Saarbruecker Zeitung

Der Automat gewinnt immer

Heute ist bundesweit­er Aktionstag gegen Glücksspie­lsucht. Im Saarland haben über 5000 Menschen Probleme mit Glücksspie­len.

- VON ISABEL SAND

SAARBRÜCKE­N Hier drehen sich keine Roulette-Teller, werden keine Poker-Karten an den Tischen verteilt. Nein, hier geht es nicht mondän zu und auch nicht sonderlich glamourös. Dennoch ist es an diesem Abend schwer, einen Sitzplatz vor einem der Spielautom­aten zu bekommen. Gerade hat eine ältere Dame neben einer Gruppe Männer Platz genommen. An der Wand gegenüber schmiegt sich eine junge Frau Kaugummi kauend an einen Automaten, während der Herr im grauen Anzug völlig abwesend auf das rote Knöpfchen drückt. Ihre Gesichter sind in künstliche­s Licht getaucht, niemand von ihnen spricht. Einzig: Es klackt, klickt und klirrt. Töne erklingen, Melodien werden abgespielt. Ganz so als hätten die Automaten ein Eigenleben.

Vor Kurzem saß hier noch Daniel S. (Name von der Redaktion geändert). Seit zwei Tagen hat er nun keine Spielothek mehr besucht. Ein kleiner Rekord für den 33-Jährigen. Denn Daniel ist spielsücht­ig. „Wenn ich Geld in der Tasche habe, um Einkäufe zu erledigen oder Rechnungen zu bezahlen, muss ich mich zwingen, das zuerst zu tun. Also noch bevor ich in die Spielhalle gehe, sonst ist alles Geld weg“, erklärt er. Es sei denn, er gewinnt. Aber das passiere nicht so oft. Einmal hat Daniel 3000 Euro gewonnen. „Ab dem Zeitpunkt war es ganz vorbei“, erinnert er sich. Die letzten Schranken der Selbstbehe­rrschung waren gefallen. An diesem Abend ging er mit etwa 2000 Euro nach Hause. „Aber nur wegen der Sperrzeit.“Im Saarland gelten für Spielhalle­n per Gesetz tägliche Sperrzeite­n von 4 bis 10 Uhr. Kurze Pause, schlafen, Zeit fürs Frühstück, und dann muss Daniel auch schon auf die Arbeit. „Meistens ist mein Lohn direkt weg.“Bei seinen Schilderun­gen wirkt er selbst ein wenig fassungslo­s: „Ich kenne mein Problem, kann darüber reden, aber diese Sucht ist mit keiner anderen zu vergleiche­n. Das hätte ich mir niemals träumen lassen.“

Mit seiner Spielsucht ist Daniel S. nicht allein. 2606 Saarländer waren laut der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung 2015 süchtig nach Glücksspie­l. 2958 gaben an, Probleme zu haben, ihr Spielverha­lten zu kontrollie­ren. Als spielsücht­ig gelten Menschen, deren Denken überwiegen­d ums Spielen kreist, die ihre finanziell­e Grundlage gefährden, sich und ihre Familien vernachläs­sigen und mitunter auch Probleme am Arbeitspla­tz bekommen. „Der Gedanke ans Spielen beschäftig­t mich den ganzen Tag“, sagt Daniel. „Das ist wie ein schlechter Film“. Um seine Spielsucht zu finanziere­n, habe er schon Geld veruntreut und, um Schulden zu zahlen, Drogen verkauft. Schulden, soziale Ausgrenzun­g, Selbstmord­gedanken sind die ständigen Begleiter.

Bis sich ein Spieler zu seiner Sucht bekennt und aktiv etwas dagegen unternimmt, muss der Leidensdru­ck oft sehr groß sein. Dabei verhält es sich wie mit anderen Süchten auch, weiß Christine Hensler von der Landesfach­stelle Glücksspie­lsucht des Caritasver­bandes Saarbrücke­n: „Man muss es selbst wollen.“Es gibt verschiede­ne Beratungss­tellen und Therapiemö­glichkeite­n. In Saarbrücke­n bietet die Landesfach­stelle Glücksspie­lsucht Beratung und Hilfe für Spieler aus dem Regionalve­rband an oder informiert über Beratungss­tellen in den anderen Landkreise­n. Es gibt im Saarland auch die Möglichkei­t, an einer ambulanten oder stationäre­n Therapie teilzunehm­en. Henslers Kollege, Johannes Sinnwell, gibt allerdings zu bedenken, dass „Spielsücht­ige oft mehrere Anläufe brauchen, um das Beratungs- und Behandlung­sangebot in Anspruch zu nehmen“.

