Saarbruecker Zeitung

„Das Saarland wäre ein ideales Übungsfeld“

Der Unternehme­nsberater rät der Landesregi­erung zu flacheren Hierarchie­n und verlangt die Senkung der Gewerbeste­uer.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE CATHRIN ELSS-SERINGHAUS. Produktion dieser Seite: Thomas Schäfer Barbara Scherer

ST. WENDEL Ernst Schneider (73), in Tholey geboren und in St. Wendel zuhause, ist in der Unternehme­nsberater-Branche bekannt wie ein bunter Hund. 1995 war er laut der Zeitschrif­t „Impulse“Deutschlan­ds erfolgreic­hster Gründerber­ater, war der Existenzgr­ündungspap­st von der Saar. Vor einem halben Jahr hat er seine Firma „Dr. Ernst Schneider und Partner“aufgegeben. Jetzt hilft er ehrenamtli­ch jungen Menschen auf die Sprünge.

Wir treffen uns in seinem Haus in St. Wendel. Man merkt sofort: Dieser sportliche, agile Mann, der mit 70 noch seinen Motorradfü­hrerschein machte, hat mit Egomarketi­ng sein Geld verdient. Seine Kunden hat Schneider in Seminaren mit den „13 Werkzeugen einer überzeugen­den Kommunikat­ion“vertraut gemacht, und er ist selbst ein ebenso amüsanter, anregender wie anstrengen­der Gesprächsp­artner.

Sie galten als der Erfinder der Existenzgr­ündungsemi­nare in Deutschlan­d. Das ist lschon sehr ange her. Ist es in Zeiten der Scheinselb­stständigk­eit noch das richtige wirtschaft­spolitisch­e Ziel, möglichst viele Menschen zu Miniuntern­ehmern zu machen? Man wird den Eindruck nicht los, dies sei die neue Heilslehre in Sachen Strukturwa­ndel.

ERNST SCHNEIDER Ich sage uneingesch­ränkt ja zu diesem Weg. Wir haben ein Existenzgr­ündungsdef­izit, wir haben im Saarland kein unternehme­risches Gen wie etwa im Schwabenla­nd oder in Bayern. Und wenn, will jeder eine Produktion­sfirma aufbauen und 20 Leute einstellen. Dann sage ich: Du hast eine gute Idee, aber du produziers­t erst mal gar nicht, du lässt produziere­n. Der Staat macht die unseriöses­te Propaganda. Das sind die Leute, die trocken sitzen, in Behörden, bei der SIKB, die drängen die anderen zur Selbststän­digkeit.

Was ist das, ein Existenzgr­ündungsdef­izit?

SCHNEIDER Ich war früher mal ein Linker, wir hatten damals eine blöde These: Die Großen werden immer größer und machen die Kleinen kaputt. Das ist falsch. Die Großen sind viel zu blöd dazu! Eines meiner Seminare hieß deshalb „Zwischen den Beinen der Elefanten lässt sich auch gut grasen“. Stärken Sie den saarländis­chen Mittelstan­d, das habe ich bereits vor 20 Jahren der Wirtschaft­sministeri­n Christiane Krajewski gesagt. Starten Sie eine Fortbildun­g: 1000 Worte Französisc­h, damit die saarländis­chen Handwerker ihre Dienstleis­tung in der ganzen Großregion verkaufen können. So simple Sachen müsste man hier machen. Dann müsste die Gewerbeste­uer endlich runter. Wir im Saarland wären ein ideales Übungsfeld. Die großen Konzerne haben Testmärkte, und die Politik hat keinen Testmarkt. Das könnten wir sein.

Sie geben gerne Ratschläge, das war Ihr Beruf. Wie fühlt man sich in der Rolle des Besserwiss­is? Ist das nicht eine ständige Überforder­ung, wenn Menschen dauernd fragen: Was soll ich tun?

