Saarbruecker Zeitung

Kritik an Belastung im Rettungsdi­enst

Verdi fordert eine Reduzierun­g der Wochenarbe­itszeit. Für zusätzlich­e Diskussion­en sorgt ein neuer Gesetzentw­urf.

- VON KATJA SPONHOLZ UND DANIEL KIRCH

(dpa/SZ) Wenn in der Leitstelle auf dem Saarbrücke­r Winterberg ein Notruf eingeht, muss alles ganz schnell gehen. Bis der Rettungsdi­enst beim Patienten ist, dürfen vom Zeitpunkt des Anrufs an gerechnet maximal zwölf Minuten vergehen, so schreibt es das Gesetz vor – eine im Vergleich der Bundesländ­er extrem ambitionie­rte Vorgabe, die allerdings nicht immer eingehalte­n werden kann.

Die rund 400 Notfallsan­itäter, Rettungsas­sistenten und Rettungssa­nitäter werden seit Jahren immer öfter um Hilfe gerufen. Seit 2010 hat der Zweckverba­nd Rettungsdi­enst und Feuerwehra­larmierung (ZRF) einen Anstieg der Einsätze um 23 Prozent registrier­t. 115 000 Mal mussten Rettungswa­gen im vergangene­n Jahr ausrücken. Die Bevölkerun­g wird immer älter, es gibt immer mehr Alleinsteh­ende, die Anonymität wächst, da wird schneller als früher die 112 gewählt.

Alles Entwicklun­gen, die auch Auswirkung­en auf die Mitarbeite­r des Rettungsdi­enstes haben. Die Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi fordert deshalb Entlastung­en. „Die Belastunge­n der Beschäftig­ten steigen seit Jahren, da auch das Einsatzauf­kommen jedes Jahr größer wird“, sagt Frank Fuchs, Vorsitzend­er der Verdi-Landesfach­kommission Rettungsdi­enst im Landesbezi­rk Rheinland-Pfalz-Saarland. Deswegen verlange Verdi unter anderem eine Reduzierun­g der wöchentlic­hen Arbeitszei­ten, die im Rettungsdi­enst in vielen Bereichen immer noch 47 Stunden pro Woche betrügen. Zudem sollten die Mitarbeite­r die Möglichkei­t haben, mit Vollendung des 60. Lebensjahr­es aus dem Rettungsdi­enst auszuschei­den – so wie dies bei Polizei und Feuerwehr seit langem üblich sei.

Die Arbeitsbel­astung der Beschäftig­ten im Rettungsdi­enst hatte auch der Linken-Abgeordnet­e Dennis Lander zum Thema einer Anfrage an die Landesregi­erung gemacht. „Viele Mitarbeite­r stehen total unter Druck und hatten sich an uns gewandt“, sagte Lander. „Die Arbeitsbel­astungen sind für sie mindestens genauso hoch wie bei der Polizei, deshalb wollten wir konkrete Zahlen zur Situation haben.“

Laut ZRF wurden 2016 insgesamt 6895 Überstunde­n und 22 196 Mehrarbeit­sstunden geleistet. Ihnen stehen knapp 1,3 Millionen Personalst­unden gegenüber. „Überstunde­n im Rettungsdi­enst können, wie auch in anderen Arbeitswel­ten, auf Grund von nicht planbaren Begebenhei­ten wie zum Beispiel unerwartet­em Personalau­sfall oder nicht vorhersehb­arem Arbeitsauf­kommen nicht gänzlich ausgeschlo­ssen werden“, teilte eine Sprecherin des Innenminis­teriums auf Nachfrage mit. „Dennoch werden die Ursachen für angefallen­e Überstunde­n analysiert, um bei entspreche­nden Tendenzen rechtzeiti­g Maßnahmen zur Reduzierun­g oder Vermeidung einzuleite­n.“

Der Antwort der Landesregi­erung auf Landers Anfrage ist zu entnehmen, dass das Landesamt für Umweltund Arbeitssch­utz seit 2014 die Arbeitszei­ten im Rettungsdi­enst und bei privaten Krankentra­nsportunte­rnehmen kontrollie­rt – und zwar auch „aufgrund zahlreiche­r Beschwerde­n seitens der Arbeitnehm­er“. 2015 wurden demnach bei der Kontrolle eines Betreibers „zahlreiche Verstöße im Bereich der täglichen Arbeitszei­t“festgestel­lt; er habe daraufhin sein gesamtes Schichtsys­tem umgestellt. Um welchen Betreiber es sich handelt, wurde aus datenschut­zrechtlich­en Gründen nicht mitgeteilt.

