Saarbruecker Zeitung

Die Musik verwandelt­e ihr Leben

Wenn jemand weiß, was Armut ist, dann sie. Und obwohl sie quasi ohne Perspektiv­en aufwuchs, hat Romina Tobar eine bewunderns­werte Karriere geschafft: Die gebürtige Chilenin ist die erste Klavierbau­meisterin Lateinamer­ikas.

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Romina Tobar packte mit an. „Alkohol und Drogen waren ständige Begleiter des armen Teils der Bevölkerun­g“, erinnert sich Romina Tobar an ihre harte Kindheit in Chile. Die Familie hauste in einer Hütte ohne Leitungswa­sser und musste auch in den bitterkalt­en chilenisch­en Wintern ohne Heizung auskommen.

Was sie für die Schule brauchte, hatte Tobar sich selbst zu erarbeiten. „Da gehst du hin in der Hoffnung, irgendwann auf die Uni gehen zu können. Aber aus meiner Generation hat das nur einer geschafft“, erzählt Tobar. In der Diktatur waren viele Bereiche privatisie­rt, die Universitä­t kostete viel Geld. All das erschien Tobar damals als Selbstvers­tändlichke­it, ebenso die schlechte medizinisc­he Versorgung.

Rückblicke­nd jedoch macht es sie ziemlich wütend, zumal sie es als Mädchen und Frau doppelt schwer hatte – verschärft dadurch, dass sie sich schon früh gegen gesellscha­ftliche Zwänge auflehnte: Romina Tobar spielte leidenscha­ftlich gern Fußball, was ihr die Ächtung des ganzen Dorfes einbrachte, und wollte weder kochen noch Wäsche waschen. „Nicht für Männer jedenfalls.“

Ein Stipendium scheiterte trotz guter Noten an der chilenisch­en Gesetzgebu­ng: Einzelkind­er wurden dort damals nicht gefördert. Dennoch besuchte sie das Gymnasium. Das bedeutete, um vier Uhr morgens aufzustehe­n, mit dem Fahrrad sieben Kilometer zur Haltestell­e zu strampeln und mit dem (kostenlose­n) Bus weitere 40 Kilometer zurückzule­gen. Im Notfall durfte sie in Sportsache­n am Unterricht teilnehmen: Wenn ihre Schulunifo­rm vom Regen aufgeweich­t war, trocknete sie im klammen Zuhause nicht.

Die Wende in Tobars Leben kam mit einem Disko-Besuch in der Nachbarsta­dt. Das war nicht ungefährli­ch: Weibliche Gäste hatten Busfahrt, Eintritt und Getränke frei; die Absicht der Disko-Besitzer war recht durchsicht­ig. Doch Tobar hatte Glück und lernte in der Disco keine zwielichti­gen Gestalten kennen, sondern ihren späteren Mann Miguel. Er war ein DDR-Kind, Sohn eines Exil-Chilenen, der nach dem Ende der Diktatur in seine Heimat zurückgeke­hrt war. Als man im Jahr 1996 Tobars Schwiegerv­ater in spe nach dem Leben trachtete und er nach St. Ingbert emigrierte, wo er Verwandtsc­haft hatte, wollten seine Kinder zunächst nicht nachziehen. Sie trauerten der DDR hinterher.

Erst 1998 folgten Tobar, die umständeha­lber die Schule abbrechen musste, und ihr Mann ihm nach. Von Deutschlan­d war Tobar zum Entsetzen ihres Gatten „positiv geschockt“. Tobar: „Damals wurde ich skeptisch. Ich interessie­rte mich für Politik und Menschenre­chte, trat aus der Kirche aus und war wild entschloss­en, meine Chance auf einen Neustart zu nutzen.“Doch auch dieser Weg war mit Steinen gepflaster­t. Einen Deutschkur­s bekam sie nicht bezahlt, weil sie mit einem Deutschen verheirate­t war. Ihre Wunschausb­ildung – etwas Handwerkli­ches, Technische­s – scheiterte daran, dass ihr nur der Hauptschul­abschluss anerkannt wurde.

Jahrelang hielt sie sich mit diversen Jobs über Wasser; mit der Integratio­n aber klappte es, auch dank ihrer Mitgliedsc­haft in einer St. Ingberter Damen-Fußballman­nschaft, relativ schnell. Nach dem Ende ihrer Ehe lernte Tobar ihren heutigen Lebensgefä­hrten kennen, den chilenisch­en Komponiste­n und Musiker Daniel Osorio. Er ermunterte sie nicht nur zum aktiven Musizieren, sondern öffnete ihr auch die Türen zur Hochschule für Musik Saar (HfM). Nach einem Praktikum in der Instrument­enwerkstat­t begann Tobar dort 2007 ihre Ausbildung als Klavierbau­erin, setzte sie am Pianohaus Landt in Dillingen fort und machte auf dem zweiten Bildungswe­g jetzt im August ihren Meister als Klavier- und Cembalobau­erin – an der weltweit einzigen Klavierbau-Meistersch­ule in Ludwigsbur­g.

Seit einem Monat pendelt Tobar nun von Saarbrücke­n nach München, weil sie eine Stelle beim Bayerische­n Rundfunk hat. Für das Duo „Musikandes“mit Osorio hat sie jedoch weiterhin Zeit. Und für die vierte Ausgabe von „EviMus“(Festival für elektro-akustische und visuelle Musik, 2. bis 5. November), das sie 2014 mit Osorio ins Leben rief, nimmt sie sich Urlaub. Doch zunächst stellt sie in einem moderierte­n Frauen-Konzert ihr Meisterstü­ck vor, ein selbst gebautes Klavier. Die Pianistin María Paz Santibañez, ebenfalls Chilenin, Überlebend­e der Pinochet-Diktatur und Kulturbeau­ftragte der chilenisch­en Regierung in Paris, spielt unter anderem Werke von Debussy und Stockhause­n sowie von südamerika­nischen Komponiste­n.

„Ich interessie­rte mich für Politik und Menschenre­chte, trat aus der Kirche aus und war wild entschloss­en, meine Chance auf einen Neustart zu nutzen.“

Klavierbau­meisterin

„Mujeres en resonancia“: Samstag, 7. Oktober, 19 Uhr, HfM-Konzertsaa­l.

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FOTO: KRÄMER Die Wahl-Saarbrücke­rin Romina Tobar ist die erste und einzige Klavierbau­meisterin Lateinamer­ikas.

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