Saarbruecker Zeitung

Pflege Alter und Kranker ist Wochenthem­a

Ob Gewalt in der Pflege, der Umgang der Krankenkas­sen mit Hilfsmitte­ln für Pflegebedü­rftige, die Anerkennun­g von Pflegestuf­en, die Überlastun­g von Pflegepers­onal: Die Leserbrief-Autoren beleuchten an diesem Wochenende einige Aspekte dieses Themas.

-

Die Alten haben das Land aufgebaut

Zum Leserbrief von Frau Karin Fell, Beckingen-Hargarten, kann ich nur sagen: Bravo! Endlich schreibt mal jemand, wie die Realität aussieht. Ich bin gerade in derselben Situation. Es macht mich wütend, wie heute mit den Alten umgegangen wird. Meine Mutter, 82 Jahre, verwitwet, ihr Ehemann hat Zeit seines Lebens bis zur Rente gearbeitet und in Renten- und Krankenkas­se eingezahlt. Er starb unerwartet. Meine Mutter zog vier Kinder groß, alle arbeiten und zahlen Rentenund Krankenkas­sen-Beiträge. Sie war nie krank, 40 Jahre in keinem Krankenhau­s und lag der Kasse nie zur Last. Vor zwei Jahren begann dann die Demenz. Ich als Tochter (voll berufstäti­g) versorgte sie von da an quasi alleine, meine Geschwiste­r wohnen weit weg. Bei fortgeschr­ittener Demenz wand ich mich an die Kranken-/Pflegekass­e. Pflegegrad null. Da sie nur eine Minirente bezieht, war das sehr hart. Ich hatte ihr versproche­n, dass ich sie nicht in ein Heim abschieben würde. Ich habe eine Höherstufu­ng beantragt, da sie (lebt alleine im Einfamilie­nhaus) vergaß, zu essen und zu trinken. Hatte eine starke Weglauf-Tendenz. Ich musste öfter von meiner Arbeit weg, was zu Problemen führte. Aber Höherstufu­ng abgelehnt. Meine Mutter war körperlich zu fit und dennoch hilflos. Aber wie soll man mit einer Minirente von 900 Euro, Nebenkoste­n, Versicheru­ngen, Essen und so weiter eine Tagespfleg­e finanziere­n? Da sich der Gesundheit­szustand stark verschlech­tert hatte, gab es endlich im September eine erneute Begutachtu­ng, nach zirka fünf Monaten. Jetzt liegt sie im Krankenhau­s in meiner Begleitung, zum Sterben. Die Höherstell­ung ist noch nicht bewilligt. Ich muss täglich 45 Euro zahlen, um sie auf ihrem letzten Weg begleiten zu können. Was ist los in unserem Land? Was ist mit den Menschen, die nach dem Krieg unser Land aufgebaut haben? Wieso werden Menschen, die aus fremden Ländern kommen, noch nie in unser System eingezahlt haben, besser gestellt? Das verstehe ich nicht. Liebe Politiker, wenn Sie das bitte erklären könnten?

Christine Krämer, Blieskaste­l

Wir wissen alle, woran es liegt

Stellen Sie sich vor, ein Patient, der in seinem Stuhlgang liegt und sich wehrt, wird im Nachtdiens­t von der einzig anwesenden Schwester frisch gemacht. Ein zweiter, mobiler Patient räumt in seiner Demenz in dieser Zeit den Flur zum Chaos um. Im Hintergrun­d läuten seit geraumer Zeit zwei Patienten um Hilfe. Das ist der harte Alltag der Schwester, die man buchstäbli­ch allein lässt. Wie würden Sie entscheide­n, geneigter Leser? Könnte das der Nährboden für Gewalt in der Pflege sein? Die stereotype Antwort von Experten wie Herrn Jürgen Bender, Pflegebeau­ftragter des Saarlandes: „Mehr Kontrolle“. Hören wir endlich auf mit der Heuchelei. Wir wissen alle, woran es liegt.

