Der Überwachungsstaat im Kinderzimmer
Internet-Technik soll das Leben von Kleinkindern sicherer machen. Aber Hacker könnten die Daten abfangen, warnen Experten.
KÖLN (dpa/red) Die Digitalisierung kommt ans Babybett. Das zeigt sich bei der „Kind+Jugend“in Köln, der weltgrößten Messe für Baby- und Kinderausstattung. Inzwischen können Socken schon den Puls der Kleinsten per App anzeigen. Bluetooth-Thermometer messen permanent Fieber beim schlafenden Sprössling und senden die Daten ans elterliche Smartphone. Und Sensormatten melden, wenn das Baby sich in unerwünschte Bauchpositionen dreht. Solche digitalen Helfer sind mehr und mehr gefragt.
Gut 1230 Hersteller aus 50 Ländern stellen auf der Messe neue Überwachungssysteme vor, die nicht nur Töne und Bilder aufzeichnen. Manche lösen auch Alarm aus, wenn sich das Baby 20 Sekunden lang nicht bewegt. Andere Produzenten werben mit fernsteuerbarer Kamera und InfrarotNachtsicht.
Kritiker warnen allerdings, dass bei gespeicherten Daten und Bildern von Kind und Umgebung oft nicht klar sei, was damit passiere. Auch bestehe das Risiko, dass die Systeme gehackt werden könnten. Anfang des Jahres stoppte die Bundesnetzagentur etwa den Vertrieb der Kinderpuppe „Cayla“(wir haben berichtet). Über die Puppe, die sich mit dem Internet verbindet und über ein integriertes Mikrofon und einen Lautsprecher verfügt, könnten Kinder durch Dritte unbemerkt ausspioniert werden, so die Begründung der Bundesnetzagentur.
„Eltern sind heutzutage oft verunsichert. Die Nachfrage nach solchen Kontroll- und Messgeräten steigt“, sagt Tanja Kraemer, Chefredakteurin der Zeitschrift „baby&junior“. Der Markt sei unübersichtlich und wenig transparent, vieles werde online aus aller Welt bestellt. „Immer mehr Hersteller springen auf den Zug auf und entwickeln solche Geräte“, sagt Kraemer. Genaue Zahlen für den Markt der digitalen Helfer in Deutschland seien aber nicht bekannt.
Der globale Umsatz allein für tragbare Baby-Geräte werde aktuell auf rund 750 Millionen Euro geschätzt und laut Experten bis 2024 auf knapp 1,1 Milliarden Euro klettern. Darunter fallen am Körper getragene Fußbänder, High-TechSöckchen oder Sensor-Strampler zur Überwachung von Herzschlag, Atmung oder Temperatur. Kraemer zufolge sind die Käufer oft mit digitalen Anwendungen großgeworden. Ihre Kinder wollten sie „unter optimierten Bedingungen“aufwachsen sehen. Das kann kosten – bei vielen Geräten mehrere hundert Euro.
Der Branche gehen die Ideen für smarte Helfer offenbar nicht aus. Sie entwickelt sogenannte XS-Monitore, die im Kinderzimmer die Luftqualität analysieren und via App vorschlagen, wie sie zu verbessern ist. Auf dem Markt ist auch ein per Smartphone steuerbarer Apparat, der bei trockener Luft für Wasserdampf am Bettchen sorgt.
Und Eltern geizen nicht bei Ausgaben für ihre Kinder: 2016 investierten sie hierzulande 2,5 Milliarden Euro für die allgemeine Ausstattung des Nachwuchses in den ersten drei Lebensjahren – laut Bundesverband des SpielwarenEinzelhandels vier Prozent mehr als im Vorjahr. Und immerhin 1125 Euro pro Kopf.
Branchenkennerin Kraemer hält aber längst nicht alle Angebote für sinnvoll. Ein Sensor an der Windel, der warnt, wenn sie voll ist, sei jedenfalls überflüssig. Eltern könnten auch abhängig werden von Überwachungsgeräten und Apps.
Doch warum kaufen Eltern die Technik, obwohl Generationen vor ihnen ohne all das auskamen? Alessandro Zanini vom Verband Deutscher Kinderausstattungs-Hersteller sagt: „Die Bedürfnisse nach mehr Sicherheit, Design, Funktionalität führen zu immer besseren Produkten und Vielfalt, aber teilweise auch zum Überfluss.“