Saarbruecker Zeitung

Bitteres Rennen um Platz drei

Die Grünen hoffen auf ein Wunder, die Liberalen grenzen sich von den Rechtspopu­listen ab. Eine Woche vor der Bundestags­wahl stimmen beide Parteien ihre Basis auf einen harten Kampf ein.

- VON RUPPERT MAYR UND ANDRÉ STAHL

(dpa) FDP-Chef Christian Lindner spricht ruhiger als sonst, zurückhalt­ender. Er ist an diesem Sonntag auf dem Sonderpart­eitag in Berlin, eine Woche vor der Bundestags­wahl, ganz offensicht­lich bemüht, die marktschre­ierischen Auftritte von Guido Westerwell­e vor acht Jahren nicht zu wiederhole­n. Sachthemen stehen im Vordergrun­d seiner knapp einstündig­en Rede. Nicht nur eines, wie bei Westerwell­e, sondern viele Sachthemen: Europa und Europafein­dlichkeit, Zuwanderun­g, Mieten, Schulen, Digitalisi­erung und auch die Entlastung der Bürger.

Die kampagnena­rtigen Attacken der Grünen, die sich zeitgleich für die entscheide­nde Woche rüsteten, lässt Lindner abtropfen. „Mögen die Grünen sich mit uns beschäftig­en. Wir beschäftig­en uns heute mit Inhalten.“Die Grünen hätten angesichts der Umfragen ohnehin keinen Einfluss mehr auf das Rennen um Platz drei im künftigen Bundestag.

Mit dieser Meinung steht Lindner mit Sicherheit nicht alleine da. Dementspre­chend verunsiche­rt ist die Parteibasi­s der Grünen. Nur wenige Kilometer vom Parteitag der Liberalen entfernt, im früheren Gasometer Schöneberg, spricht Spitzenkan­didatin Katrin Göring-Eckardt im Wahlkampf-Endspurt ihren Parteifreu­nden und sich selbst vor allem eines zu: Mut. Denn für die Grünen wird es auf den letzten Metern schwer, am Sonntag wie erhofft ein zweistelli­ges Ergebnis einzufahre­n und doch noch als drittstärk­ste Kraft in den Bundestag einzuziehe­n. Sollte dies der Öko-Partei am 24. September gelingen, wäre dies in der Tat der „Überraschu­ngscoup“, von dem Göring-Eckardt und Grünen-Spitzenman­n Cem Özdemir in den verbleiben­den Tagen träumen. Nach aktuellen Umfragen ist es eher ein Hoffen auf ein Wunder. Am Ende könnte es sogar passieren, dass die Grünen noch unter ihr mageres Ergebnis von 8,4 Prozent bei der Wahlschlap­pe 2013 fallen. Für die Liberalen könnte es ebenfalls komplizier­t werden. Sollte es für Schwarz-Gelb reichen, müssten CDU und CSU 37 bis 38 Prozent holen und die FDP mindestens zehn. Und auch dann wäre es äußerst knapp. Doch die Union lässt derzeit nach. Über eine „Ampel“von SPD, FDP und Grünen redet derzeit keiner mehr und „Jamaika“mit Union, FDP und Grünen würde ein sehr schwierige­s Bündnis, zumal sich bei den Grünen wieder Flügelkämp­fe auftun würden.

Von denen ist bei den Grünen zumindest gestern kaum etwas zu spüren. Beim Drei-Stunden-Parteitag herrscht im Endspurt seltene Harmonie. Streit und Gegenanträ­ge zum Wahlaufruf des Spitzenduo­s gibt es nicht. Das Signal: geschlosse­n, aber nicht verschloss­en. Denn die Grünen wollen endlich wieder auch im Bund regieren. Das können sie nach den Umfragen aber nur in einem Bündnis mit den Liberalen und der Union. Das Problem: „Jamaika“-Begeisteru­ng herrscht derzeit weder bei Grünen noch bei Liberalen. Natürlich attackiere­n Göring-Eckardt, Özdemir & Co. lautstark die Liberalen, die zeitgleich zum Kampf um Platz drei blasen. Aktuell liegt die FDP nämlich weiter leicht vor den Grünen, aber ebenfalls hinter den Linken und der AfD. Daher stehen sich Liberale und Grüne letztlich näher, als ihnen eigentlich lieb ist. Bleibt es bei den bisherigen Zustimmung­swerten, könnten sie das gleiche Schicksal teilen: Entweder auf der Opposition­sbank landen oder mitregiere­n.

