„Das Saarland wäre ein ideales Übungsfeld“
Der Unternehmensberater rät der Landesregierung zu flacheren Hierarchien und verlangt die Senkung der Gewerbesteuer.
ST. WENDEL Ernst Schneider (73), in Tholey geboren und in St. Wendel zuhause, ist in der Unternehmensberater-Branche bekannt wie ein bunter Hund. 1995 war er laut der Zeitschrift „Impulse“Deutschlands erfolgreichster Gründerberater, war der Existenzgründungspapst von der Saar. Vor einem halben Jahr hat er seine Firma „Dr. Ernst Schneider und Partner“aufgegeben. Jetzt hilft er ehrenamtlich jungen Menschen auf die Sprünge.
Wir treffen uns in seinem Haus in St. Wendel. Man merkt sofort: Dieser sportliche, agile Mann, der mit 70 noch seinen Motorradführerschein machte, hat mit Egomarketing sein Geld verdient. Seine Kunden hat Schneider in Seminaren mit den „13 Werkzeugen einer überzeugenden Kommunikation“vertraut gemacht, und er ist selbst ein ebenso amüsanter, anregender wie anstrengender Gesprächspartner.
Sie galten als der Erfinder der Existenzgründungseminare in Deutschland. Das ist lschon sehr ange her. Ist es in Zeiten der Scheinselbstständigkeit noch das richtige wirtschaftspolitische Ziel, möglichst viele Menschen zu Miniunternehmern zu machen? Man wird den Eindruck nicht los, dies sei die neue Heilslehre in Sachen Strukturwandel.
ERNST SCHNEIDER Ich sage uneingeschränkt ja zu diesem Weg. Wir haben ein Existenzgründungsdefizit, wir haben im Saarland kein unternehmerisches Gen wie etwa im Schwabenland oder in Bayern. Und wenn, will jeder eine Produktionsfirma aufbauen und 20 Leute einstellen. Dann sage ich: Du hast eine gute Idee, aber du produzierst erst mal gar nicht, du lässt produzieren. Der Staat macht die unseriöseste Propaganda. Das sind die Leute, die trocken sitzen, in Behörden, bei der SIKB, die drängen die anderen zur Selbstständigkeit.
Was ist das, ein Existenzgründungsdefizit?
SCHNEIDER Ich war früher mal ein Linker, wir hatten damals eine blöde These: Die Großen werden immer größer und machen die Kleinen kaputt. Das ist falsch. Die Großen sind viel zu blöd dazu! Eines meiner Seminare hieß deshalb „Zwischen den Beinen der Elefanten lässt sich auch gut grasen“. Stärken Sie den saarländischen Mittelstand, das habe ich bereits vor 20 Jahren der Wirtschaftsministerin Christiane Krajewski gesagt. Starten Sie eine Fortbildung: 1000 Worte Französisch, damit die saarländischen Handwerker ihre Dienstleistung in der ganzen Großregion verkaufen können. So simple Sachen müsste man hier machen. Dann müsste die Gewerbesteuer endlich runter. Wir im Saarland wären ein ideales Übungsfeld. Die großen Konzerne haben Testmärkte, und die Politik hat keinen Testmarkt. Das könnten wir sein.
Sie geben gerne Ratschläge, das war Ihr Beruf. Wie fühlt man sich in der Rolle des Besserwissis? Ist das nicht eine ständige Überforderung, wenn Menschen dauernd fragen: Was soll ich tun?
SCHNEIDER So ist das gar nicht. Ich habe 15 Jahre gebraucht, um das zu begreifen. Je kompetenter die Unternehmer, umso größer ist ihre Fortbildungsbereitschaft. Diejenigen, die Berater wollen, die sie aufdrehen wie einen Wasserhahn, die fallen auf die Scharlatane herein. 20 Prozent der Unternehmer träumen davon, mit wenig Arbeit reich zu werden. Das war nicht meine Klientel.
Sie sind in einer Branche, die die Selbstoptimierung preist. Wie haben Sie sich denn selbst gebrandet?
SCHNEIDER Ich will immer wissen, wie Menschen bei Dritten über mich reden. Ich nenne das Qualifizierung von Referenzen. Ich habe Unternehmerfreunde, die ich eingebunden habe. Nach jedem Projekt, das ich gemacht habe, bat ich sie, dort mal anzurufen und zu sagen, dass sie mich ebenfalls haben wollten und wie ich denn so gewesen sei. Dann wusste ich Bescheid. Denn es nutzt ja nichts, wenn man Firmen nennt, die dann, wenn der Neukunde anruft, plötzlich schlecht über einen reden. Sie glauben ja nicht, wie viel gelogen wird, wenn man fragt, ob man jemanden als Referenz nennen kann. Gegenüber anderen erzählen sie dann etwas ganz anderes.
Das klingt nach dem Spruch: Könnte man hören, was die Menschen reden, wenn man den Raum verlassen hat, man bekäme annähernd die richtige Meinung über sich.
