Harte Schule des Lebens
Neu im Kino: „Schloss aus Glas“von Destin Daniel Cretton – Drama über ein Leben mit egoistischen Eltern
„Ihr lernt, indem ihr lebt. Alles andere ist eine Lüge“, ruft der Vater in die Weite der Prärie hinein. Die Schule des Lebens, die Max (Woody Harrelsen) und seine Frau Rose Mary (Naomi Watts) ihren drei Kindern angedeihen lassen, ist zunächst ein großes Abenteuer. Wie Nomaden ziehen sie von Ort zu Ort durch den Süden der USA. Wenn die Mutter einen Baum sieht, den sie unbedingt malen will, wird das Lager auch schon einmal unter freiem Himmel aufgeschlagen.
Aber der umherschweifende Lebensstil ist weniger einer freien Entscheidung als dem Unvermögen des Vaters geschuldet, der es nie länger als ein paar Monate in einem Job aushält. Max ist Alkoholiker und so sehr ihn seine Kinder bewundern, so sehr haben sie auch Angst vor seinen unberechenbaren Launen. Schmerzhaft wird den Geschwistern allmählich klar, dass sie sich um sich selbst kümmern müssen. Sie gehen in die Schule, schmieden Zukunftspläne, sparen heimlich Geld, um einer nach dem anderen ihrem familiären Schicksal zu entfliehen.
Wie die autobiografischen Romanvorlage von Jeannette Wallis ist auch Destin Daniel Crettons Verfilmung von „Schloss aus Glas“mit einer Rahmenhandlung versehen, in der die New Yorker Journalistin Jeannette (Brie Larson) auf ihre Kindheit zurückblickt. Die beiden Zeitebenen bilden gegenläufige Bewusstwerdungsprozesse Jeannette (Brie Larson) hat auch als Erwachsene noch mit ihrer schwierigen Kindheit zu kämpfen. ab: Als Kind muss Jeannette in dem geliebten Vater den trunksüchtigen Egoisten erkennen. Als erwachsene Frau muss sie lernen, in ihm nicht nur das Monster ihrer Kindheit zu sehen, sondern Max als Teil ihrer eigenen Vergangenheit zu akzeptieren.
Dieser allzu therapeutische Erzählansatz führt am Ende zu übersteuerten Versöhnungsszenarien, entwickelt aber auf der Kindheitsebene seine Stärken. Hier lässt sich Cretteon voll und ganz auf die Perspektive der kleinen Tochter ein, die immer wieder der Faszination für die schillernde Vaterfigur erliegt. Eindrucksvoll zeigt der Film, was es für ein Kind bedeutet, wenn der Egoismus der Eltern stärker ist als deren Fürsorgegefühle.
Dass solche Konstellationen im echten Leben selten zu einem Happy End führen, davon können Sozialarbeiter und Therapeuten wahrscheinlich besser erzählen als Filmemacher, die in optimistischen Erzählkonventionen gefangen sind.
USA 2017, 128 Min., Camera Zwo (Sb); Regie: Destin Daniel Cretton; Buchvorlage: Jeannette Walls; Kamera: Brett Pawlak