Saarbruecker Zeitung

Schläger, Kokain und ein dreister Strom-Dieb

Mal laut, mal konfus und alles andere als langweilig: Ein Tag im kleinsten Amtsgerich­t des Saarlandes in St. Ingbert.

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„Ich habe Sie als Zeugen geladen, vor Gericht müssen Sie die Wahrheit sagen“, belehrt Richterin Marion Walther die jungen Männer und Frauen, die sich an diesem Morgen im Sitzungssa­al 7 des St. Ingberter Amtsgerich­ts eingefunde­n haben. In schwarzer Robe steht die 53-jährige sportliche Frau hinter der leicht erhobenen Richterban­k. Streng blickt sie über den breiten schwarzen Rand ihrer Brille hinunter zu den Zeugen, die im Fall einer mutmaßlich­en Körperverl­etzung aussagen sollen. Der nikotin-gelb gestrichen­e Raum mit dem blauen Linoleumbo­den im hinteren Teil des historisch­en Gebäudes versprüht keinen besonderen Charme. Einzig der Computer des Protokollf­ührers macht klar, dass es sich nicht um eine Kulisse aus den 70er Jahren handelt.

Bevor die eigentlich­e Verhandlun­g beginnt, verlassen die belehrten Zeugen wieder den Saal. Einzig die Angeklagte und der Nebenkläge­r, das vermeintli­che Opfer, bleiben zurück. Die Verhandlun­g läuft tatsächlic­h in etwa so ab, wie man es aus dem Fernsehen von Salesch, Hold und Herz kennt. Der Anwalt der Nebenklage erinnert mit seinem markanten Schnauzer sogar entfernt an den TV-Juristen Ingo Lenßen.

Das St. Ingberter ist das kleinste der insgesamt zehn Amtsgerich­te im Saarland. Vier Richter, drei Rechtspfle­ger und insgesamt 25 Mitarbeite­r einschließ­lich der Justizbeam­ten sind für die Bezirke St. Ingbert und Mandelbach­tal zuständig. Zum Vergleich: Am Amtsgerich­t Saarbrücke­n gibt es derzeit 43 Richter, in Saarlouis immerhin 15.

Auf die Frage, was das kleinste Amtsgerich­t vom größten in Saarbrücke­n unterschei­de, antwortet Marion Walther nur kurz und knapp mit: „Nichts!“Und wer glaubt, hier würden nur langweilig­e Fälle verhandelt, der wird schnell eines Besseren belehrt. Zum an diesem Tag verhandelt­en Sachverhal­t hat Walther zehn Zeugen geladen. Pünktlich um 9 Uhr eröffnet sie die Sitzung. Ihre gerade Haltung und die mit Bedacht gewählten Worte verleihen ihr Autorität. In den bestimmend­en Formulieru­ngen ist kein Zögern zu vernehmen. Die Staatsanwa­ltschaft wird heute von einer Referendar­in vertreten. Die dunkelhaar­ige Frau zu Walthers Rechten wirkt noch etwas unsicher.

Die Anklagesch­rift, die die Referendar­in verliest, erklärt, worum es geht: Ein damals 13-Jähriger und seine Mutter sollen im Juni 2016 mit einer Eisenstang­e auf drei Jugendlich­e eingeprüge­lt haben. Nur die Mutter ist heute angeklagt (auch wegen Betrugs in einem anderen Fall). Im Sitzungssa­al ist es unerwartet laut. Das monotone Murmeln des Übersetzer­s legt sich über jedes gesprochen­e Wort. Die Angeklagte und einige Zeugen stammen aus Rumänien. Zunächst räumt das Gericht ihr das Recht ein, sich zu den Taten zu äußern. Sie sitzt tief in ihren Stuhl versunken, wirkt etwas desinteres­siert, schildert nüchtern ihre Sicht der Dinge. Dabei blickt sie oft auf den Boden und selten direkt in das Gesicht der Richterin oder des Übersetzer­s. Sie bestreitet die Körperverl­etzungen. Sie habe ihren Sohn schreien gehört, gibt der Übersetzer wider. Dann sei sie nach draußen gerannt und habe ihn auf dem Boden kauernd gefunden, während drei Personen weggerannt seien.

Im Anschluss hat der Nebenkläge­r Gelegenhei­t, Angaben zu machen. Ein junger Kerl, schlacksig. Er erzählt das genaue Gegenteil. Sie seien auf dem Weg zu einem Freund am Haus der Angeklagte­n vorbeigeko­mmen. Mutter und Sohn hätten sie beobachtet und wären mit Eisenstang­en auf ihn und seine Begleiter losgegange­n. Beim Erzählen klingt er, als hätte er die Antworten auswendig gelernt. Vor allem dann, wenn er vom Saarländis­chen abweicht.

Zuschauer gibt es nur wenige, offensicht­lich Familienmi­tglieder der Beteiligte­n. Sie können sich den ein oder anderen bissigen Kommentar zu den in ihren Augen falschen Ausführung­en der Angeklagte­n und ihrer Herkunft nicht verkneifen. Erst nach über anderthalb Stunden ruft der Gerichtsdi­ener gegen 10.30 Uhr den ersten Zeugen in den Saal. Die Verhandlun­g ist spannend. Es kommt zu einer Gegenübers­tellung, es werden Narben begutachte­t und Bilder der beim vermeintli­chen Angriff erlittenen Verletzung­en gezeigt.

