Verdi wagt Tabubruch an Ottweiler Klinik
Verdi im Saarland will erstmals eine katholische Klinik bestreiken. Der Träger Marienhaus hält das für rechtswidrig und warnt die Mitarbeiter.
OTTWEILER Der Streit um bessere Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern erreicht im Saarland eine neue Eskalationsstufe. Die Gewerkschaft Verdi kündigte gestern an, am kommenden Mittwoch die Marienhausklinik Ottweiler bestreiken zu wollen. Nach ihren Angaben wäre es das erste Mal bundesweit, dass Mitarbeiter einer Einrichtung, in der katholisches Arbeitsrecht gilt, die Arbeit niederlegen. Dieses schließt Streiks aus. Verdi-Gewerkschaftssekretär Michael Quetting sprach von einem „Tabubruch“.
Der Träger Marienhaus reagierte überrascht auf den Aufruf zum Warnstreik an seiner Klinik in Ottweiler. In einem Schreiben an die Mitarbeiter heißt es, Streiks an Krankenhäusern in katholischer Trägerschaft seien „unzulässig“. Teilnehmer müssten mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen.
Verdi steht auf dem Standpunkt, dass das Streikrecht als Grundrecht nicht beschnitten werden darf. „Dieser Schritt ist sehr gut überlegt“, sagte Gewerkschaftssekretär Quetting, er sei vom Bundesvorstand der Gewerkschaft beschlossen worden. Quetting bestritt nicht, dass der Streikaufruf ein Risiko darstellt. Auf die Frage, ob er mit rechtlichen Konsequenzen für die betroffenen Mitarbeiter rechnet, sagte er: „Wenn der Gegner klug ist, macht er es nicht.“
Mit dem Warnstreik soll der Träger Marienhaus zu Verhandlungen über einen Tarifvertrag gezwungen werden, in dem zum Beispiel Vorgaben zur personellen Besetzung von Stationen gemacht werden. Die Marienhaus-Mitarbeiter in Ottweiler schrieben jetzt Geschichte, sagte Quetting. „Sie beweisen, dass Pflegekräfte auch in einem katholischen Krankenhaus streiken können. Nur wenn sich auch die Beschäftigten aus den konfessionellen Häusern für mehr Personal und Entlastung einsetzen, können wir grundlegende Verbesserungen in der gesamten Krankenhauslandschaft durchsetzen.“
Marienhaus will die Gespräche mit Verdi auf Ebene der Saarländischen Krankenhausgesellschaft führen. Verdi hatte 2016 die Träger der Krankenhäuser im Saarland zu Verhandlungen über einen Tarifvertrag zur Entlastung aufgefordert. Gespräche über Entlastungsmöglichkeiten gibt es derzeit mit dem Universitätsklinikum in Homburg und den SHG-Kliniken.
Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass die Zahl der Pflegekräfte in den saarländischen Krankenhäusern seit 1991 bei etwa 4800 konstant geblieben ist – allerdings stiegen die Patienten-Fallzahlen im gleichen Zeitraum um 22 Prozent. Die Notwendigkeit von mehr Pflegepersonal wird mittlerweile nicht mehr bestritten. Krankenhausträger und Landespolitik halten dies aber nur für möglich, wenn auf Bundesebene die Weichen entsprechend gestellt werden, insbesondere bei der Krankenhausfinanzierung.
Mit anwaltlichem Beistand sollen am Mittwochmorgen um 6 Uhr die ersten Mitarbeiter der Marienhausklinik Ottweiler ihre Arbeit niederlegen, um für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen zu demonstrieren. Der 24-stündige Warnstreik ist äußerst brisant, dessen ist man sich bei der Gewerkschaft Verdi bewusst. Sie hat daher eigens für Mittwoch einen Anwalt für kirchliches Arbeitsrecht engagiert, der vor Ort sein wird. „Nach unserem Kenntnisstand ist das der erste Streik in Deutschland an einem Betrieb, wo das katholische Arbeitsrecht angewendet wird“, sagt Verdi-Sekretär Michael Quetting. Die Beschäftigten schrieben Geschichte.