SCHNEIDER Der gefällt mir. Ich kenne den von Blaise Pascal: Niemand spricht so von dir, wie er es tut, wenn du abwesend bist.
Nochmal gefragt: Wie sah Ihr eigenes Training aus in Sachen „Wie werde ich erfolgreich?“
SCHNEIDER Ich habe von meinen Kunden gelernt. Die haben gesagt: Der Schneider riskiert eine Lippe. Daraus wurde: Wer nicht auffällt, fällt weg. Ich bin prämiert worden im Marketingclub. Da wurde gesagt, dass da einer geehrt wird, der immer etwas zu spät kommt und immer die erste Eisbrecherfrage stellt. Das mache ich schon 40 Jahre, deshalb kennen mich die Leute.
Sie drängen sich in den Vordergrund?
SCHNEIDER Es gibt ein gutes Buch: Was heißt schon Talent? Talent wird überschätzt. Wenn jemand sagt, er hat kein Talent, will er sich nur nicht anstrengen. 10 000 Stunden üben, dann wird man der beste Geiger und der beste Weitspringer. Diejenigen, die begabt sind, üben zu wenig. Die Intelligentesten in der Abiturklasse haben nicht die besten Karrieren gemacht, sondern diejenigen mit der meisten Disziplin.
Also war es bei Ihnen Disziplin?
SCHNEIDER Ich habe meine Vorbilder. Maßanzüge, Maßschuhe, eine ordentliche Uhr. Früher meinte ich, das sei alles oberflächlich. Nein, die Leute beurteilen das, was sie sehen. In meinem Privathaus war noch nie ein Kunde. Im Büro gab es nur das Allerfeinste. Dann kriegen Sie ein ganz anderes Honorar.
Heißt das, mehr Schein als sein?
SCHNEIDER Besser nicht. Wenn sie auf den Putz hauen, dann müssen Sie auch liefern. Beim Egomarketing geht es um Glaubwürdigkeit.
Erklären Sie mal, wie es zu Ihrer Selbstständigkeit kam. Sie waren ein bestens verdienender Manager bei Boehringer, standen auf der Karriereleiter zum Abheben. Dann sagten Sie: Nö, ich will raus. Warum?
SCHNEIDER Ich habe, als ich angestellt war, Effizienzerhebungen im Management gemacht. Ich habe Leute gesehen, die 55 waren, die haben schon fünf Jahre nur noch Blödsinn gemacht. Und die musste ich interviewen, einen ganzen Tag lang, die haben geschwitzt. Da kommt ein Bubilein mit Babyface und fragt: Was machst du eigentlich den ganzen Tag? Da habe ich mir gesagt: Das soll dir nie passieren.
Sie haben also in großen Firmen gesehen, wie die mit Top-Managern umspringen, und wollten so nicht enden?
SCHNEIDER Ich hatte BWL mit Soziologie studiert. Ich nahm eine Stelle an, die hieß Planung und Kontrolle, darunter kann man sich ja nichts Richtiges vorstellen. Die haben mir einen Sekretär gegeben und ein Diktiergerät und haben gesagt: Am Ende des Jahres wollen wir fünf Prozent weniger Personalkosten. Machen Sie mal. Dann habe ich zufällig hier in der Stadt den Geschäftsführer von Fresenius getroffen, der hatte sich selbstständig gemacht und suchte einen Marketingmann. Ich bin zu ihm, als selbständiger Partner.
Wie sehen Sie Ihre Branche? Früher hieß es, wer nix wird, wird Wirt. Ist das heute der Coach?
SCHNEIDER Der Spruch geht weiter: Wer nix wird, wird Wirt, wer gar nix wird, wird Bahnhofswirt, und ist ihm dieses nicht gelungen, reist er in Versicherungen.
Kannte ich noch nicht.
SCHNEIDER Ist mein täglich Brot. Ich kann ja sonst nichts.
Gibt es überhaupt Qualitätsstandards für Ihre Branche?
SCHNEIDER Da bin ich absolut dagegen. Wir brauchen keine Gebührenordnung wie die Rechtsanwälte oder die Notare. Ich habe mal 850 Euro für eine Stunde beim Anwalt gezahlt. In unserer Branche weiß man vorher, was es kostet. Wenn die Leute sagen, es gäbe zu viele Scharlatane, dann sage ich: Ja, die sind bei uns überrepräsentiert. Aber das ist in allen neuen Branchen so. In den USA waren am Anfang tatsächlich viele gefeuerte Manager Unternehmensberater.
Verkaufen viele nicht nur Lebensweisheiten von der Stange? Auch Sie sind stark im Sprücheklopfen. Wie trennt man die Spreu vom Weizen?