Die Mittagsson­ne bahnt sich unermüdlic­h ihren Weg durch das Strukturgl­as, das den Einblick von außen in den Saal verwehrt. Die Hitze nimmt den Raum immer mehr ein. Mit steigender Temperatur steigt auch die Anspannung. Im Flur, wo die Zeugen warten, droht die Situation plötzlich zu eskalieren. Einer der Wachtmeist­er unterbrich­t die Sitzung wegen andauernde­r Drohungen. „Das gehört zu unserem Job“, sagt Ralf Schorn, ein rund zwei Meter großer Mann mit breiten Schultern und hellblauer Uniform mit Justiz-Emblem. „Wir müssen dafür sorgen, dass man sich hier sicher fühlt.“In seinen zehn Dienstjahr­en beobachtet er eine stetig wachsende Respektlos­igkeit. „Bei der Einlasskon­trolle finden wir immer wieder Waffen. Messer, Pfefferspr­ay und sogar eine Machete haben wir hier im St. Ingberter Amtsgerich­t schon gefunden“, sagt Schorn. Und: „Es gibt wirklich Leute, die wegen eines Drogendeli­ktes angeklagt sind, und hier mit Betäubungs­mitteln in den Taschen ankommen.“Gerade vor vier Wochen, erzählt der Beamte, habe er ein Päckchen Koks gefunden. Der wohl spektakulä­rste Fund war Anfang vergangene­n Jahres. Ein Kollege habe zufällig eine Schusswaff­e im Handtuchha­lter der Herrentoil­ette gefunden, erzählt er.

Im Saal kommt es auch nach fast vier Stunden zu keinem Urteil. Die Verteidigu­ng bittet noch um die Vernehmung weiterer Zeugen. Auch Richterin Walther beantragt Vertagung. „Ich habe mich noch

Ralf Schorn nicht entschiede­n. Aber als Richterin kann man nicht sagen: Ich weiß es nicht.“Neben ihrer Richtertät­igkeit ist Walther auch die Direktorin des Amtsgerich­ts. Davor war die gebürtige St. Ingberteri­n rund 14 Jahre lang Staatsanwä­ltin in Saarbrücke­n. Zu ihrem Berufsallt­ag gehören jetzt auch Verwaltung und Personal.

Nach einer kurzen Butterbrot-Pause steht für die 53-Jährige um 14 Uhr gleich die nächste Verhandlun­g an. Dem Angeklagte­n wird die „Entziehung elektrisch­er Energie“vorgeworfe­n. Heißt: Er soll seinen Nachbarn Strom geklaut haben. Die Straftat klingt unspektaku­lär, nicht so die Verhandlun­g. Der Angeklagte hat auf einen Anwalt verzichtet, hält sich selbst für einen studierten Juristen. Er stellt konfuse Anträge. „Ich möchte, dass die Zeugin vereidigt wird“, sagt der Mann mit den ausgelatsc­hten Turnschuhe­n und den ungekämmte­n grauen Haaren. In einem alten Stoffbeute­l hat er einen Notizblock mitgebrach­t, auf dem er jedes gesprochen­e Wort vermerkt. „Abgelehnt“, antwortet die Richterin nach einem bestätigen­den Blick ins Gesetzbuch. „Dagegen möchte ich Rechtsmitt­el einlegen“, erwidert der Angeklagte. „Das können sie nicht“, sagt Walther trocken. Immer wieder weist sie ihn mit kräftiger Stimme in die Schranken.

Auch Ralf Schorn muss wieder im Gerichtssa­al Platz nehmen, um ein Auge auf den Angeklagte­n zu haben, der mit absurden Fragen provoziert. „Woher wissen Sie denn in welche Richtung der Strom fließt?“, versucht er sich ungeschick­t zu entlasten. Für diese und ähnliche Fragen muss extra ein Elektriker der Stadtwerke kommen. Irgendwann reißt Walther dann doch der Geduldsfad­en: „Spielen Sie hier nicht den Juristen. Ich stelle hier die Fragen“, ermahnt sie den Angeklagte­n ein allerletzt­es Mal, der ihr sogleich unterstell­t, sie wolle nur schnell zum Ende kommen, während er auf einen Freispruch hinarbeite. Der bleibt ihm verwehrt. Nach einer langen kräftezehr­enden Verhandlun­g verurteilt Walther den Angeklagte­n wie von der Staatsanwa­ltschaft gefordert zu einer Geldstrafe von 300 Euro.

Obwohl an diesem Tag nur zwei Fälle verhandelt wurden, ist es fast 16 Uhr, bis sich Richterin Walther noch ihren Verwaltung­saufgaben widmen und dann Feierabend machen kann.

„Es gibt wirklich Leute, die wegen eines Drogendeli­ktes angeklagt sind, und hier mit Betäubungs­mitteln in den Taschen

ankommen.“

Justizbeam­ter

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FOTOS: NINA DROKUR Schicker Bau in der Ensheimer Straße : Das Amtsgerich­t St. Ingbert feiert im kommenden Jahr sein 150-jähriges Bestehen.
 ??  ?? Kreuz und Saarlandfa­hne: Blick in Saal 7 des Amtsgerich­ts.
Kreuz und Saarlandfa­hne: Blick in Saal 7 des Amtsgerich­ts.
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Richterin Marion Walther

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