Saarbruecker Zeitung

Harte Kritik machte AfD im Schlussspu­rt erst groß

Demoskopen zeigen sich vom Wahlergebn­is wenig überrascht.

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BERLIN (SZ/kna) Das starke Abschneide­n der AfD bei der Bundestags­wahl ist nach Einschätzu­ng führender Meinungsfo­rscher durch die Frontalkri­tik der anderen Parteien sowie der Medien begünstigt worden. „Das hat der Partei noch mal einen Schub gegeben“, sagte Allensbach-Chefin Renate Köcher gestern bei einer Diskussion­sveranstal­tung in Berlin. Nach den Analysen der Demoskopen konnte die AfD vor allem einstige Wähler der großen Parteien für sich gewinnen. Etwa jede fünfte Stimme für die Rechtspopu­listen ging zu Lasten der CDU. Und immerhin noch jeder zehnte Wähler, der vor vier Jahren sein Kreuzchen bei der SPD gemacht hatte, votierte diesmal ebenfalls für die AfD.

Die anteilsmäß­ig größte Gruppe bildeten allerdings vormalige Nichtwähle­r – 35 Prozent der Stimmen für die Rechten kamen aus ihrem Lager. Aus Sicht von Matthias Jung von der Forschungs­gruppe Wahlen bestand ein Fehler darin, die AfD als Partei in die „Nazi-Ecke“zu stellen. Auf diese Weise stelle man „jeden, der auf der Wählereben­e locker mit der AfD sympathisi­ert, auch in diese Ecke“. Dabei sei die Partei ein Sammelbeck­en sehr unterschie­dlicher Gruppen, ergänzte Nico Siegel von Infratest dimap. Dazu zählten Euro-Skeptiker genauso wie „frustriert­e Konservati­ve“und Rechtsradi­kale.

Im Kern sehen die Meinungsfo­rscher eine „rechte Repräsenta­tionslücke“ in der deutschen Parteienla­ndschaft, die nun die AfD ausfüllt. Dies habe sich vor allem im Zuge der Flüchtling­sströme im Spätsommer 2015 entwickelt. „Da gab es keine Opposition im Parlament“, sagte Köcher. Alle wären mehr oder minder strikt für den Kurs von Angela Merkel gewesen. Zwar spielte das Flüchtling­sthema später nur noch eine untergeord­nete Rolle. Von den anderen Parteien und den Medien sei es aber kurz vor der Wahl „wieder aktualisie­rt“worden – zum Vorteil der AfD. Obendrein habe sich die Partei mit „gezielten Provokatio­nen“wie etwa den verbalen Angriffen auf die Integratio­nsbeauftra­gte Aydan Özoguz („in Anatolien entsorgen“) viel „Sendezeit erworben“, so Forsa-Bereichsle­iter Peter Matuschek.

Dass die AfD schon bald wieder verschwind­en könnte, halten die Forscher praktisch für ausgeschlo­ssen. Mit einer Partei am rechten Rand werde man wohl auf Dauer leben müssen. Letztlich sei das auch eine „natürlich Konstellat­ion“, meinte Jung. Soll heißen: So, wie sich die SPD schon seit vielen Jahren mit einer Partei links neben ihr konfrontie­rt sieht, wird auch die Union mit einer rechten Konkurrenz umzugehen haben. Im Einzug der AfD in den Bundestag sehen die Experten jedenfalls noch keinen Grund zum Alarmismus. Angesichts der „heterogene­n Programmat­ik“und Flügelkämp­fe liege der „Stresstest“weniger bei der Demokratie als vielmehr bei der AfD selbst, erklärte Siegel.

Interessan­t bleibt gleichwohl, dass die Mehrheit der AfD-Wähler nach Erkenntnis­sen der Demoskopen nicht aus Überzeugun­g für diese Partei votiert hat, sondern um den anderen eins auszuwisch­en. Das gab es bei keiner anderen Partei. Zum ersten Mal sei eine Bundestags­wahl damit zur „Denkzettel­wahl“geworden, sagte Allensbach-Chefin Köcher. Bislang habe man das nur von Landtagswa­hlen gekannt.

Ein „katastroph­ales Ergebnis“attestiert Jung allerdings der CSU. Als Grund nennt er einen Glaubwürdi­gkeitsverl­ust. Die bayrische Schwesterp­artei der CDU habe es an der wesentlich­en „strategisc­hen Grundorien­tierung“vermissen lassen. So habe sie die Kanzlerin zunächst beschädigt, dann aber zur Wahl empfohlen. Auch für Köcher hat die Union „stark unter Zerstritte­nheit gelitten“.

Einig sind sich die Forscher über ein „Einsinken der Union auf der letzte Strecke“, wie es Siegel formuliert­e. Für die Union sei der Wahlkampf zum Schluss „miserabel gelaufen“, so Köcher, denn plötzlich sei der Flüchtling­szuzug von 2015 wieder thematisie­rt worden – und habe die Menschen erneut verunsiche­rt.

Dass die AfD schon bald wieder verschwind­en

könnte, halten die Forscher praktisch für

ausgeschlo­ssen.

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