SCHNEIDER Wie in jeder Branche gibt es immer nur ein paar wenige Leute, die vorneweg marschieren. Ich lese alles, was an neuer Fachliteratur auf den Markt kommt. Ich gehe in jeden Vortrag, und ich hole mir immer ein paar Goldkörnchen raus, schreibe die besten Sachen mit. Es kann kein Referent und kein Autor so schlecht sein, dass man nicht das ein oder andere verwerten kann.
Und für Sie ist nun alles vorbei?
SCHNEIDER Mein Konzept war, dass ich arbeite, bis ich tot umfalle. Ich habe immer gesagt, ich will mit 93 mit Schmorbrand am Herzschrittmacher von der Bühne fallen. Andererseits lautet mein Motto: Komme jedem Abschied zuvor. Ich akquiriere nicht mehr. Aber ich möchte mich einbringen, deshalb unterstütze ich die Hospitalstiftung hier in St. Wendel. Dort betreue ich Menschen, vor allem junge Leute, die Probleme mit ihrem sozialen Umfeld haben. Und ich habe einen Nachfolger gefunden, den ich coache.
Und früher, gab’s da nicht auch Politiker-Coaching?
SCHNEIDER Ich habe nur zwei saarländische Politiker gecoacht.
Die Namen sind Betriebsgeheimnis. Aber darf ich mal raten? Wenn Sie Herrn Bouillon gecoacht hätten, wäre das wohl Ihr Meisterstück.
SCHNEIDER Der ist ein Naturtalent. Ich kenne ihn sehr gut, wir sind früher zusammen in Urlaub gefahren. Ich war glühender Linker und habe gesagt: Du wirst mal Law-and-Order-Innenminister, und ich werde Finanzminister. Der eine ist was geworden.
Wie sehen Sie die Entwicklung der Branche? Ist der Höhepunkt überschritten?
SCHNEIDER Nein. Weil die Komplexität zunimmt. Die IT-Branche braucht viele Berater. Da gibt es so viele tolle Leute, die haben alle ein Spezialwissen. Bei Elfenbeinleuten nimmt der Vermittlungs bedarf zu. Die IT-Berater branche wird weit erblühen und sich aus differenzieren, die Unternehmensberater branche auch.
Es gibt Aussteiger aus dem Job, die berichten, sie fühlten sich, als hätte man sie einer Gehirnwäsche unterzogen. Alle quatschen dasselbe Managementlatein, tragen dieselben Anzüge und wohnen in denselben Hotels. Eine Art von Fernsteuerung.
SCHNEIDER Ja, das ist stark verbreitet. Nehmen Sie die Firma Würth, die beschäftigen 50 000 Leute, allein 25 im Saarland. Die müssen laufen. Wer dort zu lange bleibt, der ist ausgequetscht wie eine Zitrone. Fünf Jahre kann man das machen, dann hat man genug gelernt und kann sich selbstständig machen. Ansonsten geht man vor die Hunde.
Sie haben sicher auch manipuliert. Wie weit ist es bis zur Dressur?
„Wir haben im Saarland kein unternehmerisches Gen
wie etwa im Schwabenland oder in Bayern.“
„Die Intelligentesten in der Abiturklasse haben
nicht die besten Karrieren gemacht, sondern diejenigen mit der meisten Disziplin.“
SCHNEIDER Die Leute erkennen sofort die Äffchen. Es gilt: Dein Körper spricht so deutlich, dass ich nicht höre, was du sagst. Und es gibt zwei Arten von Beratungen. Saarberg holt sich Mc Kinsey, weil, das sind die teuersten. Umgesetzt wird dann gar nichts von den Konzepten, weil man im Prinzip nichts ändern will und sagen kann: Die hann’s a net besser gewusst. Dann gibt’s die anderen, die machen nicht nur das Konzept, sondern die begleiten auch die Umsetzung. Die Sache ist gar nicht die, dass man weiß, wie es geht. Das wissen die meisten Unternehmen selbst. Aber wenn ich plötzlich nach 20 Jahren was ganz anders machen muss, dann wird’s hart. Gewohnheit ist ein harter Klebstoff in Unternehmen.
Auch in der Politik. Wenn Sie die Landesregierung coachen würden, was würden Sie empfehlen?
SCHNEIDER Unternehmen können oft als Blaupause dienen: Hierarchien flacher machen, mehr Vernetzung in benachbarte Funktionsbereiche. Die Verharrungstendenz der Funktionsträger im öffentlichen Dienst wird noch durch starre Richtlinien und Gesetze unterstützt. Tatkräftige Menschen werden dadurch ausgebremst, politisch Angepasste werden befördert. Das produziert Frust. Coaches müssen durchsetzen, dass bei Überforderung eines Menschen, der befördert wurde, die Möglichkeit geschaffen wird, ihn in den vorherigen Stand zurückzuversetzen. Oft wird der Aufgestiegene sogar weiter befördert, damit er „aus den Füßen“ist. Das demotiviert die Leistungsträger, die zurückbleiben.