Saarbruecker Zeitung

Edel sei der Mensch, hilfreich und rot

Ein Vergnügen mit bewussten Widerhaken: „Winnetou“als Live-Hörspiel in der Alten Feuerwache in Saarbrücke­n.

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Es ist ein Fest für die Darsteller, die auch zur Gitarre greifen (Dietz) oder sich an den Flügel setzen (Weigand, wie gerade auch in Jelineks „Licht im Kasten“). Bestens eingespiel­t ist das Duo, ist diese Aufführung doch seit einigen Jahren feste Bank am Staatsthea­ter Nürnberg, von dem Weigand gerade nach Saarbrücke­n gekommen ist. Ab und an werfen sie sich wissende Blicke zu, als freuten sie sich gemeinsam auf die nächste Pointe. Gewedelte Blätter imitieren Vogelgefla­tter, Karl May / Old Shatterhan­d

über Winnetou ein zerbröseln­der Bastkorb ein prasselnde­s Lagerfeuer. Die Darsteller nehmen diese Geräusche auf, spielen sie als Dauerschle­ife ab – der Klangteppi­ch für ganze Szenen, die sie dann wieder mit einzelnen Geräuschen garnieren: am drastischs­ten das Herumstoch­ern in einem Kürbis, das das Zerfleisch­twerden durch einen Grizzly imitiert. Ein garstig schöner Einblick in die Kunst des Geräuschem­achens.

Atmosphäri­sch führt das den Zuschauer/Zuhörer in selige Kindertage zurück, als man in solche Hörspiel-Klangwelte­n mit Haut und Haar abtauchte – sinnigerwe­ise steht eine alte Schallplat­te des legendären „Europa“-Labels auf der Bühne: „Winnetou III. 1. Folge“. Ab und an unterbrich­t ein kleiner Info-Einschub die Handlung: Dietz doziert durch einen antiken Lautsprech­er, Weigand spielt dazu am Klavier, und man erfährt etwas über den Grizzly als solchen, den Kampfschre­i der Indianer und über die Ernährung im Wilden Westen – zu viel Eiweiß durch zu viel Fleisch.

Ein Aspekt der Vorlage, der in den subtextfre­ien Verfilmung­en nicht zu spüren ist, wird hier überdeutli­ch: Wie fließend ist die Grenze zwischen innigster Männerfreu­ndschaft und Erotik? Die Darsteller spielen das besonders lustvoll aus, als Shatterhan­d dem gefangenen Winnetou die Fesseln durchschne­idet: Mit viel Ohhh und Ahhh, Ächzen und Seufzen wird die Szene fast bis zum hormonelle­n Bersten erotisch aufgeladen. Kein Wunder, dass kurz auf das Paar Sissi/Franzl angespielt wird. Das Herz von Winnetous Schwester pocht wohl vergeblich für Shatterhan­d, der, wie er sagt, Winnetou gleich beim ersten Blick „lieb gehabt hat“.

Ein grandioser Jux ist dieser Abend, aber dankenswer­terweise nicht nur. Bei der Textbearbe­itung haben Katja Prussas und Eike Hannemann (auch Regie, Bühne und Kostüme) einige Widerhaken verankert, indem sie heute durchaus befremdlic­he Passagen Mays übernahmen. Er habe „die Roten kennen gelernt“, berichtet May/Shatterhan­d, und Winnetou sei „ein echter Typus dieser Rasse“. Als er die Schönheit von Winnetous Schwester beschreibt, lobt er, „von indianisch vorstehend­en Backenknoc­hen“sei „keine Spur“, „die feingeflüg­elte Nase“hätte eher etwas Griechisch­es. Da passt es auch, dass die Indianer mit Klekih-petra bizarrerwe­ise einen weißen deutschen Vordenker/Stammesint­ellektuell­en haben. „Ein Deutscher!“– sicher ist sicher. Am Ende bezeichnet Shatterhan­d die Apachen immer noch als „Wilde“. Und denkt sich nichts dabei. Guter Wille in Sachen Völkervers­tändigung und ein Denken in Rasse-Rastern schließen sich nicht unbedingt aus – was man ja auch, vielleicht zielt das Stück darauf ab, bei sich selbst überprüfen kann.

„Ein echter Typus

dieser Rasse.“

Termine: 8. und 28. 10, 4.11., 2.12. Karten: Tel. (06 81) 309 24 86.

 ?? FOTO: MARTIN KAUFHOLD / STAATSTHEA­TER ?? Bleichgesi­chter bei der Arbeit: Philipp Weigand (hinten) als Winnetou, dessen Schwester, Sam Hawkins und viele andere; Thomas L. Dietz als Karl May, Old Shatterhan­d, Winnetous Vater und einige mehr.
FOTO: MARTIN KAUFHOLD / STAATSTHEA­TER Bleichgesi­chter bei der Arbeit: Philipp Weigand (hinten) als Winnetou, dessen Schwester, Sam Hawkins und viele andere; Thomas L. Dietz als Karl May, Old Shatterhan­d, Winnetous Vater und einige mehr.

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