Wie viele Beschäftigte die Arbeit tatsächlich niederlegen werden, ist unklar, auch wenn Quetting von einer „hohen Kampfbereitschaft“spricht. Zwar hat Verdi, was für ein kirchliches Haus überrascht, in Ottweiler zuletzt kräftig mobilisiert und einen hohen Organisationsgrad von angeblich fast 80 Prozent der Pflegekräfte. Allerdings begibt sich die Gewerkschaft mit dem Aufruf zum Warnstreik in der Marienhausklinik rechtlich gesehen auf dünnes Eis. Denn das kirchliche Arbeitsrecht schließt Streiks aus (siehe Info). „Es ist ein Tabubruch“, räumt Quetting ein. Das Risiko leugnet er nicht. Der Schritt sei aber „sehr gut überlegt“.
Der Streik ist zwar eingebettet in eine bundesweite Strategie, doch nirgends sonst in Deutschland ist ein katholisches Krankenhaus vom Streik betroffen. Verdi ist aber klar, dass nur etwas erreicht werden kann, wenn auch die zahlreichen kirchlichen Häuser im Boot sind. Im Saarland ist etwa jedes zweite Krankenhaus in kirchlicher Trägerschaft.
Die spannende Frage wird sein, wie viele der Mitarbeiter in dem vergleichsweise kleinen Krankenhaus Ottweiler (121 Betten) sich trotz der rechtlichen Situation in den Streik wagen werden. Die Klinik-Spitze ließ am Freitag ein Informationsschreiben an die Mitarbeiter verteilen, in dem explizit auf den „Dritten Weg“hingewiesen wird. „Dass deshalb Streiks in Krankenhäusern in kirchlicher Trägerschaft unzulässig sind und Teilnehmer auch mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen, das hatten wir Ihnen schon in dem Informationsschreiben erklärt, das Sie zusammen mit Ihrer Gehaltsabrechnung für den Monat August erhalten haben“, heißt es in dem Schreiben, das auch vom Vorsitzenden der Mitarbeitervertretung unterzeichnet ist.
Der „Dritte Weg“ist seit Jahrzehnten umstritten, Verdi und andere haben schon öfter versucht,
„Der kurzfristig für den kommenden Mittwoch angekündigte Warnstreik ist unzulässig.“
Aus einem Schreiben der Klinik-Leitung an die Mitarbeiter
ihn vor Gericht zu Fall zu bringen. Sie berufen sich auf das grundgesetzlich verbriefte Streikrecht. Allerdings räumt die Verfassung den Religionsgemeinschaften ein besonderes Selbstbestimmungsrecht ein; es war 1949 aus der alten Weimarer Reichsverfassung ins Grundgesetz übernommen worden. Nach einem Erfolg von Verdi im Streit mit der Diakonie vor dem Bundesarbeitsgericht 2012 wies das Bundesverfassungsgericht 2015 eine Beschwerde gegen das Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen zurück (Az. 2 BvR 2292/13).
Verdi will mit dem Streik Marienhaus an den Verhandlungstisch zwingen, um einen Tarifvertrag zur Entlastung der Beschäftigten abzuschließen. Darin sollen unter anderem Mindestpersonalstärken vereinbart werden. Vor Monaten hatten sich die Caritas-Trägergesellschaft Saarbrücken (Rastpfuhl und Dudweiler) sowie die Marienhaus-Stiftung (Ottweiler, Losheim, Wadern, Saarlouis, Dillingen, St. Wendel, Neunkirchen-Kohlhof ) auf „Gespräche“mit Verdi eingelassen, die aber keine „Verhandlungen“über einen Tarifvertrag sein durften. Tarifverträge kennt das kirchliche Arbeitsrecht nunmal nicht. Man traf sich am 2. Mai, doch Verbindliches kam nicht heraus. „Die Gespräche waren
enttäuschend“, sagt Quetting.
Marienhaus sieht die Sache grundlegend anders. Anders als von Verdi behauptet, habe man auf die Aufforderung zu Tarifverhandlungen fristgerechnet reagiert. Nach Meinung von Marienhaus sollten die Gespräche mit der Gewerkschaft aber auf Ebene der Saarländischen Krankenhausgesellschaft, also mit den Trägern aller 22 Kliniken, geführt werden.