Saarbruecker Zeitung

Behinderte­s Mädchen kann nicht zur Schule

Landesamt für Soziales und Regionalve­rband streiten, wer die Kosten für die Begleitper­son während des Schulwegs zahlen muss.

- VON UTE KIRCH

Wenn Ayla (Name geändert) aus dem Fenster ihres Zuhauses in Völklingen-Ludweiler schaut und auf dem Schulhof der nahe gelegenen Grundschul­e spielende Kinder sieht, ruft sie laut „Schule“oder die Namen früherer Mitschüler. Viel spricht das zwölfjähri­ge Mädchen nicht, das wegen eines angeborene­n Chromosome­nfehlers (Trisomie 9) eine geistige Behinderun­g hat. Aber für ihre Mutter ist klar: „Sie vermisst die Schule und den Kontakt zu anderen Kindern“, sagt Pinar B. Doch seit Anfang September muss Ayla zu Hause bleiben: „Keiner will die Kosten für die Begleitper­son bezahlen, die sie braucht, um mit dem Taxi zur Schule zu kommen“, sagt B.

Zur Grundschul­e konnte sie ihre Tochter noch zu Fuß bringen. Dort kümmerte sich eine Einglieder­ungshelfer­in um Ayla, die vom Landesamt für Soziales bezahlt wurde. Doch seit dem Frühjahr besucht ihre Tochter die Förderschu­le für geistige Entwicklun­g im 20 Kilometer entfernten Heusweiler. Damit kamen die Probleme: Die Kosten für die tägliche Taxifahrt von Ludweiler nach Heusweiler und zurück zahlt der Regionalve­rband Saarbrücke­n als Schulträge­r. „Bis Ende 2016 hat der Regionalve­rband auch die Kosten für die Begleitper­son während des Schulwegs übernommen“, sagt Traudel Hell von der Miteinande­r Leben Lernen gGmbH (MLL), Trägerin der Schulbegle­itung. Danach habe zunächst MLL die Kosten für die Schulwegbe­gleitung bezahlt, doch habe sich dies der gemeinnütz­ige Verband nicht dauerhaft leisten können. Es sei zudem eine öffentlich­e Aufgabe.

Aber ohne die Begleitper­son kommt Ayla nicht zur Schule. Alleine ein Taxi oder den Bus der Förderschu­le nehmen, habe sich als unmöglich herausgest­ellt, da sie Schwierigk­eiten habe, ruhig sitzen zu bleiben und schnell panisch werde, sagt ihre Mutter. Im Bus habe sie in ihrer Angst sich und andere Kinder an den Haaren gezogen. Familie B. und MLL haben sich an verschiede­ne Behörden gewandt, doch eine Lösung, wer für die Schulwegbe­gleitung zahlt, ist nicht in Sicht.

Der Landkreist­ag des Saarlandes und der Regionalve­rband Saarbrücke­n teilen auf SZ-Anfrage mit, dass sie das Landesamt für Soziales, das beim Sozialmini­sterium angesiedel­t ist, für zuständig halten: „Es ist einhellige Rechtsauff­assung des Regionalve­rbandes sowie aller anderen saarländis­chen Landkreise, dass das Landesamt für Soziales Kostenträg­er der Leistungen der Schulwegbe­gleitung ist, weil es sich um eine individuel­le sozialrech­tliche Einglieder­ungshilfe (...) handelt.“Es bestehe keine rechtliche Grundlage, dass der Regionalve­rband als Schulträge­r die Personalko­sten übernehmen müsse. Die Schulträge­r seien lediglich für die Beförderun­gskosten für das Kind und die Begleitper­son etwa im Bus oder Taxi zuständig, nicht aber für die Arbeitszei­t der Begleitper­son. Andernfall­s ergäbe sich aus Sicht der Kreise die „absurde Situation“, dass das Landesamt zwar die Personalko­sten für die Schulbegle­itung während des Schulbesuc­hs, nicht aber für die Dauer des Schulweges zahlen würde. „So müssten für den Integratio­nshelfer die Personalko­sten zum Teil vom Landesamt und zum Teil vom Schulträge­r übernommen werden.“Diese bedeute, dass die Personalko­sten für die Dauer des Schulweges gesondert dokumentie­rt werden müssten, was ein unnötiger bürokratis­cher Aufwand sei. „Eine solche Aufsplittu­ng der Personalko­sten kann der Gesetzgebe­r nicht gewollt haben“, so der Landkreist­ag weiter. Weiteres Argument aus seiner Sicht: Bei Schülern mit seelischer Behinderun­g tragen die Jugendämte­r des Regionalve­rbands die Einglieder­ungshilfe inklusive der gesamten Personalko­sten. Eine Aufsplittu­ng der Personalko­sten nach Schulweg und Schulbesuc­h gebe es dort nicht.

Das Sozialmini­sterium sieht die Sache grundlegen­d anders: Aus seiner Sicht muss der Regionalve­rband die Kosten tragen – wie er es in der Vergangenh­eit auch getan habe. Anträge auf Kostenüber­nahme von betroffene­n Familien seien daher abgelehnt worden. Der Zustand in Aylas Fall sei unglücklic­h. „Die Beschulung muss in jedem Fall stattfinde­n können“, teilt das Ministeriu­m mit. Aufgrund der unterschie­dlichen rechtliche­n Bewertunge­n zwischen Land und Regionalve­rband solle schnell

„Der Besuch einer Schule ist ein Grundrecht.“

Traudel Hell Miteinande­r Leben Lernen

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FOTO: WEIGEL/DPA Der Schulbus holt Förderschü­ler morgens zu Hause ab, wenn sie nicht alleine zur Schule kommen können. Manche Kinder benötigen jedoch eine eigene Begleitper­son.

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