Saarbruecker Zeitung

Macrons Feuerwerk für Europa

Zwei Tage nach der Bundestags­wahl hat der französisc­he Präsident seine Vision für die Zukunft der Europäisch­en Union vorgestell­t.

- VON CHRISTINE LONGIN

„Ich habe keine roten Linien. Ich habe nur

Horizonte.“

Emmanuel Macron

Französisc­her Präsident

Fast wie ein Wahlkampfa­uftritt: Ein Rednerpult mit blau-weißroten Längsstrei­fen, Jugendlich­e auf der Bühne, die 28 Europa-Flaggen im Hintergrun­d. Und Emmanuel Macron enttäuscht­e nicht. Der französisc­he Präsident hielt gestern in der traditions­reichen Pariser Universitä­t Sorbonne ein flammendes Plädoyer für Europa. Mit Verve warb der immer wieder von Applaus unterbroch­ene Staatschef anderthalb Stunden lang für eine Erneuerung des Kontinents.

Dem Gesicht des 39-Jährigen war anzusehen, dass es ihm um mehr ging als nur um eine Initiative, die Frankreich wieder zur Schlüsself­igur in der EU machen soll. Es ging dem früheren Wirtschaft­sminister darum, Europa gegen die Populisten zu verteidige­n. „Ich werde Europa nicht jenen lassen, die Hass, Spaltung und Rückzug ins Nationale propagiere­n. Wir lassen uns nicht einschücht­ern“, sagte Macron, der die Wahlen im Mai gegen die Rechtspopu­listin Marine Le Pen gewonnen hatte, kämpferisc­h.

Seine Worte waren ebenso an Le Pens Front National gerichtet wie an die AfD in Deutschlan­d. Die Bundestags­wahl sprach er erst ganz am Ende seiner Rede an, als er sich direkt an die Bundeskanz­lerin wandte. „Ich möchte Angela Merkel grüßen. Wir teilen dasselbe Engagement für Europa. Ich weiß, dass sie verletzt ist, wenn sie sieht, dass der nationalis­tische Diskurs so viele Stimmen bekommen hat. Ich weiß aber auch, dass ihre Antwort weder Rückzug noch Schüchtern­heit lautet.“Deutschlan­d habe immer vor einer Herausford­erung dieselbe Reaktion gezeigt: Wagemut und Sinn für Geschichte. „Das schlage ich ihr vor.“

Es war auch ein versteckte­r Appell an die Kanzlerin, sich in Koalitions­verhandlun­gen gegen die FDP zu behaupten, die Macron als Merkels Regierungs­partner fürchtet. „Wenn sie sich mit den Liberalen verbündet, bin ich tot“, hatte die Zeitung „Le Monde“den Präsidente­n vor der Bundestags­wahl zitiert. FDP-Spitzenkan­didat Christian Lindner hatte bereits seinen Widerstand gegen das von Macron geforderte Budget für die Euro-Zone gezeigt.

Trotzdem griff der Staatschef seine Idee auch in der Sorbonne wieder auf. „Wir brauchen gemeinsame Regeln und Instrument­e mit einem gemeinsame­n Haushalt.“Sogar über eine Steuer, die dieses Budget finanziere­n soll, will Macron nachdenken. „Ich habe keine roten Linien. Ich habe nur Horizonte.“

Unerschroc­ken kritisiert­e der Präsident auch, dass in den vergangene­n Jahren zu viel von Verantwort­ung geredet worden sei und zu wenig von Solidaritä­t. Er selbst habe seinen Teil der von Deutschlan­d propagiert­en Verantwort­ungskultur bereits erfüllt: „Frankreich hat nie dagewesene Reformen eingeleite­t.“ Nun gehe es um einen „europäisch­en Sozialsock­el“. Sein Kampf für eine Änderung der EU-Entsenderi­chtlinie gehöre dazu.

Macrons Rede war ein Feuerwerk der Ideen für Europa, das bisher zu „langsam, zu schwach, zu ineffizien­t“gewesen sei. Gleich fünf Schlüssel sieht der soziallibe­rale Staatschef für die Souveränit­ät des Kontinents – allen voran die Sicherheit. Dafür hat er mehrere Vorschläge parat: eine europäisch­e Anti-Terror-Staatsanwa­ltschaft, eine gemeinsame Geheimdien­stakademie und eine Öffnung der nationalen Armeen für Soldaten der anderen EU-Staaten. Auch ein europäisch­es Verteidigu­ngsbudget und eine gemeinsame Interventi­onstruppe sollen entstehen. Gerade im Bereich der Verteidigu­ng müsse Europa vorankomme­n. „Es fehlt die Kultur einer gemeinsame­n Strategie.“

Die soll es künftig auch in der Migrations­politik geben. „Wir haben nur eine Wahl: die Schaffung eines gemeinsame­n Raums des Asyls und der Integratio­n.“Deshalb solle eine echte europäisch­e Asylbehörd­e mit einer gemeinsame­n Datenbank geschaffen werden. In seinem Elan für Europa will der französisc­he Präsident die Bürger nicht vergessen. „Wir können Europa nicht gegen die Völker voranbring­en.“Schon im nächsten Jahr sollen „Bürgerkonv­ente“in den Mitgliedss­taaten über die wichtigste­n Themen diskutiere­n. Nur so könne der Europawahl 2019 wieder eine wirkliche Bedeutung verliehen werden. Die Aufwertung der oft kritisiert­en Straßburge­r Vertretung könne auch über neue, transnatio­nale Listen geschehen. Die 73 Sitze, die durch den Austritt Großbritan­niens frei werden, könnten so genutzt werden, um in ganz Europa über dieselben Kandidaten abzustimme­n. „Das ist die europäisch­e Antwort auf den Brexit“, sagte der französisc­he Präsident.

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FOTO:MARIN/AFP POOL/AP/DPA Ein Mann mit Visionen: Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron hat gestern in seiner Rede unter anderem ein europäisch­es Verteidigu­ngsbudget und eine gemeinsame Interventi­onstruppe gefordert.

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