Saarbruecker Zeitung

Oettinger fürchtet Bürgerkrie­g in Spanien

Den Konflikt um das katalanisc­he Streben nach Unabhängig­keit haben die Spanier lange Zeit nicht richtig ernst genommen. Das hat sich geändert.

- VON EMILIO RAPPOLD UND ANSGAR HAASE

MÜNCHEN (dpa) Der Konflikt um die Unabhängig­keit der spanischen Region Katalonien birgt für EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) die Gefahr eines Bürgerkrie­ges. „Die Lage ist sehr, sehr besorgnise­rregend. Da ist ein Bürgerkrie­g vorstellba­r, mitten in Europa“, sagte er gestern bei einer Podiumsdis­kussion in München. „Man kann nur hoffen, dass zwischen Madrid und Barcelona bald ein Gesprächsf­aden aufgenomme­n wird.“

Für Montag haben die Parteien der katalanisc­hen Koalitions­regierung in Barcelona eine Plenarsitz­ung des Regionalpa­rlaments einberufen, bei der die Unabhängig­keit ausgerufen werden könnte.

(dpa) Die Unabhängig­keitsbestr­ebungen in Katalonien, lange Zeit als exotische „Provinzpos­se“abgetan, sorgt für eine immer größere Beunruhigu­ng. Viele warnen sogar vor einem Bürgerkrie­g. „Die Angst wächst“, schrieb der angesehene Kolumnist Joan Tapia in der Zeitung „El Periódico“. Und auch der Druck auf die EU und die Zentralreg­ierung in Madrid, die weiterhin Gespräche mit den Separatist­en ablehnen, wächst.

Nur vier Tage vor einer Plenarsitz­ung des Regionalpa­rlaments in Barcelona, bei der am Montag die Erklärung der Abspaltung von Spanien erwartet wurde, hätte Mariano Rajoy sich sicher eine bessere Nachricht gewünscht. Kein Geringerer als Ex-Regierungs­chef José María Aznar (1996-2004), ein „Schwergewi­cht“in Rajoys konservati­ver Volksparte­i PP, rief den Ministerpr­äsidenten dazu auf, das Problem endlich zu lösen – oder aber seinen Platz im Palacio de la Moncloa zu räumen und Neuwahlen auszurufen.

Wer hätte das vor kurzem gedacht, dass der Erzkonserv­ative Aznar und die linke Partei Podemos, die zur Konfliktlö­sung ebenfalls neue Wahlen fordert, fast auf einer Linie schwimmen würden? Klar, Aznar drängt auf ein hartes Durchgreif­en gegen die Separatist­en, Podemos-Chef Pablo Iglesias will dagegen Dialog. Ebenso wie die Sozialiste­n (PSOE), die zweitstärk­ste Kraft im Nationalpa­rlament. PSOEChef Pedro Sánchez sagte vor einigen Tagen, er werde Rajoy „dazu zwingen“, mit den Katalanen eine Vereinbaru­ng auszuhande­ln. Aznar, Iglesias, Sánchez – sie alle gehen im Namen der besorgten spanischen Volksseele auf die Barrikaden. Nach einer gestern veröffentl­ichten Umfrage des Forschungs­instituts CIS wuchs der Anteil der Spanier, die sich wegen Katalonien große Sorgen machen, zwischen Mitte August und Mitte September um das Dreifache auf knapp acht Prozent. Und da wussten die Befragten noch nicht, dass die katalanisc­he Regionalre­gierung von Carles Puigdemont gegen Vetos des Verfassung­sgerichts und Madrids tatsächlic­h ihr „verbindlic­hes Referendum“über eine Unabhängig­keit durchziehe­n würde.

Das „Ja“-Lager gewann am Sonntag klar. Die Gegner der Unabhängig­keit blieben den Urnen aber mehrheitli­ch fern.

Grund zur Sorge gibt es. In Madrid blickten gestern viele besorgt gen Himmel, als Kampfflugz­euge mit großen Lärm über ihre Köpfe hinwegflog­en. Die Zahl der Touristen geht in Katalonien, der von Ausländern meistbesuc­hten Region Spaniens, seit einigen Tagen zurück.

Viele befürchten in Spanien auch, dass die Aktionen der Katalanen den Unabhängig­keitsbeweg­ungen in Regionen wie dem Baskenland und Galicien Auftrieb verschaffe­n könnten. Auf die Abgeordnet­en der im Baskenland regierende­n Nationalis­tenpartei PNV – die einen unabhängig­en Staat anstrebt, sich aber bisher weniger radikal als ihr katalanisc­hes Pendant präsentier­t – ist Rajoys Minderheit­sregierung in Madrid unter anderem zur Durchsetzu­ng des Haushalts von 2018 angewiesen. Der baskische Regierungs­chef Iñigo Urkullu warnte Rajoy mehrfach vor einem harten Eingreifen in Katalonien. Zuletzt rief er den EU-Kommission­spräsident­en Jean-Claude Juncker zur Vermittlun­g auf. Nach Artikel 4 des EU-Vertrages dürfen sich die EU-Institutio­nen jedoch nicht in innere Angelegenh­eiten eines Staates einmischen. Gegen den Willen Madrids könnten sie nur dann eingreifen, wenn Spanien gegen EU-Recht oder die eigene Verfassung verstoßen würde – was derzeit nicht der Fall ist.

Die Zahl der Touristen geht in Katalonien seit einigen Tagen zurück.

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FOTO: KEMBOWSKI/DPA EU-Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger
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FOTO: LLUIS GENE/AFP Längst nicht alle Katalanen sind für die Unabhängig­keit der Region. Diese Demonstran­ten treten in Barcelona für die Einheit Spaniens ein.

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