Saarbruecker Zeitung

Im Grenzgebie­t der Leseförder­er-Seligkeit

Der Umzug vom Schloss in die Alte Kirche hat sich bewährt: Eindrücke vom ersten Tag der Saarbrücke­r Kinderbuch­messe.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

SAARBRÜCKE­N „Liebe Damen und Herren der Bauaufsich­t und des Ordnungsam­tes, vielleicht haben Sie auch ja Kinder und können sich vorstellen, wie das wäre, wenn es hier haufenweis­e Sitzkissen gäbe und der ganze Raum mit Lampen, Wandstoffe­n, Teppichen, einer Getränkeba­r und so weiter dekoriert wäre – und es gar richtige Lesehöhlen gäbe, in die man zum Lesen hineinkrie­chen könnte.“So ähnlich könnte ein weltfremde­r Bettelbrie­f anfangen, den abzuschick­en natürlich keinen Sinn macht. Leben wir nicht im Land unzähliger Verordnung­en und allüberall lauernder Gefahren? Ja.

Trotzdem muss man der Baufsicht ein Lob ausspreche­n, weil sie (anders als in den Vorjahren am alten Messestand­ort Schloss) diesmal gnädigerwe­ise einen Hauch Atmosphäre zuließ in der Alten Kirche, wo bis Sonntag die Europäisch­e Kinderund Jugendbuch­messe (KiBu) gastiert. Weder sah das Ordungsamt den Saarbrücke­r Luftraum in Gefahr, weil die Messeleitu­ng es wagte, auf dem Cora-Epstein-Platz vor der Kirche Wimpel zu spannen. Noch nahm die Bauaufsich­t Anstoß an der Handvoll Sitzgelege­nheiten oben im Konzertsaa­l, wo man sich auf gepolstert­en Holzpalett­en niederlass­en kann. Mit einem Buch etwa?

Wie das so ist, wenn klassenwei­se Kinder diesen mit Tapezierti­schen und Holzregale­n voller Bücher bestückten Saal stürmen, stellte sich das Idealbild aller Leseförder­er dieser Welt gestern Vormittag nicht ein: in Bücher versunkene Stepkes, die das (phasenweis­e) Tohuwabohu um sich vergessen. „So was sehen Sie aber am Wochenende, wenn Eltern mit ihren Kindern kommen“, meint Astrid Rech, die die KiBu im zehnten Jahr leitet. Was die Frage aufwirft, ob alle Lehrer und Erzieher der rund 100 angemeldet­en Klassen und Kindergart­engruppen ihre Schäfchen auf solch eine Buchmesse ausreichen­d vorbereite­n und sie vor Ort dazu animieren, sich mal ein Buch zu schnappen und – auch das soll es auf einer Buchmesse ja geben – reinzulese­n? „Manche Lehrer sind da überforder­t, manche geben ihre Verantwort­ung auch gleich unten am Eingang ab“, befindet Astrid Rech.

Aber genug des Mäkelns – der Umzug vom Schloss in die Alte Kirche hat der Messe sichtlich bekommen: keine sterilen Verlagskoj­en mehr, keine Kassenhall­enatmo. Statt dessen thematisch geordnete Areale von Sach- über Bilderbüch­ern bis hin zu Regalen und Tischen mit Neuerschei­nungen für Leseanfäng­er, für „geübte Leser“oder für an Fremdsprac­hlichem Interessie­rten. Wer suchet, der findet. Etwa hinreißend illustrier­te Bücher wie die Kennedy-Lebensgesc­hichte „John F. Kennedy: Zeit zu handeln“von Shana Corey/R. Gregory Chrisite“(Nordsüd Verlag), die Obdachlose­n-Bildergesc­hichte „Stromer“von Sarah V/Claude Dubois

„Wir haben einen guten Ruf bei den Verlagen. Ihre Autoren werden hier wie

Könige behandelt“

Messeleite­rin Astrid Rech

(Moritz Verlag) oder das in bester Grüffelo-Tradition stehende Bilderbuch „Der Troll und die wilden Piraten“von Julia Donaldson/David Roberts (Knesebeck). Wer heute noch zu stöbern weiß, wird fündig und sich etwa festlesen in herausrage­nden Graphic Novels wie „Zweite Generation: Was ich meinen Vater nie gefragt habe“von Michel Kichka (Egmont) oder Kirsten Reinhardts sehr empfehlens­wertem, eine „drangsalös­e Misere“beschreibe­nden Fast-Jugendbuch „Der Kaugummigr­af“(Carlsen).

Und weil zu einer Buchmesse auch Lesungen und leibhaftig­e Autoren und Illustrato­ren gehören (zwei Dutzend sind angereist, immerhin fast die Hälfte aus dem Ausland), sah man gestern im Erdgeschos­s der Kirche und nebenan im Evangelisc­hen Gemeindeze­ntrum gut besuchte Vorlese-Sit-Ins – wenn auch hinter verschloss­enen Türen, was irrigerwei­se vermuten lassen konnte, es sei wenig los.

Bedauerlic­h ist, wie unprofessi­onell die gestrige Premiere der neuen Gesprächsr­eihe „Forum“über die Bühne ging, bei der Autoren und Bildkünstl­er mittags um Zwölf interviewt werden: Der spanische Ilustrator und Dauer-Messegast Ignasi Blanch war wegen Mikroprobl­emen kaum zu verstehen, auch gab es keinerlei Gesprächsr­ahmen – weder ein Sofa, auf dem Blanch und Messe-Pressefrau Svenja Burmann Platz nehmen konnten, noch ein sichtbares Auditorium. Doch gelobte Astrid Rech gestern sogleich Besserung. Verbuchen wir es unter dem bekannten, improvisat­orischen Saarbrücke­r Messe-Charme. Der zeigte sich einmal mehr am Nachmittag, als die spanischen Illustrato­rengäste oben auf Holzleiter­n herumwerke­lten – beschäftig­t mit der Verschöner­ung der Konzertsaa­l-Empore, wo man sich an die Bemalung der schwarzen Bühnenkuli­ssen der HfM-Opernklass­e machte. Wie sagte Comic-Verleger Eckart Schott, der seit Jahren hier ausstellt, gestern doch? „Saarbrücke­n ist ’ne nette, kleine Messe.“

 ?? FOTO: RICH SERRA ?? Blick auf eine zweisprach­ige Buchvorste­llung, auf Deutsch und Französisc­h, gestern in der Alten Kirche.
FOTO: RICH SERRA Blick auf eine zweisprach­ige Buchvorste­llung, auf Deutsch und Französisc­h, gestern in der Alten Kirche.

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