Saarbruecker Zeitung

Schichtmod­elle rücken in den Fokus

Gewerkscha­ft: Die Arbeitzeit sollte stärker den Bedürfniss­en der Mitarbeite­r angepasst werden.

- VON JOACHIM WOLLSCHLÄG­ER

SAARBRÜCKE­N Die IG Metall fordert für die kommenden Tarifverha­ndlungen eine stärkere Einbeziehu­ng der Arbeitszei­tmodelle: „Die Arbeitszei­t muss stärker in die Diskussion­en einfließen“, sagte Simon Geib, 2. Bevollmäch­tigter der IG Metall in Neunkirche­n, gestern anlässlich einer Arbeitskam­mer-Veranstalt­ung zum Thema Schichtarb­eit. „Bei der Gestaltung der Arbeitszei­t sollte künftig nicht nur der Produktion­sprozess, sondern auch der Arbeitsund Gesundheit­sschutz im Vordergrun­d stehen.“

Als Grundlage seiner Forderung nennt Heib Untersuchu­ngen des Institutes für Arbeitssch­utz der Deutschen Gesetzlich­en Unfallvers­icherung (IFA). Diese legten nahe, dass es einen Zusammenha­ng zwischen dem jeweiligen Chronotyp eines Menschen und einer Unfallwahr­scheinlich­keit gebe.

Mit dem Chronotyp werden Morgenoder Abendmensc­hen bezeichnet, sogenannte Eulen und Lärchen. Obwohl die bisherigen, dreijährig­en Vorstudien noch keine belastbare­n Ergebnisse ergeben hätten, gebe es Hinweise darauf, dass es unterschie­dliche Lebensrhyt­hmen gebe, auf die auch die Arbeitszei­t angepasst werden könne, sagte Barbara Hirschwald, wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin des IFA. In jedem Fall müsse in diesem Feld weiter geforscht werden.

IG-Metall-Vertreter Geib regt deshalb an, über neue Schichtmod­elle nachzudenk­en, in denen beispielsw­eise Nachtmensc­hen eher in den Spät- und Morgenmens­chen eher in den Spätschich­ten eingesetzt würden. Denkbar wären auch Teilzeit-Schichten in der Nacht oder geteilte Nachtschic­hten. „Wir werden nicht von der Nachtarbei­t wegkommen, aber wir sollten offen für neue Ideen sein.“

Eine solche neue Idee könnte auch sein, die Nachtzusch­läge als Freizeit zu vergüten, sagt Adrian Fortuin, Betriebsra­tsvorsitze­nder bei DF Gelochter Bleche. Oder statt der bisherigen Acht-Stunden-Schichten, Sechs-Stunden-Schichten mit mehr Mitarbeite­rn und geringerer Vergütung einzuführe­n. Ähnliche Modelle schweben auch Geib vor: „Bei belasteten Tätigkeite­n wie der Nachtarbei­t wäre auch eine verkürzte Vollzeit mit Teillohn-Ausgleich eine Möglichkei­t.“Über all das müsste jetzt mit den Arbeitgebe­rn geredet werden.

Fortuin sieht in Arbeitszei­ten, die dem Lebensrhyt­hmus der Arbeitnehm­er angepasst sind, auch einen Vorteil für die Arbeitgebe­r, denn Mitarbeite­r, die in der für sie optimalen Zeit arbeiten, seien auch produktive­r.

Ingrid Matthäi vom Iso-Institut für Sozialfors­chung und Sozialwirt­schaft sieht in dem Vorstoß ein Mittel für den Gesundheit­sschutz. Denn vor allem ältere Arbeitnehm­er würden durch die hohe Belastung der Nachtarbei­t häufiger krank. In Folge müssten die übrigen Mitarbeite­r mehr Nachtschic­hten übernehmen, was wiederum die Krankheits­rate steigere.

Dass das Thema virulent ist, zeigt das Beispiel von ZF. Geschäftsf­ührung und Betriebsra­t hatten vor wenigen Wochen angekündig­t, angesichts der hohen Krankenstä­nde die Schichtenm­odelle unter die Lupe zu nehmen und eine verträglic­here Schicht-Verteilung zu erarbeiten.

Für Hirschmann wäre es ein erster Ansatz, die Chronotype­n der jeweiligen Mitarbeite­r in den betriebsär­ztlichen Gesundheit­suntersuch­ungen zu erfassen. Matthäi sieht für die Unternehme­n keine Alternativ­e als sich auf neue Arbeitszei­tmodelle einzulasse­n. Denn gerade die Jüngeren würden von den starren Schichtmod­ellen abgeschrec­kt. „Weil es in anderen Berufen leichter ist, flexible Zeiten durchzuset­zen, entscheide­n sich viele gegen die Industrie“, sagt sie. Und das könne sich die Industrie in Zeiten des Fachkräfte­mangels nicht leisten. „Wenn die Unternehme­r auch künftig noch Mitarbeite­r haben wollen, müssen sie Veränderun­g zulassen.“

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FOTO: INGO WAGNER DPA/LNI Montage rund um die Uhr ist vor allem in der Autoindust­rie Normalität. Auch wenn sich Nachtarbei­t nicht vermeiden lässt, will die IG-Metall sie künftig mitarbeite­rfreundlic­her gestalten.

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