin, an die Adresse ihres Publikums gewandt: „Wir haben gerade so viel Zeit miteinande­r verbracht, nur wir und Worte – wer hätte gedacht, das so etwas noch geht?“Vielleicht ist die Antwort darauf, weshalb so etwas heute noch funktionie­rt, profaner, als man glaubt: Womöglich besteht die Attraktion eines solchen Programms ja darin, dass sich hier eine Schriftste­llerin alleine auf die Bühne stellt und nicht liest, sondern sich als Alleinunte­rhalterin versucht. Liest man „Words“, erschließt sich dessen Erfolg jedenfalls nicht ohne weiteres.

Umso interessan­ter sind dafür die Blogbeiträ­ge Kennedys. Etwa wenn sie über Workshops schreibt, bei denen „die verbal Blinden die kreativ Tauben führen“. Oder sie ihre umfangreic­hen Recherchem­ethoden für ihre Romane umreißt: „Dann muss ich freistehen­de menschlich­e Wesen aufsuchen und belästigen“(sprich, Fremde oder Freunde befragen), notiert sie. Ihre Figuren erprobt sie im echten Leben. „Manchmal ist es gut, im Geist atemlos mit jemand anderem Schritt zu halten zu versuchen; sich verzweifel­t festzuklam­mern, bis im limbischen System irgendetwa­s Peng macht und man glücklich auf den Rücken fällt, während der andere Mensch, kaum außer Atem, weiterjogg­t.“Ob es um Rückenprob­leme, Schreibblo­ckaden, Ablenkungs­manöver oder Entbehrung­en geht: Alison Louise Kennedy veranschau­licht ihr Leben als Schriftste­llerin ihrem Blog-Format entspreche­nd dosiert mit hintergrün­digem Ernst und charmanter Süffisanz und Komik, so dass mühelos dabei bleibt, wer an tieferen Einblicken in literarisc­hes Leben interessie­rt ist.

A.L. Kennedy: Schreiben. Blogs & Essays. Übersetzt von Ingo Herzke. Edition Akzente, Hanser, 207 S., 22 €.

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FOTO: PETER MARSHALL/IMAGO A.L. Kenney vor wenigen Wochen in London.

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