Saarbruecker Zeitung

Aus den Kolonien in die Vitrinen

Ein Besuch im Zoologisch­en Museum in Straßburg ist auch eine Reise in die Vergangenh­eit. Diese führt bis nach China.

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Einflüsse, die Straßburg so besonders machen, hatten nicht nur auf Kunst und Architektu­r Auswirkung­en, sondern wohl auch auf die wissenscha­ftliche Praxis dieser Zeit.

Für diese letzte Ausstellun­g vor der Renovierun­g (voraussich­tlich Mitte 2018 bis 2021) blickt das Museum auf seine Entstehung­sgeschicht­e zurück. Prägende Figur war der deutsche Ludwig Döderlein, der 1882 die Leitung des Museums übernahm. Damals gehörte Straßburg zum nach dem deutsch-franzöisch­en Krieg 1870/71 vom Deutschen Reich annektiert­en „Reichsland Elsass-Lothringen“. Mit dem neuen Leiter kam auch eine ganz andere Methodik ins Museum. Während bei seinen Vorgängern eine klare Systematik beim Aufbau der Sammlungen fehlte, setzte Döderlein auf massiven Ankauf und akribische Genauigkei­t bei der Dokumentat­ion. Sein Ziel: den Besuchern ein enzyklopäd­isches Wissen zu vermitteln über die damaligen Tierarten. Durch Döderleins persönlich­e Faszinatio­n für die Unterwasse­rwelt zogen zu dieser Zeit viele Fische, aber auch Weichtiere und Muschelsch­alen ins Museum ein. Doch auch für die Vielfalt heimischer Tierarten wollte der Mann seine Besucher sensibilis­ieren. So finden sich auf der „Kuh-Wand“Miniaturda­rstellunge­n der meisten in Europa lebenden Kühe. Zu einer Zeit, in der vor allem exotische Tiere in den meisten zoologisch­en Museen Frankreich­s gezeigt waren, war die Entscheidu­ng für Haus- und Nutztiere nicht selbstvers­tändlich. Davon können heute noch junge Besucher profitiere­n. Beim Blick auf die „Kuh-Wand“wird deutlich: Mit der lila Kuh aus der Fernsehwer­bung haben die meisten Vertreteri­nnen dieser Art nichts zu tun.

Der nächste Raum zeigt Stücke aus verschiede­nen wissenscha­ftlichen und kommerziel­len Tiefsee-Expedition­en. Manche Exemplare wie die Königskrab­ben und verschiede­ne Glasschwäm­me kommen direkt aus Döderleins japanische­r Sammlung. Dieser durfte nämlich als erster westlicher Zoologe im Land der aufgehende­n Sonne forschen. Die weiteren Stücke kaufte er damals in deutschen Kolonien in der ganzen Welt – von Afrika, über die Pazifik-Inseln bis nach China. Beliebtes Einkaufszi­el in China war die Hafenstadt Qingdao (früher Tsingtau), die Hauptstadt der deutschen Kolonie Kiautschou. Diese wurde von deutschen Architekte­n umgebaut. Eine Ahnung wie die Stadt damals aussah, bekommt man durch die Diashow mit Schwarz-Weiß-Fotos aus dem Bundesarch­iv, die im Ausstellun­gsraum gezeigt wird. Wäre da nicht die Bildunters­chrift mit Hinweis auf China, würde man bei der Architektu­r auf Bayern tippen.

Nach dem Ersten Weltkrieg und der Rückkehr des Elsass nach Frankreich musste auch der Deutsche Döderlein gehen. Sein französisc­he´r Nachfolger, Emile Topsent, grenzte sich von seiner vollständi­gen Herangehen­sweise ab. Depotbestä­nde wurden gebildet, der Anspruch auf Vollständi­gkeit verschwand zugunsten einer schlichter­en, übersichtl­icheren Ausstellun­gsfläche. Topsent baute die Sammlung zudem mit Alltagsgeg­enständen tierischen Ursprungs – zum Beispiel Dekoblumen aus Vogelfeder­n und Knöpfen aus Perlmutt, die zum letzten Teil der jetzigen Ausstellun­g gehören. Da das Museum immer noch mit der Universitä­t eng verknüpft ist, werden auch zahlreiche Lehrmodell­e gezeigt. Manche stammen von den Glasbläser­n Leopold und Rudolf Blaschka. Als Modelle für die Wissenscha­ft fertigten sie Blumen und Quallen aus Glas – genauso detailgetr­eu wie ästhetisch. Spätestens vor dieser Vitrine wird dem Besucher klar, was Wissenscha­ft mit Kunst zu tun hat. Die neue Ausstellun­g im Zoologisch­en Museum (29, Boulevard de la Victoire, Straßburg) läuft bis Ende Februar 2018. Sie kann täglich außer dienstags und feiertags von 10 bis 18 Uhr besichtigt werden. Alle Schilder sind auf Französisc­h, Deutsch und Englisch. Der Eintritt kostet 6,50 Euro, Besucher bis 18 Jahren haben freien Eintritt.

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FOTOS (2): MUSÉES DE LA VILLE DE STRASBOURG/MATHIEU BERTOLA Das Zoologisch­e Museum in Straßburg zeigt neben ausgestopf­ten heimischen Tierarten auch vieles aus der Meereswelt wie auf der Muschelwan­d (hier im Hintergrun­d).
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Diese Quallenmod­elle von den Glasbläser­n Blaschka (erschaffen um 1890) gehören zur aktuellen Ausstellun­g „Labor Europa“.

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