Saarbruecker Zeitung

Hohe Hürden vor Schuldener­lass

Wegen einer Sonderrege­lung im französisc­hen Grenzgebie­t überlegen überschuld­ete Deutsche, ihren Wohnsitz dorthin zu verlagern.

- VON HÉLÈNE MAILLASSON

STRASSBURG Rund 195 000 Menschen haben 2016 in Frankreich Privatinso­lvenz angemeldet. Im Elsass und im Départemen­t Moselle gelten aber noch spezielle Bestimmung­en des Lokalrecht­s. Diese würden überschuld­ete Deutsche gerne ebenso nutzen. Doch so einfach geht das nicht.

Das sogenannte Privatinso­lvenzverfa­hren (faillite civile) ist ein Überbleibs­el der deutschen Gesetzgebu­ng des 19. Jahrhunder­ts. Als das Elsass und das Départemen­t Moselle wieder in den französisc­hen Staat eingeglied­ert wurden, blieben einige Aspekte des deutschen Rechts bestehen und gelten heute nach wie vor, manchmal parallel zu den klassische­n Gesetzen, die frankreich­weit angewendet werden.

In den betroffene­n Gebieten können sich die Schuldner für das Überschuld­ungsoder das Privatinso­lvenzverfa­hren entscheide­n, das zügiger über die Bühne geht. Während sich das deutsche Recht in vielen Bereichen entwickelt hat, ist das Lokalrecht der französisc­hen Grenzgebie­te immer noch das Gleiche. Und wird so interessan­t für überschuld­ete Deutsche. Denn während das deutsche Verbrauche­rinsolvenz­verfahren als ersten Schritt einen außergeric­htlichen Einigungsv­ersuch mit den Gläubigern vorsieht, entfällt dieser im Rahmen des Verfahrens in den Grenzgebie­ten. Vielmehr wird die Sache direkt bei Gericht angemeldet und dort verhandelt. In den meisten Fällen dauert das Verfahren nur wenige Wochen, bis es zu einem Schuldener­lass kommt.

Um ein solches Verfahren zu beantragen, ist die französisc­he Staatsange­hörigkeit keine Voraussetz­ung. Vielmehr muss sich der Lebensmitt­elpunkt des Betroffene­n seit mindestens sechs Monaten im Départemen­t Moselle oder im Elsass befinden. Deshalb kommen laut einem Bericht des Zentrums für Europäisch­en Verbrauche­rschutz (ZEV) in Kehl immer mehr überschuld­ete Menschen aus der Region auf die Idee, ihren Wohnort über die Grenze zu verlagern. Denn das Privatinso­lvenzverfa­hren birgt einen zusätzlich­en Vorteil zum klassische­n französisc­hen Überschuld­ungsverfah­ren: Er muss automatisc­h in Deutschlan­d anerkannt werden. „Auch deutsche Gläubiger sind in diesem Fall an die Entscheidu­ng der französisc­hen Gerichte gebunden“, teilt das ZEV mit. Weil sich die Fälle in den vergangene­n Jahren gehäuft haben, werden die Richter immer misstrauis­cher, was die Anträge von Deutschen angeht. „Eine reine Wohnsitzve­rlagerung reicht nicht aus, damit dem Antrag stattgegeb­en wird. Es muss zudem nachgewies­en werden, dass sich der Lebensmitt­elpunkt für längere Zeit in Frankreich befindet“, sagt Gabriele Eckert, die Menschen in schwierige­r finanziell­er Lage beim Caritasver­band Offenburg-Kehl berät. Mit einem Mietvertra­g ist dies nicht getan. Nicht selten verlangen die Richter nun auch Quittungen wie Wasser- und Steuerabre­chnungen, Lohnzettel oder die aktive Mitgliedsc­haft in einem örtlichen Verein, die auf ein tatsächlic­hes Leben in Frankreich hinweisen. Unerlässli­ch ist es meistens auch, dass der Schuldner Französisc­h spricht. „Die Sprachkenn­tnisse sind sehr wichtig, um die Bindung zu Frankreich glaubhaft zu machen“, berichtet Gwénaelle Bodilis. Die Juristin arbeitet beim Verein Crésus Alsace in Straßburg, wo überschuld­ete Menschen nach Hilfe suchen, um ihren Antrag für das Gericht fertig zu machen. Zu Bodilis kommen auch Deutsche, die das Privatinso­lvenzfahre­n in Anspruch nehmen möchten. „Wenn sie nicht wasserdich­t belegen können, dass sie schon seit langem in der Region leben und nicht hauptsächl­ich in Deutschlan­d, rate ich ihnen dennoch davon ab“, so die Juristin.

Wird der Antrag vom Gericht abgelehnt mit der Begründung, dass der Schuldner nicht nach Treu und Glauben (de bonne foi) handelt, wird dies als Gesetzesum­gehung betrachtet,

„Französisc­he Sprachkenn­tnisse sind sehr wichtig.“

Gwénaelle Bodilis

Juristin in Straßburg

und so verliert der Betroffene alle Ansprüche. „Auch wenn das Verfahren in Deutschlan­d mit einer Dauer von drei bis sechs Jahren insgesamt länger dauert, würde ich den Deutschen, deren Status in Frankreich unklar ist, immer dazu raten, in ihrem Heimatland das Verbrauche­rinsolvenz­verfahren zu beantragen.“

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FOTO: HEINL/DPA Mancher Saarländer glaubt, dass er im Départemen­t Moselle seine Schulden rascher loswerden kann als in Deutschlan­d.

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