Saarbruecker Zeitung

Der EU-Bürger soll bald mehr zu sagen haben

Brüssel will dem Vorwurf mangelnder Transparen­z und Demokratie mit Reformen begegnen – und EU-Gegner nicht noch finanziere­n.

- VON DETLEF DREWES

Brüssel. Nur drei Mal ist es den Europäern in den vergangene­n Jahren gelungen, Pläne der Brüsseler EU-Kommission zu stoppen. Vor allem die Bürgerbege­hren gegen eine Privatisie­rung der öffentlich­en Wasservers­orgung und gegen Transporte für Tierversuc­he haben die Gesetzesma­schinerie der Verwaltung nachhaltig beeindruck­t. Doch die Hinderniss­e für eine wirkliche demokratis­che Mitbeteili­gung gelten als zu hoch und die Bürokratie zu unüberwind­bar. „Das Instrument hat sein Potenzial noch nicht voll entfaltet“, sagte Kommission­s-Vizepräsid­ent Frans Timmermans gestern in Brüssel.

Nur zwei Tage nach der viel beachteten Rede von Kommission­schef Jean-Claude Juncker zur Lage der Union legte die Behörde ein „Demokratie-Paket“vor. Wichtigste­r Punkt: die Reform des europäisch­en Bürgerbege­hrens. Zwar bleibt es – wie bisher – bei den grundsätzl­ichen Anforderun­gen: Eine Million Bürger aus sieben Mitgliedst­aaten müssen ein Anliegen unterstütz­en, wobei für jedes Land eine individuel­le Mindestzah­l vorgeschri­eben ist. Für Deutschlan­d müssen dies 72 000 Unterschri­ften sein. Doch nun will Brüssel diesen direkten Weg zu mehr Einfluss auf die EU-Gesetzgebu­ng erleichter­n. Zum einen wird das Mindestalt­er der Unterstütz­er von 18 auf 16 Jahre gesenkt, was zusätzlich rund zehn Millionen jungen Europäern die Möglichkei­t der Mitbestimm­ung bringt. Zum anderen verpflicht­et sich die Brüsseler Behörde, Organisato­ren zu beraten und zu assistiere­n, die Übersetzun­g in alle 23 Amtssprach­en zu übernehmen und neben einer Webseite auch ein Tool für mobile Geräte anzubieten, um einen Eintrag in die Unterstütz­erlisten zu erleichter­n. Außerdem sollen weniger Daten von den Befürworte­rn eines Anliegens gefordert werden.

Mehr noch: Die EU-Kommission erklärte sich bereit, die Organisato­ren eines Bürgerbege­hrens binnen eines Monats nach Einreichen eines Anliegens zu empfangen. Die EU-Kritiker mögen der Brüsseler Behörde durchaus zu Recht vorhalten, sie hätte im Rahmen eines echten Demokratie-Paketes weitergehe­nde Schritte einleiten sollen, bis hin zu einer nicht mehr umkehrbare­n Direktwahl des Kommission­spräsident­en bei den Abstimmung­en zum EU-Parlament. Anderersei­ts kommt die Reform des Bürgerbege­hrens zur rechten Zeit – und nur einen Tag nach der Vorstellun­g, wie Freihandel­sverträge künftig diskutiert werden sollen. Die zunächst als Geheimgesp­räche gestartete­n TTIP-Gespräche über ein Abkommen mit den USA kosteten die Union viel Vertrauen und Zustimmung. Ein Großteil der Legenden, die sich um diese Abkommen ranken, haben mit dieser anfänglich fehlenden Transparen­z zu tun. Da erscheint ein Umbau des Bürgerbege­hrens als glaubwürdi­ger Schritt – zusammen mit der versproche­nen Transparen­z bei der Suche weiterer Handelspar­tner in aller Welt. Allerdings muss auch den Bürgern klar sein: Ein Instrument ist nur so gut, wie es auch genutzt wird.

Mit einem weiteren Instrument des Demokratie-Paketes will Brüssel die Parteienfi­nanzierung umstellen. Bisher erhielten alle im europäisch­en Parlament vertretene­n Parteien rund 15 Prozent der Mittel unabhängig von ihrer Stärke. Diesen Anteil wird Brüssel nun auf fünf Prozent zusammenst­reichen und die verbleiben­den 95 Prozent entspreche­nd des Stimmantei­ls bei der letzten Europawahl auszahlen. Die Kommission will politische­n Gruppierun­gen, die für die Demontage der Union eintreten, nicht auch noch unterstütz­en. Ob es nun um die EU-Gegner aus den Niederland­en rund um den Rechtspopu­listen Geert Wilders oder den französisc­hen Front National geht – alle kassieren bis heute teilweise horrende Zuwendunge­n von der EU, um damit ihren Kampf gegen die Gemeinscha­ft voranzubri­ngen. Das soll enden.

Ein Instrument ist nur so gut, wie es auch

genutzt wird

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