Als entscheide­nde Frage der letzten Woche vor der Wahl macht Lindner das Rennen um Platz drei aus. Darüber entscheide­t sich, wer Opposition­sführer im künftigen Parlament wird. Und hier wird der FDPChef dann deutlicher. Er wolle nicht, dass die AfD mit „völkisch-autoritäre­m“Gedankengu­t die Opposition im Bundestag anführe. Das habe Signalwirk­ung über das Parlament, ja über Deutschlan­d hinaus, assistiert Generalsek­retärin Nicola Beer. In den meisten Umfragen liegt die AfD derzeit mit zehn Prozent plus vor der FDP, die sich zwischen acht und zehn Prozent bewegt. Lindner nutzt das Thema Einwanderu­ngspolitik, um die Liberalen scharf von der AfD abzugrenze­n. Die FDP bemühe sich um eine Zuwanderun­gspolitik auf dem Boden internatio­nalen Rechts. Trotzdem sei die FDP in die Nähe der AfD gerückt worden. Diese aber betreibe Abschottun­gspolitik mit fast schon rassistisc­hen Zügen.

„Uns schadet der Vergleich FDP und AfD nicht“, sagt Lindner und versucht den Schwarzen Peter den Gleichmach­ern zuzuschieb­en: „Aber wer uns mit denen vergleicht, der verharmlos­t die Gefahr für unsere politische Kultur und die Liberalitä­t die von den echten Feinden, nämlich der völkisch-autoritäre­n AfD ausgeht.“Bei der AfD steckt liberales Stimmenpot­enzial. Nämlich bei jenen, die sich zu Zeiten von Parteichef Bernd Lucke, als die AfD vor allem europakrit­isch war, von der FDP ab- und der AfD zugewandt haben. Je weiter rechts die AfD agiert und je europakrit­ischer die FDP argumentie­rt, umso größer sind die Chancen der Liberalen.

Am Sonntag vor der Bundestags­wahl verzichten die Grünen auf allzu scharfe Angriffe, um mögliche Koalitions­gespräche nicht schon von vornherein unmöglich zu machen. Für Grünen-Spitzenman­n Özdemir sind die Mitbewerbe­r keine Feinde. Mit allen außer der AfD werde man reden. Göring-Eckardt stimmt die Basis jedenfalls bereits auf „verdammt schwierige Koalitions­gespräche“ein. Und Özdemir zieht dafür zumindest Leitplanke­n: Ohne Klimaschut­z und eine wertegelei­tete Außenpolit­ik werde es mit den Grünen nicht klappen. Ansonsten, so Özdemir, gehe man „erhobenen Hauptes“eben in die Opposition.

„Uns schadet der Vergleich FDP und AfD nicht.“FDP-Parteivors­itzender Christian Lindner auf dem letzten Parteitag der Liberalen vor der Bundestags­wahl

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FOTO: STACHE/DPA Jetzt hilft nur noch Hoffnung: Grünen-Spitzenkan­didatin Katrin Göring-Eckardt spricht ihren Parteifreu­nden auf den letzten Metern vor allem Mut zu.
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FOTO: HIRSCHBERG­ER/DPA Sachthemen­verteidige­r statt Schreihals: FDP-Chef Christian Lindner stellte beim gestrigen Bundespart­eitag der Liberalen die Inhalte seiner Partei in den Vordergrun­d.

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