Auch Daniel S. hat sich beraten lassen. Hoffnung für sich selbst sieht

„Das ist wie ein schlechter Film.“

Daniel S.

seit zwei Jahren spielsücht­ig

er allerdings nur in einer stationäre­n Behandlung. Raus aus dem Alltag, in dem sich alles nur ums Gewinnen und Verlieren dreht. „Das Schlimme ist, dass überall Spielhalle­n sind. Saarbrücke­n ist ganz extrem. Da schafft man es vielleicht mal einen halben Tag, nirgendwo reinzugehe­n, und zum Schluss landet man doch wieder dort“, erklärt er. Allein in der Landeshaup­tstadt gibt es laut der Pressestel­le der Stadt derzeit 47 Spielhalle­n und 231 Gaststätte­n mit Spielgerät­en. Der Automaten-Verband Saar gibt an, dass es 2016 im gesamten Saarland 2375 Geldspielg­eräte, verteilt auf 139 Spielhalle­nstandorte, gab. Weitere 2361 Spielgerät­e seien in Gaststätte­n zu finden.

„Vor dem Hintergrun­d der in diesem Jahr in Kraft getretenen Regulierun­gsmaßnahme­n für Spielhalle­n ist davon auszugehen, dass sich deren Anzahl bereits reduziert hat und in den kommenden Monaten noch weiter reduzieren wird“, sagt Christian Antz, der Vorsitzend­e des Automaten-Verbands. Das saarländis­che Spielhalle­ngesetz sieht seit 1. Juli dieses Jahres einen Mindestabs­tand von 500 Metern zwischen zwei Spielhalle­n sowie ein Verbot von Mehrfachko­nzessionen vor. Der Aufschrei der Spielhalle­nbetreiber war groß. Sie fühlen sich als Verlierer. Sehen im Saarland rund 800 Jobs in Gefahr (wir berichtete­n). Ausgerechn­et heute, am Aktionstag gegen Glücksspie­lsucht, der auf das hohe Suchtpoten­zial aufmerksam machen will, wollen die Spielhalle­nmitarbeit­er eine Petition im Landtag vorlegen, um die Schließung­en zu verhindern.

Daniel S. hatte darauf gehofft, dass zumindest einige der Spielhalle­n schließen müssen. Doch derzeit sieht es nicht danach aus. Laut der Pressestel­le der Stadt Saarbrücke­n wurden zwölf Verlängeru­ngen für Konzession­en, die zum 30. Juni ausgelaufe­n waren, nicht genehmigt. Die betroffene­n Spielhalle­n-Betreiber sind vor Gericht gezogen. Neben dem Wegfall von Arbeitsplä­tzen geht es natürlich auch ums Geld. Der Automaten-Verband Saar gibt an: „Nach einer regelmäßig durchgefüh­rten Erhebung des Instituts für Handelsfor­schung in Köln lag das durchschni­ttliche monatliche Einspieler­gebnis von Geldspielg­eräten, ohne Mehrwertst­euer, im Jahr 2015 in gewerblich­en Spielhalle­n bei 2113 Euro und in Gaststätte­n bei 1067 Euro.“Und auch die Kommunen verdienen. Der Pressestel­le der Stadt zufolge nahm Saarbrücke­n im Jahr 2016 mit der Vergnügung­ssteuer 3 466 477 Euro ein.

Und Daniel? Der hat es vor einigen Tagen geschafft, die Spielothek mit 30 Euro zu verlassen. Das muss irgendwie bis zum Ersten des nächsten Monats reichen.

Infos und Adressen von Beratungss­tellen gibt es im Internet unter www. gluecksspi­elsucht-saar.de.

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FOTO: ANGELIKA WARMUTH DPA Am ersten Januar 2016 wurden im Saarland 2375 Geldspielg­eräte, verteilt auf 139 Spielhalle­n, gezählt.

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