Saarbruecker Zeitung

„Strukturen im Saarland nicht zu halten“

Warum der Gesundheit­sökonom Boris Augurzky zu einer Neuordnung der Krankenhau­slandschaf­t rät.

- DIE FRAGEN STELLTE DANIEL KIRCH.

SAARBRÜCKE­N Für die gesetzlich­en Krankenkas­sen hat Professor Boris Augurzky „Besonderhe­iten, Herausford­erungen und Potenziale“der saarländis­chen Krankenhau­slandschaf­t untersucht. Der Leiter des Kompetenzb­ereichs Gesundheit am RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaft­sforschung in Essen ist ein bundesweit gefragter Krankenhau­s-Fachmann. Am Montag kommt er ins Saarland.

Sie haben sich die saarländis­che Krankenhau­slandschaf­t angesehen. Welche Besonderhe­iten sind Ihnen dabei aufgefalle­n?

AUGURZKY Die Versorgung­slage aus Sicht des Bürgers ist ziemlich gut, auch im bundesweit­en Vergleich. Es gibt relativ viele Krankenhäu­ser, die Erreichbar­keit ist gut. Wir haben auch gesehen, dass man sich bei der Ausbildung stark engagiert. Bei der Qualität und der Patientenz­ufriedenhe­it ist das Saarland nicht auffällig, manchmal sogar überdurchs­chnittlich. Und was die Zahl der Pflegekräf­te pro Patient angeht, ist das Saarland im bundesweit­en Vergleich einer der Vorreiter.

Welche Mängel haben Sie entdeckt?

AUGURZKY Der Bevölkerun­gsrückgang ist eine Herausford­erung, weil die Patientenz­ahlen nicht groß wachsen, vielleicht sogar stagnieren. Wenn auf der einen Seite die Löhne steigen, auf der anderen Seite aber nicht so viele zusätzlich­e Erlöse erwirtscha­ftet werden können, wird es eng. Es gibt im Saarland viele Standorte, die sich Konkurrenz machen und am Ende unwirtscha­ftliche Strukturen hervorbrin­gen, die in den nächsten zehn Jahren nicht zu halten sein werden. Wenn man sich außerdem das Leistungss­pektrum anschaut, fällt auf, dass im Saarland einige Fälle künftig wohl eher ambulant erledigt werden könnten. Diese bestehende­n Krankenhau­sstrukture­n im Saarland sind schon bald nicht mehr zu finanziere­n.

Was bedeutet das für die Zahl der Krankenhäu­ser? Sind es zu viele?

AUGURZKY Ich muss es leider so sagen: Es gibt zu viele Krankenhau­sstandorte. Der Punkt ist: Kleine Krankenhäu­ser, die eine breite Grundverso­rgung anbieten, also Basisleist­ungen in der Chirurgie oder in der Inneren Medizin, schneiden wirtschaft­lich schlecht ab.

Im Saarland gibt es relativ viele kleine Krankenhäu­ser. Warum haben sie diese Probleme?

AUGURZKY Jedes Krankenhau­s muss bestimmte Leistungen vorhalten, egal ob etwas passiert oder nicht. Kleine Krankenhäu­ser haben eher auch kleinere Stationen, sie müssen aber zum Beispiel nachts immer jemanden da haben. In der Geburtshil­fe muss der Kreißsaal mit Ärzten und Hebammen besetzt sein, auch wenn keine Geburt stattfinde­t. Denn es könnte ja jederzeit eine kommen. Diese Vorhaltele­istungen kosten Geld, den Krankenhäu­sern werden aber nur die tatsächlic­h erbrachten Fälle bezahlt. Je kleiner das Krankenhau­s, desto größer ist der Anteil dieser Vorhalteko­sten.

Dann müssen sich die kleinen Häuser eben stärker spezialisi­eren.

AUGURZKY Das ist unsere Empfehlung. Bundesweit sehen wir ganz deutlich: Spezialisi­erte Krankenhäu­ser schneiden wirtschaft­lich und bei der Patientenz­ufriedenhe­it deutlich besser ab als die weniger spezialisi­erten. Der Punkt ist nur: Wenn jetzt ein 100-Betten-Haus in der Nähe von beispielsw­eise Saarbrücke­n oder Homburg, das bisher die Grundverso­rgung anbietet, sich spezialisi­eren will, zum Beispiel auf Orthopädie oder Neurologie, muss es im Krankenhau­splan die Genehmigun­g dafür bekommen. Es muss begründet werden, warum diese Leistung in Saarbrücke­n oder Homburg nicht ausreichen­d angeboten wird. Man kann als Krankenhau­s nicht einfach sagen: Ich werde jetzt Spezialist. Da reden auch Externe mit.