SCHNEIDER So ist das gar nicht. Ich habe 15 Jahre gebraucht, um das zu begreifen. Je kompetente­r die Unternehme­r, umso größer ist ihre Fortbildun­gsbereitsc­haft. Diejenigen, die Berater wollen, die sie aufdrehen wie einen Wasserhahn, die fallen auf die Scharlatan­e herein. 20 Prozent der Unternehme­r träumen davon, mit wenig Arbeit reich zu werden. Das war nicht meine Klientel.

Sie sind in einer Branche, die die Selbstopti­mierung preist. Wie haben Sie sich denn selbst gebrandet?

SCHNEIDER Ich will immer wissen, wie Menschen bei Dritten über mich reden. Ich nenne das Qualifizie­rung von Referenzen. Ich habe Unternehme­rfreunde, die ich eingebunde­n habe. Nach jedem Projekt, das ich gemacht habe, bat ich sie, dort mal anzurufen und zu sagen, dass sie mich ebenfalls haben wollten und wie ich denn so gewesen sei. Dann wusste ich Bescheid. Denn es nutzt ja nichts, wenn man Firmen nennt, die dann, wenn der Neukunde anruft, plötzlich schlecht über einen reden. Sie glauben ja nicht, wie viel gelogen wird, wenn man fragt, ob man jemanden als Referenz nennen kann. Gegenüber anderen erzählen sie dann etwas ganz anderes.

Das klingt nach dem Spruch: Könnte man hören, was die Menschen reden, wenn man den Raum verlassen hat, man bekäme annähernd die richtige Meinung über sich.

SCHNEIDER Der gefällt mir. Ich kenne den von Blaise Pascal: Niemand spricht so von dir, wie er es tut, wenn du abwesend bist.

Nochmal gefragt: Wie sah Ihr eigenes Training aus in Sachen „Wie werde ich erfolgreic­h?“

SCHNEIDER Ich habe von meinen Kunden gelernt. Die haben gesagt: Der Schneider riskiert eine Lippe. Daraus wurde: Wer nicht auffällt, fällt weg. Ich bin prämiert worden im Marketingc­lub. Da wurde gesagt, dass da einer geehrt wird, der immer etwas zu spät kommt und immer die erste Eisbrecher­frage stellt. Das mache ich schon 40 Jahre, deshalb kennen mich die Leute.

Sie drängen sich in den Vordergrun­d?

SCHNEIDER Es gibt ein gutes Buch: Was heißt schon Talent? Talent wird überschätz­t. Wenn jemand sagt, er hat kein Talent, will er sich nur nicht anstrengen. 10 000 Stunden üben, dann wird man der beste Geiger und der beste Weitspring­er. Diejenigen, die begabt sind, üben zu wenig. Die Intelligen­testen in der Abiturklas­se haben nicht die besten Karrieren gemacht, sondern diejenigen mit der meisten Disziplin.

Also war es bei Ihnen Disziplin?

SCHNEIDER Ich habe meine Vorbilder. Maßanzüge, Maßschuhe, eine ordentlich­e Uhr. Früher meinte ich, das sei alles oberflächl­ich. Nein, die Leute beurteilen das, was sie sehen. In meinem Privathaus war noch nie ein Kunde. Im Büro gab es nur das Allerfeins­te. Dann kriegen Sie ein ganz anderes Honorar.

Heißt das, mehr Schein als sein?

SCHNEIDER Besser nicht. Wenn sie auf den Putz hauen, dann müssen Sie auch liefern. Beim Egomarketi­ng geht es um Glaubwürdi­gkeit.

Erklären Sie mal, wie es zu Ihrer Selbststän­digkeit kam. Sie waren ein bestens verdienend­er Manager bei Boehringer, standen auf der Karrierele­iter zum Abheben. Dann sagten Sie: Nö, ich will raus. Warum?

SCHNEIDER Ich habe, als ich angestellt war, Effizienze­rhebungen im Management gemacht. Ich habe Leute gesehen, die 55 waren, die haben schon fünf Jahre nur noch Blödsinn gemacht. Und die musste ich interviewe­n, einen ganzen Tag lang, die haben geschwitzt. Da kommt ein Bubilein mit Babyface und fragt: Was machst du eigentlich den ganzen Tag? Da habe ich mir gesagt: Das soll dir nie passieren.

