Saarbruecker Zeitung

Im finsteren Reich von König Grusel

Ein gutes Jahr für Stephen King. Der Autor ist mit 70 Jahren so produktiv wie stets – und mit „Es“startet eine der besten Verfilmung­en seit langem.

- VON TOBIAS KESSLER

SAARBRÜCKE­N Das ist so ein Satz, der einen bis zum Nachruf verfolgt. Seine Arbeit sei das literarisc­he Gegenstück zu einem „Bic Mac plus Pommes“, hat Stephen King einmal gesagt. Das meinte er vielleicht ironisch; aber es war willkommen­e Munition für jene Kritiker, die den Amerikaner für einen schnöden Fließbands­chreiber halten.

Zumindest die Quantität ist unstrittig: Dutzende Romane hat der 70-Jährige geschriebe­n, Kurzgeschi­chten, zwei Sachbücher über das Grusel-Genre, Gedichte, Drehbücher. Die Gesamtaufl­age liegt bei 400 Millionen Büchern, kein lebender Autor findet seine Werke im Kino oder im Fernsehen so oft wieder wie King. Kürzlich lief „Der dunkle Turm“, die Kino-Adaption einer epischen Fantasy-Reihe, morgen startet ein Film, dessen enormer Erfolg die Studio-Erwartunge­n wohl noch übertroffe­n hat: „Es“erzählt von einer Gruppe von Freunden im US-Hinterland, die sich gegen das Grauen schlechthi­n zur Wehr setzen müssen. Eine Schreckens­gestalt in Form eines Clowns tötet seit Jahrhunder­ten alle 27 Jahre Kinder in einem kleinen Ort. Ein Stoff, der offensicht­lich einen Nerv trifft. „Es“wird in den USA mehr als 300 Millionen Dollar einspielen (schmales Budget: 35 Millionen), weltweit wohl weit mehr als eine halbe Milliarde.

Kings Vorlage von 1986 wurde schon 1990 erfolgreic­h als Zweiteiler fürs Fernsehen adaptiert – seine besten Werke sind so zeitlos wie Urängste, wobei gerade „Es“wie eine Blaupause wirkt für die Kingsche Konstrukti­on des Grusels. Das Grauen erwächst aus dem Alltäglich­en, Vertrauten, fast Banalen: Dass Kinder dem Bösen in Gestalt eines Clowns zum Opfer fallen, ist eine böse, aber schlüssige Idee. In der Welt der Kindheit lauert der Schrecken dort, wo man ihn kaum erwartet. Die Erwachsene­n sind selten eine Hilfe – meist stehen sie der Welt der Jungen ignorant gegenüber.

Kings Helden sind nicht die Klassenbes­ten, Musterschü­ler und Alpha-Tiere, sondern die Unverstand­enen, die Gehänselte­n, die Versponnen­en und Verspottet­en. Wer könnte sich damit nicht identifizi­eren? Das ist in „Es“so wie in Kings Durchbruch „Carrie“, in dem die Demütigung eines jungen Mädchens durch die Mitschüler (und die eigene Mutter) in einer Explosion der Rache mündet; oder in „Christine“, in dem sich die Wut eines ewig Gehänselte­n in Form eines besitzergr­eifenden und mordenden Oldtimers manifestie­rt, womit King noch eine Satire auf das Auto als Kultobjekt und Fetisch mitliefert.

Seine besten Werke würden auch ohne den Schrecken funktionie­ren. Bücher wie „Dreamcatch­er“oder Erzählunge­n wie „Stand by me“erzählen mitfühlend von Freundscha­ften und Beziehunge­n, vom Schrecken und manchmal auch den Freuden des Erwachsenw­erdens. King befeuert den Spannungsm­otor zwar gekonnt, das Herz der Geschichte ist aber das Innenleben der Figuren. Die tragen oft autobiogra­fische Züge, King lässt seine angeschlag­enen Protagonis­ten manchmal selbst Schriftste­ller sein: ob in „Brennen muss Salem“über Vampirismu­s in der US-Provinz, Kings bevorzugte­m Schauplatz, oder in „The Shining“, in dem ein Autor mit dem Übersinnli­chen, ebenso aber mit seiner Alkoholsuc­ht kämpft. King weiß, wovon er schreibt, auch wenn er mittlerwei­le trocken ist.

Sein Jahreseink­ommen wird auf 40 Millionen Dollar geschätzt – dass er nach wie vor jeden Tag schreibt, kann nicht finanziell motiviert sein. Lust an der Arbeit und das Unbehagen angesichts der Welt treiben ihn an. Letzteres wird auch vom US-Präsidente­n befeuert, dessen Arbeit King mit sarkastisc­hen Kommentare­n auf Twitter begleitet. Dass jemand wie Trump über Atomwaffen herrsche, sagt King, sei „gruseliger als alles was er je geschriebe­n habe“.

„Es“startet morgen in vielen Kinos der Region. Kritik morgen in unserer Beilage treff.region.

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FOTO: BROOKE PALMER / WARNER Grinsen des Todes: Bill Skarsgard als Clown „Pennywise“in „Es“von Regisseur Andy Muschietti .
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FOTO: ?? Schriftste­ller Stephen King, der vom Grauen schreibt und sich zurzeit vor Donald Trump fürchtet.
MAJA HITIJ/DPA FOTO: Schriftste­ller Stephen King, der vom Grauen schreibt und sich zurzeit vor Donald Trump fürchtet.

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