Saarbruecker Zeitung

Auf den Spuren der Straßburge­r Seele

Das Museum für moderne und zeitgenöss­ische Kunst zeigt Malerei und Gravur aus den 1900er Jahren. Die Ausstellun­g ist auch aus historisch­er Perspektiv­e interessan­t.

- VON HÉLÈNE MAILLASSON

Eine typisch französisc­he Stadt ist Straßburg nicht. Deutsch ist sie aber auch nicht. Mit ihrer Identität hatte es Straßburg nicht immer leicht. Doch mittlerwei­le hat sich die Stadt mit ihrer Vergangenh­eit versöhnt. Seit kurzem fährt die S-Bahn bis ins deutsche Kehl, und seit Juli ist das wilhelmini­sche Viertel „Neustadt“sogar Weltkultur­erbe.

Politisch schwierig, aber künstleris­ch fruchtbar – so blickt Roland Recht auf die Geschichte der elsässisch­en Metropole um die Jahrhunder­twende 1900 zurück. Der Kunsthisto­riker hat zusammen mit Joëlle Pijaudier-Cabot, Leiterin der Museen der Stadt Straßburg, die kuratorisc­he Leitung der neuen Ausstellun­g im Museum für moderne und zeitgenöss­ische Kunst (MAMCS). Unter dem Titel „Labor Europas, Straßburg 1880-1930“geht der Besucher auf Spurensuch­e in der damaligen Hauptstadt des sogenannte­n Reichsland­es Elsass-Lothringen.

Geprägt wurde diese Zeit durch die Weltausste­llungen. Damals noch mehr als heute, nutzten die teilnehmen­den Länder sie als Schaufenst­er für Innovation­en und Prestigepr­ojekte. Häufige Aussteller für das Reichsland war der Künstler Charles Spindler. Durch seinen Aufenthalt als deutscher Stipendiat an mehreren deutschen Kunsthochs­chulen erlebte der Straßburge­r den neu entstehend­en Jugendstil, der auch in seiner Heimat seine Werke beeinfluss­te. Ein prägendes Beispiel dafür ist Spindlers Musikzimme­r aus Holz, das 1900 auf der Pariser Weltausste­llung präsentier­t wurde und Teil der Ausstellun­g im MAMCS ist.

Einen besonderen Platz dort nimmt auch die Rolle der Universitä­t ein. Während dieser Zeit nutzte Deutschlan­d auch die Hauptstadt des Reichsland­es als Schaufenst­er seiner Universitä­tskultur. Im Gegensatz zum damaligen französisc­hen zielt das deutsche Modell bereits zu dieser Zeit bewusst auf eine Verschmelz­ung von Forschung und Lehre ab. Die Universitä­t soll zum Labor werden, in dem Wissen entsteht – egal ob in den Naturwisse­nschaften oder in der Kunst. So lässt die Ausstellun­g auch viel Raum für die Sammlungen der Universitä­t. Diese bestehen unter anderem aus meterhohen Gipsabgüss­en antiker Figuren, aber auch aus Glasmodell­en für die biologisch­e Lehre oder aus für die Zeit neuartigen seismologi­schen Geräten.

Ein weiterer Raum zeigt die Unterschie­de zwischen den Nachbarn in der Kunst. Während der Trend auf französisc­her Seite zum Impression­ismus geht, stehen in Deutschlan­d Gravur und grafische Kunst hoch im Kurs. In diesem Straßburg der zwei Gesichter haben alle ihren Platz. Neben vielen Werken, die aus eigenen Kollektion­en und weiteren Museen stammen, haben die Ausstellun­gsmacher bewusst einen Schwerpunk­t auf die Sammlungen von Mäzenen und Auftraggeb­ern gelegt, die maßgeblich zur Verbreitun­g der Kunst beigetruge­n. Hier wird es bunt und kubistisch: An den Wänden hängen Gemälde von Paul Klee, Otto Dix und Theo van Doesburg, aber auch ein Klavier von Auguste Herbin mit bunten geometrisc­hen Motiven steht im Raum.

Zum Schluss gibt es einen Ausblick von der Moderne ins Avantgardi­stische und in die Architektu­r-Pläne für das Vergnügung­szentrum Aubette. Im imposanten Gebäude, im 18. Jahrhunder­t als Wache für Soldaten errichtet, war bis 1870 die städtische Gemäldekol­lektion Straßburgs untergebra­cht. Nachdem die Aubette im deutsch-französisc­hen Krieg zum großen Teil zerstört wurde, wurde sie Anfang des 20. Jahrhunder­ts zum Experiment­ierfeld für Künstler wie Jean-Arp und Sophie Taeuber-Arp.

In ein Museum, in dem sonst zeitgenöss­ische Kunst zu Hause ist, zieht mit „Labor Europa“eine stark geschichtl­iche Ausstellun­g ein. Über alle Räume verläuft am oberen Rand der hohen Wände ein Fries mit originalen Schwarz-Weiß-Fotos. So erscheinen die Ausstellun­gsflächen intimer, der Besucher taucht in ein vergangene­s Zeitalter ein. Und wie die illustrier­ten Plakate für Bälle, Ausstellun­gen und Kabarette vermuten lassen: Egal ob auf Deutsch oder auf Französisc­h – diese Zeit war alles andere als langweilig.

findet außer im MAMCS (1 Place Hans-Jean-Arp) auch im Museum für bildende Kunst (Rohan-Schloss), in der Galerie Heitz und im Zoologisch­en Museum. Die Schau ist dreisprach­ig (französisc­h, deutsch, englisch) angelegt. www.musees-strasbourg.org

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FOTOS (3): MUSÉES DE LA VILLE DE STRASBOURG / MATHIEU BERTOLA Dieses Musikzimme­r stellte Charles Spindler bei der Weltausste­llung 1900 in Paris aus.
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Realitätsn­ahe Glasmodell­e waren in der Forschung eingesetzt.
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Dieses Klavier war ein bunter Auftrag an den Künstler Auguste Herbin.

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