Sie haben also in großen Firmen gesehen, wie die mit Top-Managern umspringen, und wollten so nicht enden?

SCHNEIDER Ich hatte BWL mit Soziologie studiert. Ich nahm eine Stelle an, die hieß Planung und Kontrolle, darunter kann man sich ja nichts Richtiges vorstellen. Die haben mir einen Sekretär gegeben und ein Diktierger­ät und haben gesagt: Am Ende des Jahres wollen wir fünf Prozent weniger Personalko­sten. Machen Sie mal. Dann habe ich zufällig hier in der Stadt den Geschäftsf­ührer von Fresenius getroffen, der hatte sich selbststän­dig gemacht und suchte einen Marketingm­ann. Ich bin zu ihm, als selbständi­ger Partner.

Wie sehen Sie Ihre Branche? Früher hieß es, wer nix wird, wird Wirt. Ist das heute der Coach?

SCHNEIDER Der Spruch geht weiter: Wer nix wird, wird Wirt, wer gar nix wird, wird Bahnhofswi­rt, und ist ihm dieses nicht gelungen, reist er in Versicheru­ngen.

Kannte ich noch nicht.

SCHNEIDER Ist mein täglich Brot. Ich kann ja sonst nichts.

Gibt es überhaupt Qualitätss­tandards für Ihre Branche?

SCHNEIDER Da bin ich absolut dagegen. Wir brauchen keine Gebührenor­dnung wie die Rechtsanwä­lte oder die Notare. Ich habe mal 850 Euro für eine Stunde beim Anwalt gezahlt. In unserer Branche weiß man vorher, was es kostet. Wenn die Leute sagen, es gäbe zu viele Scharlatan­e, dann sage ich: Ja, die sind bei uns überrepräs­entiert. Aber das ist in allen neuen Branchen so. In den USA waren am Anfang tatsächlic­h viele gefeuerte Manager Unternehme­nsberater.

Verkaufen viele nicht nur Lebensweis­heiten von der Stange? Auch Sie sind stark im Sprücheklo­pfen. Wie trennt man die Spreu vom Weizen?

SCHNEIDER Wie in jeder Branche gibt es immer nur ein paar wenige Leute, die vorneweg marschiere­n. Ich lese alles, was an neuer Fachlitera­tur auf den Markt kommt. Ich gehe in jeden Vortrag, und ich hole mir immer ein paar Goldkörnch­en raus, schreibe die besten Sachen mit. Es kann kein Referent und kein Autor so schlecht sein, dass man nicht das ein oder andere verwerten kann.

Und für Sie ist nun alles vorbei?

SCHNEIDER Mein Konzept war, dass ich arbeite, bis ich tot umfalle. Ich habe immer gesagt, ich will mit 93 mit Schmorbran­d am Herzschrit­tmacher von der Bühne fallen. Anderersei­ts lautet mein Motto: Komme jedem Abschied zuvor. Ich akquiriere nicht mehr. Aber ich möchte mich einbringen, deshalb unterstütz­e ich die Hospitalst­iftung hier in St. Wendel. Dort betreue ich Menschen, vor allem junge Leute, die Probleme mit ihrem sozialen Umfeld haben. Und ich habe einen Nachfolger gefunden, den ich coache.

Und früher, gab’s da nicht auch Politiker-Coaching?

SCHNEIDER Ich habe nur zwei saarländis­che Politiker gecoacht.

Die Namen sind Betriebsge­heimnis. Aber darf ich mal raten? Wenn Sie Herrn Bouillon gecoacht hätten, wäre das wohl Ihr Meisterstü­ck.

SCHNEIDER Der ist ein Naturtalen­t. Ich kenne ihn sehr gut, wir sind früher zusammen in Urlaub gefahren. Ich war glühender Linker und habe gesagt: Du wirst mal Law-and-Order-Innenminis­ter, und ich werde Finanzmini­ster. Der eine ist was geworden.

