Starkes Übergewicht gefährdet das Gehirn
Starke s Übe rg e wicht g e fährde t das Ge hirn: Es alte rt de utlich schne lle r und ve rlie rt früh an Masse . Noch rätse lhaft ist de r Zusamme nhang .
Übergewicht lässt das Gehirn schrumpfen. Diese alarmierende Entdeckung gaben Forscher im Jahr 2010 bekannt. Das Thema elektrisierte andere Wissenschaftler, sodass viele weitere Studien durchgeführt wurden. Die Frage lautete stets: Schrumpft das Gehirn, wenn die Taille sich ausdehnt? Die Antwort: Ja – und zwar in allen Altersgruppen.
Zwar war schon lange klar, dass das Gehirn im Alter kleiner wird. Offenbar handelt es sich um einen normalen Alterungsprozess. Dass der Verlust von Hirnsubstanz jedoch früh und stark beschleunigt wird, wenn man starkes Übergewicht hat, zeigte 2010 die Studie von Wissenschaftlern der Universitäten von Pittsburgh in Pennsylvania und Los Angeles in Kalifornien. Sie hatten die Gehirne von 94 gesunden Frauen und Männer über 70 im Magnetresonanztomografen untersucht, der Hirngewebe auf dem Computerbildschirm sichtbar macht. Je mehr die älteren Menschen wogen, desto stärker war ihr Gehirn geschrumpft. Bei Fettleibigen (Adipositas) lag der Schwund bei acht Prozent. Betroffen waren vor allem die Regionen im Gehirn, die fürs vorausschauende Planen (Frontallappen) sowie für Lernen und Gedächtnis (Scheitellappen und Schläfenlappen) wichtig sind. Die Forscher erklärten, bei Übergewicht laufe der Prozess der Hirnschrumpfung eindeutig früher und schneller ab als bei normalgewichtigen Senioren. Zusammengefasst lautet das Ergebnis: Das Gehirn übergewichtiger Menschen sah acht Jahre älter aus als das Gehirn der gleichaltrigen Schlanken. Bei Fettleibigen waren es sogar 16 Jahre „Altersunterschied“.
Ob ein Verlust von Gehirnmasse in dieser Größenordnung bereits die geistigen Fähigkeiten mindert, ist noch nicht endgültig geklärt. Forscher aus Cambridge in Großbritannien konnten in Intelligenztests keine Unterschiede zwischen Übergewichtigen und Schlanken nachweisen. Ein Team aus Bethesda, USA, das sich einen Überblick über alle verfügbaren Studien verschafft hatte, kam jedoch zu dem Ergebnis, dass schon bei übergewichtigen Kindern Einschränkungen der kognitiven Funktionen festzustellen sind.
Übersichtsstudie Gehirnforscher aus Baltimore, USA, konnten im Jahr 2014 bereits 44 weitere Studien von Kollegen auswerten, die den Zusammenhang von Übergewicht und Gehirnschrumpfung untersucht hatten. Es zeigte sich, dass schon bei adipösen Kindern der Frontallappen des Gehirns, der für die Handlungsplanung zuständig ist, geschrumpft ist. Das gilt auch für alle anderen Altersgruppen mit Adipositas. Ab 40 Jahren werden dann auch der Hinterhauptlappen, der unter anderem die Verarbeitung und Bewertung von Sehreizen steuert, und der Scheitellappen, der für die räumliche Orientierung wichtig ist, in Mitleidenschaft gezogen. Die Untersuchungen bestätigten das Ergebnis der Studie von 2010: Die für Gedächtnis und Erinnerung wesentliche Gehirnregion schrumpft bei starkem Übergewicht. Es zeichnete sich zudem ab, dass sowohl die Nervenzellen (graue Substanz) als auch die Nervenfasern, die Verbindungen zwischen den Zellen (weiße Substanz), von der Schrumpfung betroffen sein können. Hingegen fanden die Wissenschaftler aus Baltimore keine zweifelsfreien Hinweise darauf, dass Übergewicht das Risiko für Alzheimer steigert. Zudem erklärte das Team, ein geschrumpftes Gehirn sei bei starkem Übergewicht zwar tatsächlich nachweisbar, aber der
Dr. Veronica Witte
Alters- und Adipositas-Forscherin
Verlust an Hirnmasse sei in der Regel nicht so stark ausgeprägt, wie es in einigen Studien dargestellt worden sei. Eine Frage konnte noch nicht endgültig beantwortet werden: Lässt Übergewicht das Gehirn schrumpfen oder führt ein aus bislang unbekannten Gründen geschrumpftes Gehirn zu Fettleibigkeit? Die Forschung auf diesem Gebiet hat sich seitdem rasant beschleunigt. Wie es aussieht, zerstört Übergewicht das Gehirn.
