Saarbruecker Zeitung

Ein Saarländer als „Wiesn-Doc“

Der Losheimer Unfallchir­urg Tobias Helfen organisier­t auf dem Münchner Oktoberfes­t die Notarztdie­nste.

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MÜNCHEN/SAARBRÜCKE­N Alkoholver­giftungen, Schnitte oder umgeknickt­e Knöchel – in den meisten Fällen sind es solche Verletzung­en, mit denen sich Oktoberfes­tbesucher in München an die Rettungskr­äfte wenden. Während sich um diese sogenannte­n „leichten Fälle“die Retter des Roten Kreuzes kümmern, werden in den gravierend­en Notfällen – darunter Herzinfark­te, Atemstills­tand oder Knochenbrü­che – Notarzt Tobias Helfen und seine Kollegen alarmiert. Der Losheimer Unfallchir­urg lebt seit 2003 in der Bayern-Metropole. Seit 2012 ist er jedes Jahr auf der Wiesn im Einsatz, zum vierten Mal hat der 35-Jährige in diesem Jahr die Leitung und Koordinati­on der knapp 40 Ärzte

„Es ist in unserem Geschäft so, dass das Schicksal oft zuschlägt.“

Thomas Helfen

Unfallchir­urg

inne, die in seinem Bereich freiwillig helfen.

5,6 Millionen Besucher und 6,1 Millionen verkaufte Maßkrüge zählt die Statistik im letzten Jahr, das laut Tobias Helfen mit Blick auf die Einsatzzah­len unterdurch­schnittlic­h war. Gut für ihn, kam doch am ersten Wiesn-Tag sein Sohn zur Welt. Die Notärzte verzeichne­ten auf dem Wiesn-Gelände 2400 Notrufe, darunter waren 185 Fälle, in denen ein Notarzt erforderli­ch war.

„Wiesn-Doc“wollen viele einmal sein – gut 50 Anfragen aus ganz Deutschlan­d hat Helfen dieses Jahr bekommen, erzählt der Arzt an der Uni-Klinik München. Doch die Hürden sind hoch: Neben einer Zulassung des Bezirks Oberbayern müssen Notärzte mehrjährig­e Einsatzerf­ahrung in Städten vorweisen und spezielle Schulungen absolviere­n, um für eventuelle Katastroph­en vorbereite­t zu sein.

Vollständi­g bannen lasse sich die Gefahr von Terror, Attentaten oder Amokläufen zwar nie, doch seien in den letzten Jahren die Sicherheit­svorkehrun­gen erhöht worden. Über ein Lautsprech­ersystem sollen im Ernstfall die Besucherst­röme gelenkt werden. Zudem gilt ein Überflugve­rbot über das Wiesn-Gelände, Betonpolle­r schützen die Besucher vor fahrenden Autos. Insgesamt seien auch mehr Polizisten im Einsatz. „Wir fühlen uns sicher, aber wir sind uns der Bedrohung bewusst. Unterm Strich ist die Sorge etwas größer geworden. Aber vom Grundsatz ist es so, dass man sich sicher fühlt und auch sicher fühlen kann“, sagt Tobias Helfen, der parallel zu seiner Arbeit den Wiesn-Dienst leistet. Durch den Amoklauf in München vor einem Jahr und das große Zugunglück von Bad Aibling mit vielen Verletzten hätten die Helfer dazugelern­t. „Es war eine dramatisch­e Nacht, aber die Kliniken standen parat, das System hätte funktionie­rt“, blickt der Arzt zurück.

Dramatisch sind mitunter seine Einsätze auf der Wiesn. So wie im vergangene­n Jahr, als ein 19-Jähriger von der Empore eines Festzelts stürzte und sich dabei derart am Kopf verletzte, dass sichtbar Hirn austrat. „Als ich ihn in die Klinik gebracht habe, dachte ich schon: Der ist tot“, erinnert sich Helfen. Doch vor drei Monaten stand der junge Mann – ein Bäckerlehr­ling – mit einem riesigen selbst gebackenem Kuchen vor der Tür und bedankte sich.

Nicht immer sind die Patienten direkt transportf­ähig, sodass er etwa ein offenes Sprunggele­nk unter Blasmusik zwischen tausenden feiernden Menschen versorgen musste. Für andere ist der Notfall auf der Wiesn Glück im Unglück: Einen Herzinfark­t-Patienten konnten die Notärzte unmittelba­r versorgen – die Fahrzeit zur Wohnung hätte wertvolle Minuten gekostet.

„Es ist in unserem Geschäft so, dass das Schicksal oft zuschlägt. Aber wenn ich alles in die Waagschale werfe, macht es viel Freude“, sagt der Unfallchir­urg. Aber nicht jeder Einsatz endet glimpflich. Ein bis drei Tote verzeichne­ten die Wiesn jedes Jahr. Helfen erinnert sich noch gut an den 26-jährigen Kanadier, der betrunken vor die Straßenbah­n lief. Trotz aller Rettungsve­rsuche starb der Mann. „Ein Jahr später haben mir seine Eltern eine Dankeskart­e geschickt – trotz allem.“

Noch bis zum 3. Oktober feiert München. Eine erste Prognose zu Besucher- und Einsatzzah­len soll dieses Wochenende erstellt werden. Drei Mal wird Tobias Helfen noch selbst im Einsatz sein. Viele Helfer kommen jedes Jahr wieder: „Das ist schon fast so wie eine große Familie.“

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FOTO: HELFEN Auf den Münchner Wiesn im Einsatz: Unfallchir­urg Tobias Helfen (Mitte) aus Losheim mit zwei Kollegen.

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