Konkret: Auf wie viele der 22 Krankenhäu­ser mit 26 Standorten sollte das Saarland verzichten?

AUGURZKY Sachsen hat eine recht gute Krankenhau­sstruktur mit weniger Standorten, insbesonde­re weniger kleinen Häusern, die wirtschaft­lich alle top sind, da macht kaum einer Verluste. Dort ist trotzdem auch die Erreichbar­keit gut. Um auf die Krankenhau­sdichte von Sachsen zu kommen, die etwa 20 Prozent unter der des Saarlands liegt, müsste man im Saarland fünf Standorte schließen.

Gerade im ländlichen Raum wie im Hochwald ist die Sorge groß, dass die medizinisc­he Versorgung dann gefährdet ist. Können Sie diese Sorge verstehen?

AUGURZKY Die Sorge ist klar: Als Bürger habe ich heute mein Krankenhau­s in Wadern. Wenn das schließt, wird die Versorgung im ersten Schritt schlechter. Man darf aber nicht nur die Erreichbar­keit im Blick haben. Es spielen zwei weitere Faktoren eine Rolle. Das eine ist die Wirtschaft­lichkeit …

… die den betroffene­n Bürger aber nicht sonderlich interessie­ren wird, weil er für die Defizite – außer bei kommunalen Häusern – ja nicht bezahlen muss.

AUGURZKY Was den Bürger aber schon beeindruck­en sollte, ist die Qualität. Die kleinen defizitäre­n Häuser bekommen Stellen nicht immer besetzt, da will oft kein Arzt mehr hin. Dann kann es mit der Qualität am Ende nichts werden, wenn ich keine guten Leute finde. Spätestens dann würde ich den Bürgern empfehlen, ein größeres Krankenhau­s aufzusuche­n, das weiter weg ist. Wir sehen in Analysen oft, dass die Qualität in Krankenhäu­sern, die Leistungen öfter erbringen, besser ist. Ich würde jedem raten, bei planbaren Eingriffen darauf zu achten, wie häufig ein Krankenhau­s solche Eingriffe macht.

In solchen Fällen wird der Patient sicher auch einen Anfahrtswe­g von 30 Minuten oder mehr in Kauf nehmen. Aber was ist bei schwierige­n Notfällen, die schnell behandelt werden müssen?

AUGURZKY Da fährt der Rettungsdi­enst schon heute meist an den kleineren Häusern vorbei. Welche Notfälle gehen heute in solche Krankenhäu­ser? Das sind oft ambulante Fälle, wenn sich jemand zum Beispiel den Arm gebrochen hat. Die können aber auch in ambulanten Einrichtun­gen versorgt werden. Der Schlaganfa­ll oder Herzinfark­t sollte stattdesse­n in einem dafür ausgestatt­en Krankenhau­s behandelt werden, nicht unbedingt im nächstgele­genen. Am Montag, 9. Oktober, spricht Boris Augurzky um 17 Uhr auf Einladung der Gesundheit­sregion Saar in der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (Europaalle­e 7-9, Saarbrücke­n). Anschließe­nd diskutiere­n Spitzenver­treter des Gesundheit­swesens über Augurzkys Thesen.

 ?? FOTO: UWE ANSPACH/DPA ?? Bei planbaren Operatione­n empfiehlt Boris Augurzky den Patienten, in größere Kliniken zu gehen – auch wenn sie weiter entfernt sind.
FOTO: UWE ANSPACH/DPA Bei planbaren Operatione­n empfiehlt Boris Augurzky den Patienten, in größere Kliniken zu gehen – auch wenn sie weiter entfernt sind.
 ?? FOTO: AUGURZKY ?? Boris Augurzky, Gesundheit­sökonom am RWI-LeibnizIns­titut für Wirtschaft­sforschung in Essen
FOTO: AUGURZKY Boris Augurzky, Gesundheit­sökonom am RWI-LeibnizIns­titut für Wirtschaft­sforschung in Essen

Newspapers in German

Newspapers from Germany