Höheres Alzheimer-Risiko Vor wenigen Wochen haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig eine neue Studie veröffentlicht. Das Forscherteam hat nachgewiesen, dass bei stark übergewichtigen Menschen in höherem Alter das Nervengeflecht in den Gehrinregionen, die wichtig für Erinnerung und Planung sind, dünner geworden ist. „Das schwächt diese geistigen Fähigkeiten und ist ein Hinweis auf eine frühzeitig drohende Alzheimer-Demenz“, sagt Dr. Veronica Witte, die die Forschungsgruppe Altern und Adipositas am MaxPlanck-Institut leitet.
Die Experten konnten beobachten, dass bei stark übergewichtigen Menschen einige Regionen im Gehirn schwächer miteinander verbunden sind. Dadurch arbeiten sie auch schlechter zusammen. Betroffen ist das Gehirnareal, das aktiv wird, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf unseren inneren Zustand richten, unseren Gedanken freien Lauf lassen oder uns erinnern. Zudem ist es daran beteiligt, wenn wir etwas planen, koordinieren, Hindernisse im Voraus berücksichtigen und unsere Impulse kontrollieren. Das sind wichtige Vorstufen, ehe wir eine Handlung wirklich ausführen. Die Forscher bezeichnen die geringe Vernetzung als „ein frühes Signal für ein höheres Risiko, an Alzheimer-Demenz zu erkranken“. Anzeichen für diese Erkrankung des Gehirns, die in der Regel erst im hohen Alter zu sehen sind, zeigen sich bei stark Übergewichtigen bereits früher im Leben.
Bisher wurde allerdings auch diskutiert, ob nicht das Gegenteil der Fall sein könnte: dass Übergewicht im Alter einen gewissen Schutz gegenüber Alzheimer bietet. „In unserem Falle zeigte sich dieses als Adipositas-Paradoxon bezeichnete Phänomen nicht“, sagt Veronica Witte. „Adipositas scheint das Gehirn schneller altern zu lassen und damit das Risiko einer AlzheimerDemenz zu erhöhen.“
Bisherige Studien zum Zusammenhang zwischen Adipositas und Hirnstruktur waren vor allem an jüngeren Personen und mit geringer Teilnehmerzahl durchgeführt worden. Dadurch kam es teilweise zu widersprüchlichen Ergebnissen. Die gefunden Zusammenhänge waren somit nicht direkt auf ältere Menschen übertragbar. Die MaxPlanck-Forscher hatten für ihre Studie hingegen 712 gesunde 60bis 80-jährige Menschen ohne Vorbelastungen durch einen Schlaganfall oder Ähnliches untersucht. Nachdem die Gesundheitsrisiken durch Rauchen, Bluthochdruck oder Depression herausgerechnet waren, blieb das klare Ergebnis: Starkes Übergewicht schwächt das Gehirn und erhöht das Risiko, früh an Alzheimer zu erkranken.
„Interessant wäre es nun, in zukünftigen Studien zu beobachten, wie sich Gehirnregionen bei unseren Probanden in den nächsten Jahren entwickeln, welche Auswirkungen das auf die geistige Leistungsfähigkeit hat und welche Auswirkungen eine Änderung des Lebensstils mit einer deutlichen Reduzierung des Körpergewichts hat“, sagt Veronica Witte.
„Adipositas scheint das Gehirn schneller altern zu lassen.“