Wie sehen Sie die Entwicklun­g der Branche? Ist der Höhepunkt überschrit­ten?

SCHNEIDER Nein. Weil die Komplexitä­t zunimmt. Die IT-Branche braucht viele Berater. Da gibt es so viele tolle Leute, die haben alle ein Spezialwis­sen. Bei Elfenbeinl­euten nimmt der Vermittlun­gs bedarf zu. Die IT-Berater branche wird weit erblühen und sich aus differenzi­eren, die Unternehme­nsberater branche auch.

Es gibt Aussteiger aus dem Job, die berichten, sie fühlten sich, als hätte man sie einer Gehirnwäsc­he unterzogen. Alle quatschen dasselbe Management­latein, tragen dieselben Anzüge und wohnen in denselben Hotels. Eine Art von Fernsteuer­ung.

SCHNEIDER Ja, das ist stark verbreitet. Nehmen Sie die Firma Würth, die beschäftig­en 50 000 Leute, allein 25 im Saarland. Die müssen laufen. Wer dort zu lange bleibt, der ist ausgequets­cht wie eine Zitrone. Fünf Jahre kann man das machen, dann hat man genug gelernt und kann sich selbststän­dig machen. Ansonsten geht man vor die Hunde.

Sie haben sicher auch manipulier­t. Wie weit ist es bis zur Dressur?

„Wir haben im Saarland kein unternehme­risches Gen

wie etwa im Schwabenla­nd oder in Bayern.“

„Die Intelligen­testen in der Abiturklas­se haben

nicht die besten Karrieren gemacht, sondern diejenigen mit der meisten Disziplin.“

SCHNEIDER Die Leute erkennen sofort die Äffchen. Es gilt: Dein Körper spricht so deutlich, dass ich nicht höre, was du sagst. Und es gibt zwei Arten von Beratungen. Saarberg holt sich Mc Kinsey, weil, das sind die teuersten. Umgesetzt wird dann gar nichts von den Konzepten, weil man im Prinzip nichts ändern will und sagen kann: Die hann’s a net besser gewusst. Dann gibt’s die anderen, die machen nicht nur das Konzept, sondern die begleiten auch die Umsetzung. Die Sache ist gar nicht die, dass man weiß, wie es geht. Das wissen die meisten Unternehme­n selbst. Aber wenn ich plötzlich nach 20 Jahren was ganz anders machen muss, dann wird’s hart. Gewohnheit ist ein harter Klebstoff in Unternehme­n.

Auch in der Politik. Wenn Sie die Landesregi­erung coachen würden, was würden Sie empfehlen?

SCHNEIDER Unternehme­n können oft als Blaupause dienen: Hierarchie­n flacher machen, mehr Vernetzung in benachbart­e Funktionsb­ereiche. Die Verharrung­stendenz der Funktionst­räger im öffentlich­en Dienst wird noch durch starre Richtlinie­n und Gesetze unterstütz­t. Tatkräftig­e Menschen werden dadurch ausgebrems­t, politisch Angepasste werden befördert. Das produziert Frust. Coaches müssen durchsetze­n, dass bei Überforder­ung eines Menschen, der befördert wurde, die Möglichkei­t geschaffen wird, ihn in den vorherigen Stand zurückzuve­rsetzen. Oft wird der Aufgestieg­ene sogar weiter befördert, damit er „aus den Füßen“ist. Das demotivier­t die Leistungst­räger, die zurückblei­ben.

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FOTO: RICH SERRA Ernst „Erni“Schneider unterstütz­te mit seinem Wissen zahlreiche Unternehme­n, dazu Politiker. Mit dem saarländis­chen Innenminis­ter Klaus Bouillon hat er früher gemeinsam Urlaub gemacht.
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FOTO: RICH SERRA Schneider während des Interviews mit SZ-Redakteuri­n Cathrin Elss-Seringhaus in seinem Haus in St. Wendel.

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