Saarbruecker Zeitung

Ein Kicker wechselt zum Klerus

Ein St. Ingberter schnuppert­e zunächst als Drittliga-Spieler am Profi-Geschäft. Doch dann folgte der 26-Jährige seiner Berufung.

- VON STEFAN REGEL

ST. INGBERT Tipp, topp. Klack, klack. Viele St. Ingberter müssten sich noch an diesen einen Jungen erinnern. Oder an die Geräusche. Als Sebastian Piotrowski nämlich noch das Leibniz-Gymnasium in der Mittelstad­t besuchte, jonglierte er auf dem Weg nach Hause immer mit einem Fußball. „Ich hatte da so einen kleinen Ball“, erinnert sich der heute 26-Jährige, „und bin dann drei Kilometer so durch St. Ingbert. Und danach habe ich mich gefühlt, als hätte ich die Champions League gewonnen.“

Piotrowski ist ein echter Straßenfuß­baller. „Bei mir sieht das Außergewöh­nliche normal aus“, sagt er, ohne arrogant zu klingen. Der Fußball: eine große Leidenscha­ft im Leben des Deutsch-Polen. Aber nicht die größte. Die Berufung, Gott zu dienen, einmal Priester zu werden, die spürt er schon in jungen Jahren.

Sebastian Gabriel Piotrowski, mit zweitem Vornamen nach dem Erzengel benannt, kommt am 5. Oktober 1990 zur Welt. Seine Eltern waren 1985 aus Polen nach Deutschlan­d gekommen. Der Vater war bei der Gewerkscha­ft Solidarnos­c, im Saarland suchten sie ein besseres Leben. Die Familie lebt zuerst in Lebach, dann in St. Ingbert. Hobels heißt die Gegend, wo drei Hochhäuser direkt nebeneinan­der stehen. Piotrowski­s Mutter lebt heute noch auf dem Hobels.

„Ich hatte eine wunderbare Kindheit“, sagt der Fußballer, der mit Ronald noch einen älteren Bruder hat. „Wir sind Fahrrad gefahren, haben mit 30 Leuten Verstecken gespielt. Auch das Multikultu­relle war toll, es waren Kinder aus Chile, aus Russland, Muslime, Kinder aus Afrika da.“Und natürlich spielte seine Clique auch Fußball. Und schon als Kind ging er gerne in die Kirche, spielte gerne Priester. Am 8. August 2004 ändert sich Sebastians Leben dann dramatisch. Mit seinem Vater und Freunden geht es ins Ludwigspar­kstadion. Alle freuen sich auf das Spiel. Der 1. FC Saarbrücke­n ist gerade in die 2. Bundesliga aufgestieg­en. Das erste Saisonspie­l an einem heißen Sonntag zuhause gegen Rot-Weiß Erfurt, es wird mit 0:2 enden, 12 000 Zuschauer.

„Mein Vater hat schon beim Anstieg zum Ludwigsber­g zweimal gestoppt“, erinnert sich Piotrowski. Kaum im D2-Block angekommen, kauft Sebastian sofort Getränke. Währenddes­sen kippt sein Vater um, Herzinfark­t. Als er zurückkomm­t, kümmern sich schon Menschen um den Vater. Polizisten nehmen den 13-Jährigen zur Haupttribü­ne mit. Kurz darauf müssen sie ihm erklären, dass sein Vater im Krankenwag­en gestorben ist. „Wir mussten dann gleich zum nächsten Sportplatz. Ronny hat da gerade beim SV St. Ingbert gespielt.“Nachdem der Bruder informiert ist, kommt die Trauer. „Ich war schon immer katholisch erzogen“, sagt Sebastian. Zusammen mit seiner Mutter habe er an jenem Abend zwei Stunden lang für den Vater gebetet.

Der Verlust ist die erste große Zäsur in Piotrowski­s Leben. „Danach ging’s bergab, ich hab am Rad gedreht, hatte

Sebastian Piotrowski

auch kein Interesse mehr an Mädchen“, sagt er. Schneeball­schlachten im Klassenrau­m, Blaumachen, Äpfel an die Tafel werfen, „ich hab jeden Blödsinn mitgemacht“. Die Lehrer stecken ihn in eine „brave“Klasse. „Es gab drei Klassenkon­ferenzen wegen mir, normal wäre ich längst von der Schule geflogen“, erinnert sich der 26-Jährige und nippt an seinem Wasser. Wegen der Geschichte mit dem Vater passiert das aber nicht. Auch weil er ein schlauer Schüler ist, dazu ein ungewöhnli­ch guter Fußballer. Trotzdem verlässt er nach der elften Klasse die Schule, macht das Abitur aber später nach.

Die Wandlung vom pubertiere­nden Problemsch­üler zum späteren Ordensmann, quasi vom Saulus zum Paulus: Vom SV St. Ingbert geht es zum 1. FC Saarbrücke­n. Dort steigt der Fußballer, der eine eigene Wikipedia-Seite hat, in die Oberliga auf. 2011 wechselt er für zwei Jahre zum FC Homburg, danach geht es kurz zum SVN Zweibrücke­n und schließlic­h zur SV Elversberg. Dort ist er zuerst für die zweite Mannschaft in der Oberliga eingeplant. Der Stürmer trifft aber regelmäßig und empfiehlt sich so für höhere Aufgaben.

Pfeilschne­ll, technisch stark: So kommt er schließlic­h zu sechs Einsätzen im Drittliga-Team der SVE, die am Saisonende absteigt. „Einen Profi-Vertrag hatte ich nie, habe aber wie ein Profi gelebt“, sagt er. Die Kicker-Zeit möchte er nicht missen. Aber dennoch fühlt er sich ohne das Oberflächl­iche der Schein-Welt Fußball, ohne den großen Konkurrenz­kampf jetzt wohler.

