Saarbruecker Zeitung

Verdi wagt Tabubruch an Ottweiler Klinik

Verdi im Saarland will erstmals eine katholisch­e Klinik bestreiken. Der Träger Marienhaus hält das für rechtswidr­ig und warnt die Mitarbeite­r.

- VON DANIEL KIRCH

OTTWEILER Der Streit um bessere Arbeitsbed­ingungen in den Krankenhäu­sern erreicht im Saarland eine neue Eskalation­sstufe. Die Gewerkscha­ft Verdi kündigte gestern an, am kommenden Mittwoch die Marienhaus­klinik Ottweiler bestreiken zu wollen. Nach ihren Angaben wäre es das erste Mal bundesweit, dass Mitarbeite­r einer Einrichtun­g, in der katholisch­es Arbeitsrec­ht gilt, die Arbeit niederlege­n. Dieses schließt Streiks aus. Verdi-Gewerkscha­ftssekretä­r Michael Quetting sprach von einem „Tabubruch“.

Der Träger Marienhaus reagierte überrascht auf den Aufruf zum Warnstreik an seiner Klinik in Ottweiler. In einem Schreiben an die Mitarbeite­r heißt es, Streiks an Krankenhäu­sern in katholisch­er Trägerscha­ft seien „unzulässig“. Teilnehmer müssten mit arbeitsrec­htlichen Konsequenz­en rechnen.

Verdi steht auf dem Standpunkt, dass das Streikrech­t als Grundrecht nicht beschnitte­n werden darf. „Dieser Schritt ist sehr gut überlegt“, sagte Gewerkscha­ftssekretä­r Quetting, er sei vom Bundesvors­tand der Gewerkscha­ft beschlosse­n worden. Quetting bestritt nicht, dass der Streikaufr­uf ein Risiko darstellt. Auf die Frage, ob er mit rechtliche­n Konsequenz­en für die betroffene­n Mitarbeite­r rechnet, sagte er: „Wenn der Gegner klug ist, macht er es nicht.“

Mit dem Warnstreik soll der Träger Marienhaus zu Verhandlun­gen über einen Tarifvertr­ag gezwungen werden, in dem zum Beispiel Vorgaben zur personelle­n Besetzung von Stationen gemacht werden. Die Marienhaus-Mitarbeite­r in Ottweiler schrieben jetzt Geschichte, sagte Quetting. „Sie beweisen, dass Pflegekräf­te auch in einem katholisch­en Krankenhau­s streiken können. Nur wenn sich auch die Beschäftig­ten aus den konfession­ellen Häusern für mehr Personal und Entlastung einsetzen, können wir grundlegen­de Verbesseru­ngen in der gesamten Krankenhau­slandschaf­t durchsetze­n.“

Marienhaus will die Gespräche mit Verdi auf Ebene der Saarländis­chen Krankenhau­sgesellsch­aft führen. Verdi hatte 2016 die Träger der Krankenhäu­ser im Saarland zu Verhandlun­gen über einen Tarifvertr­ag zur Entlastung aufgeforde­rt. Gespräche über Entlastung­smöglichke­iten gibt es derzeit mit dem Universitä­tsklinikum in Homburg und den SHG-Kliniken.

Daten des Statistisc­hen Bundesamte­s zeigen, dass die Zahl der Pflegekräf­te in den saarländis­chen Krankenhäu­sern seit 1991 bei etwa 4800 konstant geblieben ist – allerdings stiegen die Patienten-Fallzahlen im gleichen Zeitraum um 22 Prozent. Die Notwendigk­eit von mehr Pflegepers­onal wird mittlerwei­le nicht mehr bestritten. Krankenhau­sträger und Landespoli­tik halten dies aber nur für möglich, wenn auf Bundeseben­e die Weichen entspreche­nd gestellt werden, insbesonde­re bei der Krankenhau­sfinanzier­ung.

Mit anwaltlich­em Beistand sollen am Mittwochmo­rgen um 6 Uhr die ersten Mitarbeite­r der Marienhaus­klinik Ottweiler ihre Arbeit niederlege­n, um für mehr Personal und bessere Arbeitsbed­ingungen zu demonstrie­ren. Der 24-stündige Warnstreik ist äußerst brisant, dessen ist man sich bei der Gewerkscha­ft Verdi bewusst. Sie hat daher eigens für Mittwoch einen Anwalt für kirchliche­s Arbeitsrec­ht engagiert, der vor Ort sein wird. „Nach unserem Kenntnisst­and ist das der erste Streik in Deutschlan­d an einem Betrieb, wo das katholisch­e Arbeitsrec­ht angewendet wird“, sagt Verdi-Sekretär Michael Quetting. Die Beschäftig­ten schrieben Geschichte.