Stefan Rixecker, St. Ingbert

Die Situation bessert sich nicht

Ich kenne beide Seiten des Pflegenots­tandes, sowohl aus der Pflege als Kinderkran­kenschwest­er als auch als Patient. In beiden Sektoren habe ich viel Negatives und auch Schlimmes erlebt. Bei meinem Pflegenots­tand hat es begonnen, als das Land Rheinland-Pfalz die Krankenhäu­ser Bernkastel und Wittlich für damals eine D-Mark an die Caritas, oder genauer an Herrn Hans-Joachim Dörfert verkauft hat. In meinem Beruf war vom ersten Tag an Pflegenots­tand. Dörfert sagte wörtlich in einer Personalve­rsammlung, er möchte Geschäfte machen. Das spürten das Personal und die uns anvertraut­en Patienten. Es entstand gefährlich­e Pflege. Ich verließ meinen Arbeitspla­tz, das war nicht einfach, auf das Geld wäre ich angewiesen gewesen, und ich war eine leidenscha­ftliche Krankensch­wester. Nun zum nächsten: Mitte Juli 2016 lag ich schwerstkr­ank, meines Erachtens durch einen Fehler des Krankenhau­ses, zwei Mal auf der Intensivst­ation für jeweils drei Tage. Auch bei dem stationäre­n Aufenthalt geschahen meiner Meinung nach Fehler, die, wenn genug Personal – und zwar qualifizie­rt – da gewesen wäre, nicht entstanden wären. Dieses Mal ging es um mein Leben. Ich glaube den von uns gewählten Politikern nicht, dass diese Situation in Kinderkran­ken-, Kranken- und Altenpfleg­e recht schnell behoben wird. Die schlimmste­n Fehler, siehe zum Beispiel fahrlässig­e Tötung, werden unter den Mantel des Schweigens gelegt. Unsere Politiker haben einen Eid geschworen zum Wohle des Volkes, sind wir hier in einer Demokratie mit freier Meinungsbi­ldung?

Silvia Ensel, Hermeskeil

Mehr Personal, Lohn, Kontrolle

Für die bedürftige­n Menschen werden sehr gut durchdacht­e Pflegeplan­ungen erstellt, können dann aber auf Grund von Unterbeset­zung durch Krankheit, Urlaub, Nachtwache­nfrei oder anderes nicht umgesetzt werden. Viele jung ausgebilde­te Krankensch­western und Pfleger wollen nicht in einem Pflegeheim arbeiten, fühlen sich überforder­t. Der Tagesplan muss erfüllt werden. Die Menschen sollen versorgt werden, und alles muss erledigt sein, bis die nächtige Schicht ihren Dienst antritt. Die Zeit, die mal übrig ist (was selten vorkommt), wird dann mit Dokumentie­ren verbracht. Die beschriebe­ne Gewalt ist oft keine Bösartigke­it der Pflegenden, sondern große Hilflosigk­eit und Überforder­ung. Im Hinterkopf immer der Glaube, alles richtig und gut zu machen. Die Schwestern und Pfleger, die ich kennen gelernt habe, waren von ihrem Beruf überzeugt und wollten das Beste geben. Aber dies ist oft nicht möglich. Der Medizinisc­he Dienst der Krankenver­sicherung (MDK) soll doch einfach mal im Frühdienst mit Unterbeset­zung mitarbeite­n, und dann soll er die Pflegeplan­ung überprüfen. Ich wollte, die geleistete Arbeit wird bezahlt. Unsere Politiker, müssten sich für die besonders einsetzen, die sonst keine Fürspreche­r haben. Das heißt ganz einfach: mehr Personal in der Pflege, größere, nicht angemeldet­e Kontrollen und mehr Lohn für die Kollegen, die sich kaputt schaffen und mit den Nerven am Ende sind. Und dann wird alles gut.

Inge Kupplich, Neunkirche­n

Keine Hygiene aus Zeitmangel?

Wie kann man Hygiene Vorschrift­en kritisiere­n? Die infizierte­n Patienten werden täglich mehr, die sich in Krankenhäu­sern und Pflegeheim­en Keime einhandeln. Ohne die vielen Fälle, die im Stillen unter den eingehande­lten Keimen leiden und dies nicht einer vorherigen Krankenhau­sbehandlun­g zuordnen. Ich frage mich, ob es billiger ist, einen Infizierte­n zu behandeln oder vorab Hygiene-Vorschrift­en bedinglich vorzuschre­iben. Die Hygiene wegen Zeitmangel außer acht zu lassen, ist beschämend. Für mich ist dann unglaubwür­dig, dass wirklich Interesse daran besteht, den Keim, der sich in vielen Krankenhäu­sern eingeniste­t hat, auszurotte­n. Man lässt Patienten bei der Einweisung für alle möglichen Risiken, die entstehen können, den Haftungsau­sschluss unterschre­iben. Bei einer Visite müsste auch der Arzt, der von Zimmer zu Zimmer geht und jedem Patienten zur Begrüßung die Hand reicht, sich desinfizie­ren.

Elisabeth Schuft, Nohfelden

 ?? FOTO: DPA ?? Ein Pflegeheim-Bewohner im Rollstuhl allein in seinem Zimmer – der Mangel an Pflegepers­onal kann sich aber auch anders als nur in Einsamkeit äußern.
FOTO: DPA Ein Pflegeheim-Bewohner im Rollstuhl allein in seinem Zimmer – der Mangel an Pflegepers­onal kann sich aber auch anders als nur in Einsamkeit äußern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany