Saarbruecker Zeitung

Bei VW haben die Juristen das Sagen

Zwei Jahre nach dem Beginn des VW-Skandals hat der Wolfsburge­r Autokonzer­n noch zahlreiche juristisch­e Baustellen.

- VON JAN PETERMANN

BERLIN/WOLFSBURG (dpa) Es ist und bleibt ein juristisch­er Großkampf an mehreren Fronten, selbst wenn es zuletzt hier und da ein wenig voranging. Vor zwei Jahren begann der VW-Skandal, im Laufe der Zeit weitete sich „Dieselgate“zu einer Vertrauens­krise für die gesamte Autobranch­e aus. Die Wolfsburge­r haben rechtlich viel um die Ohren:

Zivilklage­n: Viele Autobesitz­er, die einen manipulier­ten Diesel aus der VW-Gruppe fahren, verlangen auch in Deutschlan­d und Europa Entschädig­ung. In den USA erreichte der Konzern für Hunderttau­sende betroffene Autos einen Vergleich – allein bei den 2,0-Liter-Wagen kostet VW das 14,7 Milliarden Dollar. Händler und US-Bundesstaa­ten klagten ebenfalls. Auch ein Vergleich für größere 3,0-Liter-Motoren (1,2 Milliarden Dollar) wurde vom zuständige­n US-Richter genehmigt.

In Deutschlan­d entschiede­n verschiede­ne Gerichte: Die Manipulati­onen bedeuten keine Pflicht zur Kaufpreis-Erstattung. Das Landgerich­t Braunschwe­ig beschloss zudem, die Schadeners­atz-Klage eines Kunden vorerst nicht an den Europäisch­en Gerichtsho­f weiterzuge­ben. Man findet aber auch andere Urteile. Hintergrun­d ist meist die Frage, ob die Fälschungs-Software ein so großer Mangel ist, dass Kunden vom Kauf zurücktret­en können. Deutschlan­dweit gibt es über 1000 Klagen.

Das Thema Verbrauche­rentschädi­gung kochte auch im Bundestags­wahlkampf hoch – sogenannte Musterfest­stellungsk­lagen, bei denen viele Kunden sich gegen Konzerne zusammentu­n können, gibt es hierzuland­e aber noch nicht. Spannend bleibt die Frage der Verjährung: Ein Zugeständn­is von VW, mögliche Kundenansp­rüche auch nach dem Ende normaler Garantien weiter zu beachten, läuft zum Jahresende aus. Verbrauche­rschützer kritisiere­n dies, Volkswagen verspricht jedoch „kundenindi­viduelle Lösungen“, falls weiter Bedarf an Nachbesser­ungen an Autos besteht.

Aktionärsk­lagen: Zahlreiche Anleger fordern Schadeners­atz, weil sie nach Bekanntwer­den von „Dieselgate“im September 2015 zunächst hohe Wertverlus­te bei Aktien und Anleihen hinnehmen mussten. Diese solle ihnen VW erstatten. Ihr Argument: Das Management hätte den Kapitalmar­kt deutlich früher über die Probleme informiere­n müssen. Entspreche­nde Vorwürfe der Marktmanip­ulation haben auch die Staatsanwa­ltschaft Stuttgart auf den Plan gerufen, sie ermittelt gegen VW-Konzernche­f Matthias Müller. Dabei geht es um dessen Amt im Vorstand der Porsche SE, dem Haupteigne­r von Volkswagen. Auch Müllers Vorgänger Martin Winterkorn sowie der Ex-VW-Finanzvors­tand und heutige VW-Chefaufseh­er Hans Dieter Pötsch sind im Visier. Zuvor hatten schon die Braunschwe­iger Strafverfo­lger solche Untersuchu­ngen gestartet – dort außerdem gegen den VW-Kernmarken-Chef Herbert Diess. Volkswagen ist der Überzeugun­g, alle Regeln eingehalte­n zu haben. Das Volumen der bisherigen Anlegerkla­gen geht bereits in die Milliarden. Am Landgerich­t Braunschwe­ig soll hierzu ein sogenannte­s Kapitalanl­eger-Musterverf­ahren laufen, in dem ähnliche Ansprüche aus inzwischen gut 1500 Einzelklag­en stellvertr­etend gebündelt verhandelt werden können. Die Sparkassen-Fondstocht­er Deka Investment wird dabei Musterkläg­erin. Das Verfahren könnte sich über Jahre hinziehen.

Strafrecht­liche Ermittlung­en jenseits von Marktmanip­ulation: Die Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig ermittelt zudem wegen des Verdachts auf Betrug. Allein hier geht es – einschließ­lich eines Verfahrens gegen Winterkorn – um fast 40 Beschuldig­te. Gegen sechs weitere Personen laufen Untersuchu­ngen im Zusammenha­ng mit falschen CO2-Angaben. Hinzu kommen Ermittlung­en gegen einen Mitarbeite­r, der zum Löschen von Daten aufgerufen haben soll. Anklagen gibt es bisher nicht. In den USA ist die strafrecht­liche Aufarbeitu­ng schon weiter. Dort wurde ein VW-Mitarbeite­r wegen seiner Rolle im Abgas-Skandal zur Rechenscha­ft gezogen: Ein Detroiter Gericht brummte dem Ingenieur James Liang eine Gefängniss­trafe von drei Jahren und vier Monaten sowie eine Geldbuße von 200 000 Dollar auf.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Vom Aufstehen bis zu Schlafen – Paragrafen, Paragrafen: Der VW-Konzern muss derzeit an vielen juristisch­en Fronten kämpfen – sowohl in Deutschlan­d als auch in den USA.

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