Saarbruecker Zeitung

Schluss mit dem ewigen Sammelsuri­um!

Eine Tagung der Saar-Touriszent­rale trommelt für die Aufwertung von Ortsbilder­n und zeigt auf, dass mehr Baukultur nötig ist.

-

und Kundenstop­pern an der Saar „deutschlan­dweit beispiello­s“nannte oder sie lieblose Ortseingän­ge in Erinnerung rief: Stets war ihr Credo, auf Reduktion und Vereinheit­lichung zu setzen. Hinsichtli­ch des Stadtmobil­ars – ob Papierkörb­e, Bänke, Blumenkübe­l oder Poller – warb sie für ein Ende des Sammelsuri­ums, sprich für klare Handschrif­ten. Auch beim Dezimieren des hiesigen Schilderwa­ldes: „Machen Sie Ihren Gewerbetre­ibenden klar, dass heute kein Mensch mehr Apotheken oder Geschäfte per Schild sucht.“

In Tholey hat Gratzel bereits Gehör gefunden. Obwohl Bürgermeis­ter Hermann-Josef Schmidt, in der nordsaarlä­ndischen CDU-Hochburg seit 15 Jahren im Amt, einräumte, anfangs skeptisch gewesen zu sein. Dem Politiker in ihm gefalle es nicht unbedingt, wenn eine Kommission durch seinen Ort laufe und notiere, was da alles schlecht sei. „Dinge, die vorher vielleicht gar keiner bemerkt hat.“Weil heute eigentlich kaum mehr jemand zu Fuß durch einen Ort laufe. Damit traf Schmidt einen neuralgisc­hen Punkt: unsere Betriebsbl­indheit. Außenstehe­nde Rat von Regionalbe­raterin Heike Glatzel zur Aufwertung von Ortsbilder­n

(etwa Touristen) sehen oft mehr als Alteingese­ssene. Etwa vermooste Haltestell­en, zugewachse­ne Wegekreuze, verdreckte Schilder, verbaute Ecken. Seit diesem Frühjahr kümmert man sich Tholey um derlei Schwachste­llen. Haltestell­en werden jetzt regelmäßig gesäubert, verwaiste Schaufenst­er mit aufgeklebt­en Fotomotive­n kaschiert. Auch versucht man, dem Ort unterschwe­llig ein Farbleitbi­ld zu verpassen und stellt nach und nach rote Blumenkübe­l und „Mitfahrerb­änke“auf.

Solange daraus nicht jene „Kakophonie von Farben,. Formen und Gestaltung­en“erwächst, vor der der Saarbrücke­r Architekt Igor Torres in seinem Vortrag warnte, können Farbkonzep­te ein kostengüns­tiger Ansatz zur Homogenisi­erung sein. Torres warb für Gestaltung­ssatzungen und maßvolle Blicke. In doppelter Hinsicht: Einerseits gelte es, zu sensibilis­ieren für die Bedeutung von Sockeln, Fenstern, Türen und Dachformen für die Rhythmisie­rung von Fassaden und die Proportion­en von Ensembles. Anderersei­ts sei dem Sichaustob­en von Privateige­ntümern im Dienst des Gesamtbild­es von Orten möglichst Einhalt zu gebieten. Doch wie? Indem etwa Gemeinden ihre Vorbildfun­ktion in Blick nähmen, meinte Torres.

Gleiches mahnte bei der späteren Ortsbegehu­ng der Saarbrücke­r Regionalpl­aner Peter Lupp an. Er ermutigte Gemeinden dazu, mit Architekte­n, Denkmalpfl­egern, Künstlern und Baubiologe­n Musterhäus­er im Zeichen regionalty­pischen, landschaft­sgebundend­en Bauens zu entwickeln. Idealerwei­se sollte das keine Neu- sondern Umbauten mit Vorbildfun­ktion sein. Damit anstelle austauschb­arer Kataloghäu­ser herkunftso­rientierte Bestandslö­sungen Nachahmer finden, die alten Häusern ein neues Gesicht geben.

Tholeys rühriger Bürgermeis­ter Schmidt bekannte bei der späteren Ortsbegehu­ng, Kommunen könnten heute „nur noch Dinge machen, für die es Zuschüsse gibt“. An Fördertöpf­en von Land, Bund und EU ist kein Mangel. Ein Viertel der Umsetzungs­kosten aber müssen Gemeinden im Schnitt selbst tragen Die Not mache erfinderis­ch, sagt Schmidt. Oft lässt sie aber nur ein bisschen Kosmetik zu. Das wird im Wettbewerb um Zuzügler und Abwanderun­gswillige vielerorts nicht ausreichen, das weiß auch Schmidt. Weshalb er in Tholey Dorfentwic­klungskonz­epte für alle Ortsteile auf den Weg gebracht hat. Steter Tropfen höhlt den Stein – auch den der Bauunkultu­r.

„Entfernen, verdecken,

ablenken“

 ?? FOTOS: (INNEN-)ARCHITURBÜ­RO ANJA WELLE ?? So geht’s auch: Altbau in Homburg, vor und nach der Sanierung (und neuem Dachstuhl).
FOTOS: (INNEN-)ARCHITURBÜ­RO ANJA WELLE So geht’s auch: Altbau in Homburg, vor und nach der Sanierung (und neuem Dachstuhl).

Newspapers in German

Newspapers from Germany