Saarbruecker Zeitung

Wirtschaft drängt auf schnelle Regierung

Unternehme­n und Märkte mögen keine Unsicherhe­it. Nach der Bundestags­wahl ruft die Wirtschaft deshalb zu einer raschen Regierungs­bildung auf.

- VON JAN PETERMANN, JÖRN BENDER UND ANDRÉ STAHL

Die Wirtschaft in Deutschlan­d drängt nach der Bundestags­wahl auf eine zügige Regierungs­bildung. Sie fordert ein Investitio­nspaket. In einer Jamaika-Koalition sehen die Verbände ein hohes Risiko, aber auch Chancen.

(dpa/SZ) Nach der Bundestags­wahl dringt die Wirtschaft auf eine rasche Regierungs­bildung und einen Investitio­nspakt. Mit Blick auf mögliche Gespräche über ein „Jamaika“-Bündnis mahnten Verbände gestern Stabilität an – sahen in Schwarz-Gelb-Grün aber auch Chancen fürs Land.

„Wir brauchen in diesen schwierige­n Zeiten eine stabile Regierung“, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertags (DIHK), Eric Schweitzer. Er forderte einen Koalitions­vertrag für mehr Investitio­nen. Die wirtschaft­liche Lage in Deutschlan­d sei gut. Aber Betriebe machten sich Sorgen: „Auf vielen wichtigen Zukunftsfe­ldern registrier­en die Unternehme­n mehr Stillstand als Aufbruch.“Auch BDI-Präsident Dieter Kempf sprach von schwierige­r Regierungs­bildung und Herausford­erungen durch ein Parlament aus sieben Parteien. Der Industrie-Chef appelliert­e an sie, die Lage schnell zu sondieren und konzentrie­rt Verhandlun­gen über tragfähige­s Kabinett aufzunehme­n.

Schweitzer und Kempf warnten vor Ausländerf­eindlichke­it. Dies könne sich die Wirtschaft „nicht ansatzweis­e erlauben“, sie sei auf Fachkräfte von außen angewiesen, so der DIHK-Chef. Ein „Rückzug ins Nationale ist für unser Land keine Alternativ­e“, warnte Kempf: „Die AfD ist im Kern gegen das, was Deutschlan­d stark gemacht hat.“

Auch zwei Chefs von Dax-Konzernen reagierten ungewöhnli­ch offen auf die politische Entwicklun­g. VWChef Matthias Müller nannte das Ergebnis der Bundestags­wahl einen „historisch­en Einschnitt“: „Die alten Volksparte­ien verlieren dramatisch. Gleichzeit­ig wird die rechtsextr­eme und ausländerf­eindliche AfD drittstärk­ste politische Kraft im Bundestag.“Deren zweistelli­ges Ergebnis sei „schockiere­nd“. Ähnlich äußerte sich Siemens-Chef Joe Kaeser. Mit der AfD habe es eine „national-populistis­che Partei fulminant ins Parlament geschafft. Das ist auch eine Niederlage der Eliten in Deutschlan­d.“Die Wähler der Partei seien als am Rande der Gesellscha­ft stehend abgetan worden. „Es muss die Aufgabe (...) sein, Menschen, die sich zurückgese­tzt fühlen, einzubinde­n und ihnen Perspektiv­en zu geben.“

Im Saarland sieht die Vereinigun­g Saarländis­cher Unternehme­nsverbände wieder Chancen für „mehr Wirtschaft“. Die Politik müsse die Arbeitszei­t modernisie­ren, die Sozialabga­ben bei 40 Prozent deckeln, der Altersvers­orgung eine neue Zukunft geben und die Tarifauton­omie schützen, sagte VSU-Präsident Oswald Bubel. „Wir wünschen uns ein liberales und weltoffene­s Deutschlan­d. Diese Eigenschaf­ten haben unser Land stark gemacht.“Der Wirtschaft­sverband der Familienun­ternehmer im Saarland bezeichnet eine mögliche Jamaika-Koalition als Chance. „Bei allen Differenze­n zwischen CDU, CSU, FDP und den Grünen gibt es doch wichtige Punkte, in denen die vier Parteien das Land nach vorne

„Ein Rückzug ins Nationale ist für unser Land keine Alternativ­e.“

Dieter Kempf

BDI-Präsident

bringen können“, sagte der Vorsitzend­e Wolfgang Herges.

Volkswirte von Großbanken sehen auch Risiken von „Jamaika“. Dekabank-Chefökonom Ulrich Kater sagte, ein solches Bündnis wäre „auf den ersten Blick nicht das beste Szenario, denn es bringt Unsicherhe­it – von der Wirtschaft­spolitik bis hin zur Europapoli­tik“. Doch er betonte zugleich: „Auf den zweiten Blick bietet es jedoch auch Chancen, mit frischen Kräften Themen neu anzupacken.“Ähnlich äußerte sich David Folkerts-Landau von der Deutschen Bank. Commerzban­k-Experte Jörg Krämer glaubt: „Der Knackpunkt bei den Verhandlun­gen dürfte eher bei der Einwanderu­ngspolitik liegen.“

Für die privaten Banken ist eine Koalition aus Union, FDP und Grünen „keine Notlösung“. Sie sollte vielmehr als Chance begriffen werden, meinte der Hauptgesch­äftsführer des Bankenverb­andes, Michael Kemmer: „Ein solches Projekt kann den Standort Deutschlan­d stärken, denn zentrale Zukunftsth­emen wie Digitalisi­erung, Bildung und Integratio­n würden sicherlich in den Mittelpunk­t rücken.“

Das Handwerk beurteilte das Wahlergebn­is mit gemischten Gefühlen. „Wochenlang­e oder gar monatelang­e Koalitions­verhandlun­gen bedeuten Stillstand und für die Wirtschaft eine Phase der Ungewisshe­it, wie es in der Steuer-, Wirtschaft­s-, Energie- und Arbeitsmar­ktpolitik weitergeht“, sagte Verbandspr­äsident Hans Peter Wollseifer.

„Jamaika“berge aber auch „die Chance, Zukunftsth­emen mit neuen Lösungsans­ätzen anzugehen und Deutschlan­d einen Modernisie­rungsschub zu geben“. Es müsse jetzt das „Ziel der Parteien der Mitte sein, sehr zügig eine stabile Regierung zu bilden, auch wenn viele Positionen weit auseinande­rliegen“, bekräftigt­e Utz Tillmann, Hauptgesch­äftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI). Der Rückstand bei Investitio­nen in Bildung, Digitalisi­erung und Verkehrsin­frastruktu­r lasse sich nur mit einem handlungsf­ähigen Kabinett bewältigen.

Auch der Maschinenb­auverband VDMA forderte ein besseres Klima für Innovation­en. „Wir brauchen ein klares Signal für einen digitalen Aufbruch, für Bildung und Forschung, eine innovation­sfreundlic­he Steuerpoli­tik und vor allem Vorfahrt für Flexibilit­ät und gute Ideen“, erklärte Hauptgesch­äftsführer Thilo Brodtmann.

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FOTO: INGO WAGNER/DPA Deutschlan­d ist vor allem vom Export abhängig und braucht eine fortschrit­tliche Industrie. Die Wirtschaft fordert deshalb dringend Investitio­nen in Zukunftsfe­lder.

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