Er überlebte Krieg und Gefangenschaft
Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörigen und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorbener vor. Heute: Max Kielnhofer.
NOHFELDEN-SELBACH/ST. WENDELOBERLINXWEILER Erst jetzt, erzählt Ulrike Kielnhofer-Schultze, hat sie langsam verdaut, was am 8. Mai 2016 mit ihrem Vater passiert ist. Denn, das bekennt sie im Gespräch in ihrem Haus im Nohfeldener Ortsteil Selbach, sie dachte fast, ihr Vater sei unsterblich. „Ich kam wie jeden Morgen zu ihm in die Küche, da sagte er zu mir noch: ,Alles Liebe zum Muttertag’“, erinnert sie sich. Danach folgte ein schweres Atmen, dann das Zusammensacken, der Blick starr, das, so erzählt sie, waren die letzten Momente im Leben ihres Vaters. „Es war genauso ein Tod, wie er ihn sich immer gewünscht hatte. Doch ich konnte es kaum fassen, war absolut nicht darauf vorbereitet“, sagt sie. Nicht, dass er unter keinen Erkrankungen litt –, wie bei einem fast 95 Jahre alten Menschen auch anzunehmen. Doch die, erklärte die Tochter, wurden durch den Arzt überwacht. „Mein Vater war bis zum letzten Atemzug absolut klar im Kopf, kein einziges Anzeichen einer Demenz“, sagt sie. Lediglich die Beine machten nicht mehr so mit, zunächst mit Rollator, später mit Rollstuhl, der Hilfe von Nachbarin Hannelore und der Versorgung durch Tochter Ulrike konnte Max Kielnhofer bis zum letzten Tag in seinem Haus in Oberlinxweiler bleiben. Nach dem Tod ihrer Mutter Gerda, der großen Liebe ihres Vaters – sie waren 68 Jahre verheiratet – im Jahr 2010, erinnert sich die dreifache Mama und zweifache Oma, hat ihr Vater erst einmal aufatmen können. Lange war Gerda, geborene Drehmer, krank und pflegebedürftig gewesen, der Vater kam viele Jahre kaum noch aus dem Haus. „Nach dem Tod meiner Mutter, der eine Erlösung war, dachten wir erst,
Ulrike Kielnhofer-Schultze über ihren mit 94 Jahren gestorbenen
Vater Max Kielnhofer er schafft das nicht. Doch wir konnten ihm noch einige schönes Jahre trotz seines damals hohen Alters von 89 Jahren schenken“, erzählt Kielnhofer-Schultze. Mehrfach ging es dabei in die alte Heimat ihres Vaters, in die Steiermark, viele Bilder, die die Tochter auf dem Tisch im Wintergarten ausgebreitet hat, lassen vom Glück erahnen, das Kielnhofer in seiner alten Heimat immer wieder erfahren hat.
Auch sie, bekennt sie, vermisst das kleine Städtchen Hartberg, wo sie als einziges Kind des Paares die ersten 17 Jahre ihres Lebens verbrachte. „Dort war mein Vater nach dem Besuch der Polizeischule in Graz bei der Polizei tätig, wir haben im Rathaus gewohnt und waren sehr bekannt im Ort“, erzählt sie. Doch das Heimweh der Mutter ins saarländische Oberlinxweiler war so groß, dass die Familie im Jahr 1966 die Koffer packte und den großen Umzug unternahm. Hier begann Max Kielnhofer beruflich ganz neu, eine Tatsache, die ihn nach einem bewegten Lebensweg seit seiner frühen Jugend sicherlich nicht schockiert hat.
Geboren wurde Max Kielnhofer am 6. Oktober 1921 in Schildbach in der Steiermark. Mit drei Geschwistern wuchs er im Gasthaus der Eltern auf, begann nach der Schule eine Ausbildung zum Bäcker. Gerade mal eine Woche vor der Abschlussprüfung, erzählt die Tochter, meldete er sich im Jahr 1939 zum freiwilligen Arbeitsdienst. Arbeitseinsätze unter der Deutschen Wehrmacht führten ihn in die Tschechoslowakei und Slowakei. Seinen 18. Geburtstag feierte Max Kielnhofer im Schloss Rymanow in Polen, das die Deutschen besetzt hatten. Vom Osten ging es ganz weit in den Westen, ins saarländische Oberlinxweiler. Dort hatte er ein Quartier bei Familie Drehmer, baute unter anderem an der Steiermarkstraße mit. Bilder aus dieser Zeit erzählen bis heute in dem Heimatbuch unter dem Titel „Der Bau der Dürerstraße“über diese Zeit im St. Wendeler Land. Max Kielnhofer lernte Gerda Drehmer in dieser Zeit kennen und lieben, heiratete sie am 21.November 1942 in St. Wendel während eines Heimaturlaubs. Der Krieg trieb ihn zunächst nach Frankreich, dann zurück nach Salzburg und Innsbruck.
Das wohl einschneidenste Erlebnis in seiner Biografie, sagt seine Tochter, war der Untergang des Schiffs Bahia Laura auf dem Weg nach Finnland. Mehr als vier Stunden trieb er im Meer, mehr als 1000 Soldaten starben damals. Eine Verletzung und schließlich die russische Gefangenschaft, in der er drei Jahre zubrachte, überstand Max Kielnhofer, bis er schließlich Ende September 1947 in seine Heimat – die Steiermark – zurückkehrte. Er holte seine Frau nach, 1948 wurde Tochter Ulrike geboren.
„Er war ein guter Vater, ich habe ihn sehr gemocht“, sagt Ulrike Kielnhofer-Schultze. Und, das bekennt sie, heute kann sie an all die schönen Momente mit ihrem Vater zurückdenken und sich an seinem Humor erfreuen, ohne dass das Herz wehtut. „Deshalb habe ich mich erst jetzt dazu entschieden, ihm diesen besonderen Nachruf zu schenken. Ich wünsche seiner Seele die Freiheit, die er im Leben nicht immer hatte“, sagt sie.
Zu seinem Geburtstag am 6. Oktober wird die Tochter Karten an Freunde in Oberlinxweiler, aber auch in die Steiermark verschicken. Darauf wird zu lesen sein: „Bis wir uns wiedersehen, hält Gott euch fest in seiner Hand.“............................................. Auf der Seite „Momente" stellt die Saarbrücker Zeitung im Wechsel Kirchen in der Region und Lebenswege Verstorbener vor. Im Internet: saarbruecker-zeitung.de/lebenswege
„Mein Vater war bis zum letzten Atemzug
absolut klar im Kopf.“
Michaela Heinze Aloisius Tritz