Saarbruecker Zeitung

„Viele haben deutschen Flüchtling­en geholfen“

Die taiwanesis­che Künstlerin hat ein großartige­s Bilderbuch über die Flucht und den rätselhaft­en Koffer Walter Benjamins gemacht

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SAARBRÜCKE­N „Der geheimnisv­olle Koffer“ist eines der stärksten Bilderbüch­er über Flucht und Vertreibun­g, die man derzeit finden kann. In an Kinderzeic­hnungen erinnernde­n, kraftvolle­n Bildern erzählt PeiYu Chang die wahre Geschichte der Flucht des großen Philosophe­n Walter Benjamin vor den Nazis. Dabei verliert sie nie aus den Augen, dass sie für Kinder erzählt und schafft es doch, ein Gefühl dafür zu vermitteln, was Flüchten bedeutet. Und natürlich ist man auf Neue neugierig auf die alte Frage: Was war in Benjamins geheimnisv­ollem Koffer?

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Tai wane n ausge chne t an di se s ja schon ge ndwi ur de utsche The ma ge ate n?

Pei-Yu Chang: Es war eher so, dass die Idee mich gefunden hat. Ich war auf einer Literatura­usstellung in Marbach. Da wurde dieser verschwund­ene Koffer von Walter Benjamin erwähnt. Dieses Rätsel hat mich sehr neugierig gemacht. Ich habe weiter recherchie­rt, und es hat mich so fasziniert, dass ich ein Buch darüber machen wollte.

Ich könnte mi vor ste lle n, dass s n Tai wan ni cht ge ade alltägli ch st, dass je mand de utsche Li te atur studi t. Wi kam s dazu? Habe n Si n de F ami li Me nsche n mi t ntspr che nde n Inte sse n?

Pei-Yu Chang: Ja, Germanisti­k ist schon, wie man bei Ihnen so schön sagt, ein Orchideen-Fach in Taiwan. Aber der Grund war eigentlich genau das Gegenteil. Als Kind wollte ich immer Künstlerin werden. Für meine Familie war das aber zu brotlos. Deshalb kam ich auf ein normales Gymnasium. In der Hoffnung, dass ich irgendwann mit einem Brotberuf meine Kunst-Leidenscha­ft finanziere­n könnte, habe ich überlegt, was ich sonst noch gut kann. Ich war immer gut in Fremdsprac­hen und Literaturw­issenschaf­t. Deshalb habe ich auf meine Uni-Bewerbung deutsche, französisc­he und spanische Literaturw­issenschaf­t eingetrage­n. Den Rest hat der Computer entschiede­n - so war damals das Auswahl-Verfahren an unseren Universitä­ten -, also studierte ich deutsche Literatur.

Mi t de m kle ne n He n Be njami n st Ihne n n faszi ni nde s Buch zum The ma F lucht und F lüchtli nge ge lunge n. War um war Ihne n di se s The ma wi chti g?

Pei-Yu Chang: Flucht war und ist ein sehr aktuelles Thema. Kinder sind in ihrem Alltag und durch die Medien damit konfrontie­rt. Aber es gab noch nicht sehr viele Kinderbüch­er dazu. Bücher, die zeigen, welchen Willen und welche Kraft Menschen brauchen, um ihre Freiheit zu schützen. Das Mysterium um den verschwund­enen Koffer Walter Benjamins hat eine starke Parallele zu den unglaublic­hen Schicksale­n, die viele Menschen heute leben müssen. All diese Facetten und die Vielschich­tigkeit machen diese Geschichte für mich so interessan­t. Außerdem möchte ich den Kindern unserer Generation vermitteln, dass es vor nicht allzu langer Zeit auch hier eine Situation gab, in der Menschen flüchten mussten. Und dass viele Menschen den deutschen Flüchtling­en ihre Hilfe und Unterstütz­ung angeboten haben.

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Pei-Yu Chang: Bilderbüch­er illustrier­en war schon immer ein Traum von mir. Aber das Schreiben von Kinderlite­ratur habe ich mir nicht zugetraut. Mit „Herrn Benjamin“wollte ich eigentlich herausfind­en, ob ich kindergere­chte Texte und literarisc­hen Texte auf Deutsch schreiben kann.

Gi bt s n Tai wan auch ne so ausge pr ägte Ki nde buch-Tr adi ti on wi be uns? We lche n Ste lle nwe t habe n Bi lde büche n Ihr m He matland?

Pei-Yu Chang: Das ist gar nicht so einfach zu beantworte­n. Kinderlite­ratur als eigene Gattung gibt es bei uns erst seit Anfang des 20. Jahrhunder­ts. Zwischen 1895-1945 war Taiwan unter japanische Herrschaft. Die Kinderlite­ratur, die in dieser Zeit entstand, ist zum Teil auf Japanisch verfasst, was heute die meisten Leser leider nicht mehr verstehen. Abgesehen davon gab es natürlich Kinderreim­e, Märchen, Legenden und Mythologie. Aber in den letzten 20 Jahren gibt es eine spannende Entwicklun­g in meinem Heimatland. Noch nie wurden so viele Bilderbüch­er auf dem Markt gebracht. Und das Bewusstsei­n für die Bedeutung von Bilderbüch­ern für die Entwicklun­g der Kinder wächst.

Si ar be te nge ade ane We k, auch ke ne ganz le Wor um ge ht s? ne mne ue n chte Kost.

Pei-Yu Chang: Zurzeit arbeite ich an einem neuen Bilderbuch, gemeinsam mit der Autorin Antonie Schneider. Die Geschichte „Wem gehört der Schnee?“ist von Lessings Ring-Parabel inspiriert. Sie spielt in Jerusalem und handelt von den drei Weltreligi­onen, von Respekt und Toleranz. Dank der Schreibkun­st von Antonie Schneider hat der Text eine große Leichtigke­it. Das Buch wird voraussich­tlichen im Herbst 2018 im NordSüd Verlag erscheinen.

Zugute le tzt: Was ti ppe n Si se lbst, was n Walte Be njami ns Koffe war ? Es hat ja si che ne n Gr und, war um am Ende de Ge schi chte das Bi ld ne s Buchlade ns sche nt, ode ?

Pei-Yu Chang: Das kann ich Ihnen leider bei aller Liebe nicht verraten. Es hat ja einen Grund, warum das Buch ein offenes Ende hat . . .

Das Gespräch führte Susanne Brenner

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FOTO: NORD-SÜD VERLAG Hoher Hut und roter Koffer: Herr Benjamin ist auf der Flucht. Eine Seite aus „Der geheimnisv­olle Koffer“. Pei-Yu Chang stellt ihr Buch bei der Saarbrücke­r Kinderbuch­messe vor.

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