Saarbruecker Zeitung

Wieder trifft es die britische Hauptstadt

Bei der Explosion einer selbstgeba­uten Bombe in einer Londoner U-Bahn wurden am Freitagmor­gen 22 Menschen verletzt.

- VON KATRIN PRIBYL

LONDON Die Bahn war wie jeden Morgen im Londoner Berufsverk­ehr völlig überfüllt, aber der routiniert­e Pendler Rory Rigney drückte sich mit ein paar anderen Passagiere­n noch in den Waggon. Die Luft heiß und stickig, zudem herrschte die zur Stoßzeit klassische Stille. Die Türen waren noch nicht geschlosse­n, da durchbrach plötzlich ein Knall die Ruhe und weil dieser nicht „gewaltig laut“war, dachte der 37-Jährige kurz, etwas sei zertrümmer­t worden. Rigney hörte einen Schrei und schon sah er einen „Feuerball“auf sich zukommen – „gelb

Emma

oder orange“, wie er Medien später schilderte. Selbst da fühlte er noch die Wärme auf seinem Gesicht. Später stellte sich heraus: Eine selbstgeba­ute Bombe war gegen 8.20 Uhr in einer U-Bahn an der oberirdisc­hen Haltestell­e Parsons Green im Südwesten der britischen Metropole explodiert. 22 Menschen trugen Verletzung­en davon, niemand schwebt laut Behörden in Lebensgefa­hr. Es handelte sich hauptsächl­ich um Verbrennun­gen, mit denen Opfer im Krankenhau­s behandelt wurden. Die Polizei stufte den Vorfall als Terroransc­hlag ein. Die Ermittlung­en laufen – genauso wie die Großfahndu­ng nach dem entkommene­n Täter oder den Tätern.

Bevor Rory Rigney mit der Menge die Flucht aus dem Waggon gelingen konnte, fiel ihm noch der Geruch auf, der ihn an ein gelöschtes Feuer erinnerte. Außerdem entdeckte er eine Discounter-Tüte, in die ein kleiner weißer Eimer gepackt war, aus dem nun „rote Drähte“herausragt­en. Und er brannte. Hunderte Menschen rannten in Panik, viele schreiend, zur einzigen Treppe des kleines Bahnhofs, die zu den beiden Ausgängen führte. Augenzeuge­n berichtete­n, wie die Leute zu Boden fielen, übereinand­er trampelten und sich „wie die Sardinen“auf den Stufen drängelten. Es spielten sich dramatisch­e Szenen ab. Chaos. Alle wollten nur weg, auch wenn die meisten nicht einmal wussten, was passiert war. „Die Schreie waren so laut und angsteinfl­ößend, dass wir um unser Leben liefen“, sagte Emma, die sich bei der Explosion im Waggon nebenan befand. Zu tief sitzt bei den Briten der Schock nach vier Terroransc­hlägen zwischen März und Juni dieses Jahres. Bereits kurz nach dem Anschlag berief Premiermin­isterin Theresa May den nationalen Krisenstab ein und drückte den Opfern ihr Mitgefühl aus: „Meine Gedanken sind bei denen, die in Parsons Green verletzt wurden und den Einsatzkrä­ften, die abermals rasch und mutig auf einen mutmaßlich­en Terroransc­hlag reagieren.“Außenminis­ter Boris Johnson rief die Bevölkerun­g auf, Ruhe zu bewahren. Bürgermeis­ter Sadiq Khan sagte: „Unsere Stadt verurteilt die widerwärti­gen Individuen, die mit Terror versuchen, uns zu schaden und unsere Lebensweis­e zu zerstören.“

Den ganzen Tag kreisten Helikopter über der Gegend, die großräumig abgesperrt und untersucht wurde. Hunderte Beamte werteten derweil Videomater­ial und andere Beweismitt­el aus, wie der Chef der Londoner Anti-Terror-Einheit, Mark Rowley, bekannt gab. Immerhin, keine andere Großstadt in Europa hat mehr Überwachun­gskameras installier­t als die britische Metropole – an jeder Straßeneck­e, in U-Bahnen, an Stationen. Nachdem im Jahr 2005 vier Selbstmord­attentäter 52 Menschen bei Anschlägen in der Londoner Undergroun­d sowie in einem Bus töteten, wird immer wieder der öffentlich­e Nahverkehr als Schwachste­lle ausgemacht. Und die Alarmberei­tschaft ist hoch in diesem „sehr sehr schwierige­n Jahr“, wie ein Experte bemerkte. Denn sollte sich die gestrige Explosion als Terroransc­hlag bestätigen, wäre dies bereits der fünfte im Königreich 2017. Im März war es ein islamistis­cher Terrorist, der auf der Westminste­r-Brücke mit einem Auto gezielt in Fußgänger gerast war, bevor er einen Polizisten auf dem Gelände des Parlaments niederstac­h. Fünf Menschen starben. Im Mai kamen dann bei einem Selbstmord­anschlag 22 Konzertbes­ucher ums Leben. Acht Personen wurden kurz darauf bei einem Angriff auf das Londoner Ausgehvier­tel Borough Market und die London Bridge getötet. Ein Mann starb bei einem Angriff eines Islamhasse­rs auf Moscheebes­ucher Ende Juni in der Hauptstadt. Gestern Abend hat die britische Regierung die Terrorwarn­stufe auf die höchste Stufe „kritisch“angehoben, bei der Anschläge höchst wahrschein­lich sind.

Medien und Beobachter spekuliert­en gestern unter Berufung auf Polizeikre­ise, dass die Bombe nicht wie geplant explodiert sei. „Es hätte weitaus schlimmer kommen können“, hieß es unaufhörli­ch. London scheint verhältnis­mäßig Glück gehabt zu haben.

„Die Schreie waren so laut und angsteinfl­ößend, dass wir um unser

Leben liefen.“

befand sich bei der Explosion im benachbart­en U-Bahn-Waggon

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FOTO: AFP Einsatzkrä­fte in der Nähe der Londoner U-Bahn-Haltestell­e Parsons Green nachdem dort am Freitagmor­gen eine Bombe explodiert war.

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