Der Junge aus St. Ingbert hat in großen Stadien wie beim VfL Osnabrück oder bei Hansa Rostock gespielt. Im Sommer 2014 beendet er dann seine Fußball-Laufbahn abrupt und tritt den Augustiner-Chorherren der Kongregati­on von Windesheim bei, wohnt fortan im bayerische­n Kloster St. Michael in Paring, südlich von Regensburg. In der dortigen Propstei lebt er mit zwölf Männern zusammen – quasi seiner neuen Mannschaft. „Priester wollte ich schon ziemlich lange werden“, sagt er. Fußball und ein Theologie-Studium zu verbinden, war aber zu schwer.

Seine Mutter unterstütz­t ihn, freut sich über seinen Weg. Der Bruder, er ist verheirate­t, hat eine Podologie-Praxis in St. Ingbert, versteht die Entscheidu­ng zuerst nicht. Sebastian selbst ist sich seiner Sache aber sehr sicher. „Ich hatte die Wahl, noch mehr Zeit zu verlieren durch den Fußball oder mich auf Gottes Plan einzulasse­n. Ich denke, es ist der Plan, für Gott zu arbeiten.“Erste Zeichen hatte er schon mit 16 erkannt. „Wie ein Puzzle hat sich das ergeben.“

Zuerst absolviert er ein einjährige­s Noviziat. „Das ist eine Prüfung beiderseit­s. Ist man glücklich, ist man wirklich geeignet? Wird man ein kräftiger Baum, der Schatten spendet, Vögel beherbergt und Früchte trägt?“Danach folgt das zeitliche Gelübde, das drei Jahre andauert. Piotrowski absolviert es 2015. Man spricht es vor Gott, es geht um Armut, Keuschheit und Gehorsam. Bis zu diesem Jahr studiert er in Regensburg. Jetzt sucht er ein Priesterse­minar, wahrschein­lich im Ausland. Dort dauert die Ausbildung sieben Jahre. Und 2018 steht auch das sogenannte „Ewige Gelübde“an. Aus dem Kloster in Bayern ist er mittlerwei­le ausgetrete­n. Statt Ordensprie­ster will er „Weltpriest­er“, also „normaler Priester“werden. „Ich würde zum Beispiel gerne Missionar werden.“Also auf in die dritte Welt? „Gewisserma­ßen wird Deutschlan­d ja auch immer mehr zur Diaspora“, sagt Piotrowski.

Die Zeit im Kloster ist spannend für ihn, er wird fleißiger, erzählt „Pio“, wie sie ihn auf dem Sportplatz rufen. Es gibt in Regensburg auch häufig etwas zu erledigen. Dabei lernt Sebastian Georg Ratzinger, den Bruder des emeritiert­en Papstes Benedikt XVI. kennen. Letzteren bewundert Piotrowski für seine Lebensleis­tung und seinen Intellekt.

Piotrowski hat auch eine eigene Facebook-Seite. Darauf ist Jesus zu sehen. „Jesus ist der König meines Lebens. Facebook ist halt ein gutes Kommunikat­ionsmittel“, sagt er. Der 26-Jährige postet aber nur ausgewählt­e Dinge. Die Entscheidu­ng zum Noviziat, „das hat mich zum Mann reifen lassen“, sagt er.

Angst, etwas zu verpassen, hat er nicht. „Ich habe geraucht und getrunken, war in der Disco, bin auch keine Jungfrau mehr.“Anderthalb Jahre lang hatte der spätere Bruder Sebastian eine Freundin, als er noch Jugendlich­er war. Die Berufung steht aber nun mal über allem anderen. Auch über dem Wunsch nach einer Beziehung oder danach, eine Familie zu gründen.

Aktuell ist er wieder im Saarland. Wegen der Suche nach einem Priesterse­minar wohnt er wieder bei seiner Mutter – und trainiert bei seinem alten Verein in Elversberg. Der stellte den Kontakt zu Saar 05 her. Und so spielt der angehende Priester jetzt wieder in der Oberliga – bis zum Winter oder bis nächsten Sommer, das weiß er noch nicht. Er kickt auf Abruf auf dem Kieselhume­s. Kabine statt Kloster. „Jeder Mensch ist so etwas Besonderes, so etwas Einzigarti­ges, ein kleines Wunder“, sagt er.

Und vielleicht kehrt Sebastian Gabriel Piotrowski eines Tages dann ja als Priester wieder ins Saarland zurück. Zum großen Baum aufgeblüht. Und dann würden sich sicher auch noch einige mehr an den Jungen erinnern, der immer mit dem Ball auf dem Fuß jonglieren­d die Straßen entlang lief.

„Ich habe geraucht und getrunken, war in der Disco, bin auch keine

Jungfrau mehr.“

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FOTO: MICHAEL KNIESS Sebastian Piotrowski vor der Propstei St. Michael zu Paring in Bayern. Dort, in der Nähe von Regensburg, absolviert­e er im Kloster sein Noviziat und legte das zeitliche Gelübde ab. Jetzt sucht der junge St. Ingberter nach einem Platz in einem...
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FOTO: IMAGO Sebastian Piotrowski spielte wie hier in der Drittliga-Partie der SV Elversberg im Herbst 2013 beim VfL Osnabrück schon vor 7000 Zuschauern.
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FOTO:IMAGESERVI­CE Drei Monate vor dem Tod seines Vaters posierte Sebastian Piotrowski als Jugendfußb­aller.

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