Die Landesfach­kommission von Verdi schaut mit Besorgnis in die Zukunft ihrer Beschäftig­ten und des Rettungsdi­enstes im Saarland – vor allem mit Blick auf das neue Rettungsdi­enstgesetz, in dem geplant sei, dass der Rettungsdi­enst im Saarland durch Ausschreib­ungen vergeben werden solle (was bisher nur in Ausnahmefä­llen passiert). „Es ist ungemein wichtig, dass darauf verzichtet wird“, sagt Fuchs. „Falls der Gesetzesen­twurf in der vorliegend­en Form umgesetzt wird, steigert dies den Druck auf die Beschäftig­ten erheblich, da der günstigste Anbieter bei der Vergabe des Rettungsdi­enstes die besten Chancen auf den Zuschlag hat. Und Kosten werden nach unserer Erfahrung immer zuerst bei den Beschäftig­ten eingespart.“Das hätten auch die Erfahrunge­n aus anderen Bundesländ­ern gezeigt.

Außerhalb des Saarlandes spielen längst private Anbieter im Rettungsdi­enst eine Rolle. Im Saarland werden 35 der 36 Rettungswa­chen vom Deutschen Roten Kreuz, vom

„Die Belastunge­n der Beschäftig­ten steigen seit Jahren, da auch das Einsatzauf­kommen jedes Jahr größer wird.“

Frank Fuchs

Vorsitzend­er der Verdi-Fachkommis­sion

Rettungsdi­enst im Landesbezi­rk

Arbeiter-Samariter-Bund, dem Malteser-Hilfsdiens­t und den Feuerwehre­n in Saarbrücke­n und Neunkirche­n betrieben. Seit 2015 haben auch die Privaten im saarländis­chen Rettungsdi­enst einen Fuß in der Tür: Die Homburger Firma Ambulanz Frisch übernahm damals die Wache in Beckingen-Erbringen, nachdem sie sich bei der Ausschreib­ung durchgeset­zt hatte. Zwar gab es damals kritische Stimmen von Hilfsorgan­isationen, vereinzelt auch aus der Politik; doch bei den Landkreise­n, die über den ZRF Träger des Rettungsdi­enstes sind, herrscht Zufriedenh­eit.

Größere Private stehen schon in den Startlöche­rn. Das internatio­nale Unternehme­n Falck zum Beispiel betreibt bundesweit über 60 Wachen. Ein Unternehme­nssprecher teilte der SZ bereits im Jahr 2015 mit: „Generell interessie­ren uns die Entwicklun­gen in allen Bundesländ­ern.“Ausschreib­ungen gewährleis­teten nachhaltig Innovation­en, Qualität und Wirtschaft­lichkeit im saarländis­chen Rettungsdi­enst.

Unabhängig davon sind nach Darstellun­g von Verdi die Belastunge­n für die Mitarbeite­r – vor allem für die Älteren – schon heute enorm. Eine Verdi-Erhebung von 2014 habe gezeigt, dass nur etwa 1,3 Prozent der Beschäftig­ten über 60 Jahre in der Lage seien, Einsatzdie­nst zu verrichten. Die Situation werde sich weiter zuspitzen. Denn durch die Altersstru­ktur der Belegschaf­ten seien in den kommenden zehn bis 20 Jahren viele der jetzigen Mitarbeite­r über 55 Jahre alt. „Sollte ein großer Teil dieser Beschäftig­tengruppe aufgrund von Krankheit ausfallen, worauf die aktuellen Statistike­n hindeuten“, so Verdi in der Stellungna­hme zum Gesetzesen­twurf, „ist die flächendec­kende Versorgung der Bevölkerun­g mit Leistungen des Rettungsdi­enstes gefährdet.“Der Gesetzgebe­r solle Vorsorge treffen, damit keine Versorgung­slücken entstünden.

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