„In den ersten Monaten hatte ich fast jede Nacht Albträume“
Er könnte auch tot sein: Der Überlebende Parviz Dastmalchi über den Mykonos-Anschlag vor 25 Jahren und Irans Staatsterrorismus.
BERLIN Vor 25 Jahren, am Abend des 17. September 1992, drang ein vom Iran beauftragtes Kommando in das Berliner Lokal „Mykonos“ein und ermordete dort vier von acht iranischen Oppositionellen. Parviz Dastmalchi hat den bislang schwersten Fall von Staatsterrorismus in Deutschland überlebt.
Wieso konnten Sie den Anschlag überleben?
DASTMALCHI Ich sah den MP-Schützen für den Bruchteil einer Sekunde früher als die anderen und sprang instinktiv nach hinten unter einen Tisch. Fast gleichzeitig sprang der Europavertreter der Kurdischen Demokratischen Partei Irans auch unter den gleichen Tisch, aber schon von vier Kugeln getroffen, eine direkt ins Herz. Sein Mund war voller Blut.
Wie sind Sie hinterher mit diesem Trauma umgegangen?
DASTMALCHI Anfangs war es sehr schwierig. In den ersten sechs Monaten hatte ich fast jede Nacht Albträume. Ich habe viel darüber gesprochen und geschrieben. Meine politische Arbeit hat mir auch geholfen.
Wofür kämpfen Sie und die Männer, die damals starben?
DASTMALCHI Ich kämpfe ich für Demokratie, Gerechtigkeit und Menschenrechte. Im Iran haben wir es mit einem totalitären Gottesstaat zu tun. Eine schiitische Version des IS, könnte man sagen. Die Männer, die damals starben, verfolgten dieselben politischen Ziele wie ich.
Wann war Ihnen klar, dass der Iran hinter dem Anschlag steckte?
DASTMALCHI Von Anfang an vermutete ich den iranischen Geheimdienst als Drahtzieher. Er hatte bis dahin schon mehrere Oppositionelle in Deutschland und anderen europäischen Ländern ermordet.
Hatten Sie den Eindruck, dass die deutschen Behörden das vertuschen wollten?
DASTMALCHI Nach dem Anschlag sprach ich hier in Berlin mit einigen Politikern. Sie sagten: Herr Dastmalchi, dass der Iran hinter dem Attentat steht, das wissen doch alle, aber wir können öffentlich darüber nicht reden, weil es zu einem politischen Erdbeben führen würde. Die Ermittler wussten schon nach zwei Wochen, dass mindestens eine der Tatwaffen aus dem Iran kam, dass es also Staatsterrorismus war. Aber sie schwiegen acht Monate lang. Es gab jedoch auch sehr mutige Vertreter der Justiz. Zum Beispiel den Richter beim Mykonos-Prozess, Frithjof Kubsch, und den Vertreter des Generalbundesanwalts, Bruno Jost.
Der damalige SPD-Bundestagsabgeordnete Otto Schily hat die Angehörigen eines der Opfer in dem Prozess vertreten. Wie kam es dazu?
DASTMALCHI Ein paar Tage nach dem Attentat besuchte ich ihn unangemeldet in seiner Kanzlei. Er hatte natürlich von dem Anschlag gehört. Nach ein paar Fragen akzeptierte er meine Bitte, die Familie zu vertreten. Beim Gehen, fragte ich ihn nach seinem Honorar. Er sagte: Herr Dastmalchi, Sie können mein Honorar nicht bezahlen. Ich mache es für die iranische demokratische Opposition. Zahlen Sie nur die Gerichtsgebühren. Ich fand es total toll.
Die damals verurteilten vier Täter sind heute alle wieder frei. Wie empfinden Sie das?
DASTMALCHI Kazem Darabi, einer der beiden Hauptangeklagten, ist nach seiner Freilassung auf dem Teheraner Flughafen von hochrangigen Regierungsvertretern mit viel Lob offiziell empfangen worden. Er sitzt heute im Libanon und treibt sein terroristisches Unwesen weiter. Wie sollen wir uns dabei fühlen?
Hat der Iran aus dem Prozess damals gelernt?
DASTMALCHI Wohl nur teilweise. Im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass der Iran den Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe, ausgespäht hat. Wahrscheinlich, um ihn im Fall eines direkten Konflikts mit Israel aus Rache angreifen zu können. Andererseits ist seit der Urteilsverkündung im April 1997 keiner von uns Oppositionellen in Europa ermordet worden.