Mit unserem Glück ist kein Staat zu machen
„Zauberland ist abgebrannt“: Sébastien Jacobis Text-Musik-Revue „Reise!Reiser!“feierte in Saarbrückens Alter Feuerwache Premiere.
seinen Reiser-Abend bereits 2012 am Frankfurter Schauspiel auf die Bühne – und danach als Gastspiel an mehrere andere Bühnen. Seine politische Revue, bei der Jacobi nicht nur selbst die tragende (Erzähler- und Sänger-) Rolle übernimmt, sondern auch Regie führt und für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich zeichnet, verknüpft lose und indirekt beide Reiser-Biografien. Anders als Karl Philipp Moritz‘ sonderlinghafte Romanfigur, an deren wechselvollen Bildungsetappen sich der Abend kursorisch-grob anlehnt, bleibt Rio Reisers Vita zwar ausgespart. Doch setzt die Inszenierung dessen (von Jacobi selbst intonierte) Songs immer wieder ein, um uns das beiden gemeinsame Ungenügen an ihrer Zeit vor Augen zu führen.
„Reise! Reiser!“ist weniger Bühnenadaption von Moritz’ aufklärerischem Entwicklungsroman denn ein das (damalige wie heutige) Scheitern an den Verhältnissen thematisierender szenisch-musikalischer Reigen. Antons Künstlertraum zerplatzt ebenso wie Rios Illusion einer klassenlosen Gesellschaft. Sofern wir diese 100 Theaterminuten als Schnellkurs in Sachen Selbstbesinnung nehmen, reift die Einsicht, dass auf dem weiten Feld des Glücks doch kein Staat zu machen ist, es vielmehr ein Privatgärtchen ist, in dem jeder sein eigener Gärtner bleibt. Wobei mit Rio Reiser gesprochen Liebe das Wort ist, „das die dunkelste Nacht erhellt“. Kein Wunder also, dass zum Ende hin Melancholie den Abend durchweht.
Danach sah es anfangs nicht aus. Da drohte Jacobis unbekümmert verspielte Text-, Lied- und Film-Materialschlacht fast auf Kasperle-Niveau abzurutschen. Und die Szenen zwischen Klamauk, Publikumsansprachen, Super-8-Filmgeknatter, A capella-Singsang und Stegreif-Anarchie unterzugehen. Während der vor Spiellaune sprühende Jacobi quasi die Bühne zu seinem Wohnzimmer machte, assistierten ihm dabei seine auch als Geräuschemacher glänzenden Partner Verena Bukal und Christoph Iacono (am Klavier ein Artist von atemberaubendem Tastentempo). Je mehr dann die neben den beiden Reiser-Fährten ausgelegte dritte Stückebene – eingeflochtene Textauszüge aus dem Manifest „Der kommende Aufstand“von 2007, einer Generalabrechnung mit dem heutigen Kapitalismus – Raum gewinnt, desto mehr findet das Stück Erdung und Tiefe. Jacobi bläut einem die Armseligkeit unseres Entfremdetseins ein („Wir betreiben unser Ich wie einen geschäftigen Schalter. Wir sind die Vertreter unserer selbst“). Und zeigt doch, dass wir vor lauter political correctness und Angepasstheit („wir sind wahnsinnig zivilisiert, oder?“, so Bukal voller Häme) kein Talent mehr zur Auflehnung haben. Zuletzt singt Jacobi, in ein Kleid gezwängt, Rio Reisers „Zauberland ist abgebrannt“. Und auch die Kunst hat nichts, was uns vor Selbstbetrug schützt. Sagt doch der andere Reiser in Jacobi: „Schauspieler ist auch eine abgeschmackte Rolle.“
Und doch: Das letzte Wort hat per Video ein Kinderchor. Er singt Reisers „Der Traum ist aus“, in dessen Refrain es tröstlich heißt: „Aber ich werde alles geben/ dass er Wirklichkeit wird.“Besser ist die Essenz dieses Abends kaum zu beschreiben.
Weitere Vorstellungen am 26. Oktober, 30. November, 6. und 17. Dezember.