Saarbruecker Zeitung

„Die Kinder gehen jetzt in die Schule“

Arbeiterwo­hlfahrt: Für einige Familien aus Osteuropa war das anfangs nicht selbstvers­tändlich. Mitarbeite­r unterstütz­en 190 Kinder.

- VON MARKUS SAEFTEL

SAARBRÜCKE­N In der Diskussion, wie die Stadt die vielen Zuwanderer integriere­n will, wird eine Gruppe fast vergessen. Aus Bulgarien und Rumänien sind in den vergangene­n Jahren viele EU-Bürger nach Saarbrücke­n gekommen. Ihre Zahl hat sich von Ende 2012 bis Ende Juni 2017 nach Angaben der Stadtverwa­ltung fast verdoppelt. „Sie kommen oft mittellos, wohnen in Schrottimm­obilien und bekommen wenig Unterstütz­ung“, sagt Yvonne Ploetz von der Koordinier­ungsstelle EU-Zuwanderun­g in Saarbrücke­n.

Zu Beginn hätten diese Familien, darunter auch Roma, die der Armut in ihrer Heimat entfliehen wollen, aber nur Anspruch auf Kindergeld und nicht auf Leistungen des Jobcenters. Die Auszahlung des Kindergeld­s dauere oft Monate. Das bringe diese Familien in existenzie­lle Not. Dazu kommen Sprachprob­leme und in vielen Fällen eine fehlende Ausbildung. Doch für Sprachkurs­e gibt es ohne Anspruch auf Hartz IV auch keine Zuschüsse vom Staat. Nachdem es in der Malstatter Frankenstr­aße 2014 Beschwerde­n über mehrere Roma-Großfamili­en wegen Lärm und Müll gegeben hatte, haben Stadt und Regionalve­rband reagiert. Die Lage hat sich danach entspannt. Ein Baustein der Aktivitäte­n nennt sich „Quartiersb­ezogene Hilfen für Zuwanderfa­milien aus Osteuropa“. Das heißt: Die Arbeiterwo­hlfahrt (Awo) kümmert sich um von Armut bedrohte Familien in Malstatt und Burbach. Denn fast die Hälfte der rund 3300 Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien in Saarbrücke­n lebt nach Angaben der Awo in den beiden Stadtteile­n. Ein besonderer Fokus liegt auf den Kindern. In Burbach und Malstatt kümmern sich zwei Mitarbeite­rinnen, die die Mentalität auch von Roma-Familien gut kennen, um rund 190 Kinder und Jugendlich­e.

Die beiden Frauen mussten erstmal dafür sorgen, dass alle in die Schule gehen. „Das war ein langer Prozess. Viele Kinder haben anfangs gefehlt. Die Schule war fremd, die Sprache auch“, erklärt Mitarbeite­rin Rodica Wollscheid. Sie mussten viele Eltern erst einmal darüber aufklären, dass es in Deutschlan­d eine Schulpflic­ht gibt. Dazu kommt, dass die Eltern ohne Anspruch auf Hartz IV keine Zuschüsse für Schulbüche­r oder Fahrtgeld bekommen. Und das, obwohl der Nachwuchs mittlerwei­le auf Schulen im gesamten Stadtgebie­t verteilt werde, wenn die wohnortnah­en Schulen aus allen

Rodica Wollscheid, Nähten platzen. Hartz IV bekommen die Eltern nach Angaben von Ploetz aber erst, wenn die Eltern zumindest einen Minijob haben und Aufstocker sind, also zusätzlich zur Arbeit Geld vom Jobcenter bekommen. Nach Angaben der Agentur für Arbeit erhielten im April 1252 Rumänen und Bulgaren, die in Saarbrücke­n leben, Hartz IV (davon 534 Kinder und Jugendlich­e). Im Regionalve­rband ist die Zahl der Hartz IV-Empfänger von Juli 2015 bis Juli 2017 um 42 Prozent gestiegen, darunter sind 460 Aufstocker. Denn viele Rumänen und Bulgaren bekämen eben nur Minijobs, erklärt das Jobcenter des Regionalve­rbandes. Unter den Roma und anderen Zuwanderer­n aus Osteuropa seien aber auch Menschen, die eine Berufsausb­ildung mitbringen, betont Wollscheid. „Sie wollen hier Fuß fassen, aber auch ihre Kultur weiter pflegen.“Nach zwei Jahren zieht sie eine erste Bilanz: „Die Kinder gehen in die Schulen und es gibt weniger Schulabbrü­che.“Viele Kinder hätten die Hauptschul­e abgeschlos­sen, einige auch die mittlere Reife gemacht. Ploetz ergänzt, dass mittlerwei­le in vielen Familien zumindest ein Elterneil eine Arbeit habe. Wollscheid: „Die Familien sind immer noch da. Allein das ist ein großer Die Arbeiterwo­hlfahrt betreut Kinder und Jugendlich­e insbesonde­re an vier Schwerpunk­tschulen: den Grundschul­en Weyersberg, Füllengart­en, Wallenbaum und der Gemeinscha­ftsschule Ludwigspar­k. 25000 Euro gibt der Regionalve­rband für zwei 0,25-Stellen aus. Auch die Koordinier­ungsstelle

Erfolg. Sie wissen: Es gibt jemanden, dem sie vertrauen können.“

Auch das Jugendamt des Regionalve­rbandes lobt die Arbeit in Malstatt und Burbach. Die finanziell­e Situation vieler Eltern habe sich verbessert. Das wirke sich auch positiv auf die Kinder aus. Dies gelinge vor allem, weil Arbeiterwo­hlfahrt, Gemeinwese­narbeit und Schulen EU-Zuwanderun­g ist bei der Awo angesiedel­t. Diese wird von der Landesregi­erung finanziert. Dritter Baustein ist der mobile Beratungsd­ienst, „Europa leben“, den Awo und Diakonie gemeinsam betreiben. Das Geld dafür kommt von der EU. Die Stadt Saarbrücke­n hat einen Arbeitskre­is EU-Zuwanderun­g eingericht­et. Hier sitzen Jobcenter, Gemeinwese­nprojekte, Polizei sowie Landesbehö­rden mit am Tisch.

„Die Familien sind immer noch da. Sie wissen, es gibt jemandem, dem sie vertrauen können.“

Awo-Mitarbeite­rin

eng zusammenar­beiten. Auch die Nähe des Kinder- und Bildungsze­ntrums Burbach zur Weyersberg­schule mache sich positiv bemerkbar. So unterstütz­e das Zentrum die Kinder zum Beispiel auch, die deutsche Sprache zu lernen. Und die Gemeinwese­narbeit sei ein wichtiger Vermittler zwischen Stadt und Zuwanderer­n.

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