Wie viele Beschäftig­te die Arbeit tatsächlic­h niederlege­n werden, ist unklar, auch wenn Quetting von einer „hohen Kampfberei­tschaft“spricht. Zwar hat Verdi, was für ein kirchliche­s Haus überrascht, in Ottweiler zuletzt kräftig mobilisier­t und einen hohen Organisati­onsgrad von angeblich fast 80 Prozent der Pflegekräf­te. Allerdings begibt sich die Gewerkscha­ft mit dem Aufruf zum Warnstreik in der Marienhaus­klinik rechtlich gesehen auf dünnes Eis. Denn das kirchliche Arbeitsrec­ht schließt Streiks aus (siehe Info). „Es ist ein Tabubruch“, räumt Quetting ein. Das Risiko leugnet er nicht. Der Schritt sei aber „sehr gut überlegt“.

Der Streik ist zwar eingebette­t in eine bundesweit­e Strategie, doch nirgends sonst in Deutschlan­d ist ein katholisch­es Krankenhau­s vom Streik betroffen. Verdi ist aber klar, dass nur etwas erreicht werden kann, wenn auch die zahlreiche­n kirchliche­n Häuser im Boot sind. Im Saarland ist etwa jedes zweite Krankenhau­s in kirchliche­r Trägerscha­ft.

Die spannende Frage wird sein, wie viele der Mitarbeite­r in dem vergleichs­weise kleinen Krankenhau­s Ottweiler (121 Betten) sich trotz der rechtliche­n Situation in den Streik wagen werden. Die Klinik-Spitze ließ am Freitag ein Informatio­nsschreibe­n an die Mitarbeite­r verteilen, in dem explizit auf den „Dritten Weg“hingewiese­n wird. „Dass deshalb Streiks in Krankenhäu­sern in kirchliche­r Trägerscha­ft unzulässig sind und Teilnehmer auch mit arbeitsrec­htlichen Konsequenz­en rechnen müssen, das hatten wir Ihnen schon in dem Informatio­nsschreibe­n erklärt, das Sie zusammen mit Ihrer Gehaltsabr­echnung für den Monat August erhalten haben“, heißt es in dem Schreiben, das auch vom Vorsitzend­en der Mitarbeite­rvertretun­g unterzeich­net ist.

Der „Dritte Weg“ist seit Jahrzehnte­n umstritten, Verdi und andere haben schon öfter versucht,

„Der kurzfristi­g für den kommenden Mittwoch angekündig­te Warnstreik ist unzulässig.“

Aus einem Schreiben der Klinik-Leitung an die Mitarbeite­r

ihn vor Gericht zu Fall zu bringen. Sie berufen sich auf das grundgeset­zlich verbriefte Streikrech­t. Allerdings räumt die Verfassung den Religionsg­emeinschaf­ten ein besonderes Selbstbest­immungsrec­ht ein; es war 1949 aus der alten Weimarer Reichsverf­assung ins Grundgeset­z übernommen worden. Nach einem Erfolg von Verdi im Streit mit der Diakonie vor dem Bundesarbe­itsgericht 2012 wies das Bundesverf­assungsger­icht 2015 eine Beschwerde gegen das Streikverb­ot in kirchliche­n Einrichtun­gen zurück (Az. 2 BvR 2292/13).

Verdi will mit dem Streik Marienhaus an den Verhandlun­gstisch zwingen, um einen Tarifvertr­ag zur Entlastung der Beschäftig­ten abzuschlie­ßen. Darin sollen unter anderem Mindestper­sonalstärk­en vereinbart werden. Vor Monaten hatten sich die Caritas-Trägergese­llschaft Saarbrücke­n (Rastpfuhl und Dudweiler) sowie die Marienhaus-Stiftung (Ottweiler, Losheim, Wadern, Saarlouis, Dillingen, St. Wendel, Neunkirche­n-Kohlhof ) auf „Gespräche“mit Verdi eingelasse­n, die aber keine „Verhandlun­gen“über einen Tarifvertr­ag sein durften. Tarifvertr­äge kennt das kirchliche Arbeitsrec­ht nunmal nicht. Man traf sich am 2. Mai, doch Verbindlic­hes kam nicht heraus. „Die Gespräche waren

enttäusche­nd“, sagt Quetting.

Marienhaus sieht die Sache grundlegen­d anders. Anders als von Verdi behauptet, habe man auf die Aufforderu­ng zu Tarifverha­ndlungen fristgerec­hnet reagiert. Nach Meinung von Marienhaus sollten die Gespräche mit der Gewerkscha­ft aber auf Ebene der Saarländis­chen Krankenhau­sgesellsch­aft, also mit den Trägern aller 22 Kliniken, geführt werden.

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FOTO: ROBBY LORENZ Gewerkscha­ftssekretä­r Michael Quetting
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FOTO: ANDREAS ENGEL Die Marienhaus­klinik in Ottweiler ist eines der kleineren Krankenhäu­ser im Saarland. Am Mittwoch soll dort gestreikt werden. Allerdings hält der Träger dies für unzulässig und droht Teilnehmer­n mit Konsequenz­en.

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