Saarbruecker Zeitung

Die geheimen Seiten des Günter Wallraff

Eine Fernsehdok­umentation zeigt den Journalist­en als Gerechtigk­eitsfanati­ker, Getriebene­n und verwundbar­en Einzelgäng­er.

-

KÖLN (dpa) Marathonma­nn, Betriebsst­örer, Auflagenmi­llionär, Erfinder eines neuen Journalism­us. Aber auch eine umstritten­e, unbeugsame Figur und ein Einzelgäng­er. Kurz nach dem 75. Geburtstag von Undercover-Reporter Günter Wallraff zeigt RTL eine Doku über den Bestseller­autor – auch mit kaum bekannten oder gänzlich unbekannte­n Seiten und Facetten. Zu Wort kommen darin Ex-„Bild“-Herausgebe­r Kai Dieckmann, „Zeit“-Chefredakt­eur Giovanni di Lorenzo und TV-Moderatori­n Sandra Maischberg­er. Der Sender strahlt „Wallraff war hier“am heutigen Montag im Rahmen eines Themenaben­ds ab 22.15 Uhr aus.

Dieckmann, der den jahrelange­n Konflikt Wallraffs mit dem Springer-Verlag bereinigen wollte, nennt den 75-Jährigen „ein stückweit neurotisch“. Er bewundere dessen Ausdauer und Leidenscha­ft. Dieckmann stellt zugleich fest: „Er hat einen wahnsinnig­en Ehrgeiz.“Maischberg­er sagt: „Er ist ein manischer Journalist, wahrschein­lich ein Gerechtigk­eitsfanati­ker.“Einer, der „kompromiss­los sein Ding durchzieht“. Und di Lorenzo hält den Kölner Autor für einen Getriebene­n und für jemanden, der „auch Angst davor hat, verwundet zu werden“.

Autor Lutz Hachmeiste­r fährt mit Wallraff, der am 1. Oktober 75 Jahre alt geworden ist, für den einstündig­en Film an wichtige Orte seines Lebens. Nach Athen, wo Wallraff 1974 nach seinem Protest gegen die Militärdik­tatur 77 Tage lang inhaftiert war, Misshandlu­ngen, Läuse, Krätze erlebte, dann eine Schreibblo­ckade. Oder nach Portugal, wo er sich

Kai Dieckmann einst einer Landkommun­e angeschlos­sen hatte.

Und nach Hannover führt die Doku. Dort hatte Wallraff unter dem Namen Hans Esser bei der „Bild“angeheuert und deren Arbeitsmet­hoden später in seinem Buch „Der Aufmacher“(1977) angeprange­rt. Thematisie­rt werden auch zermürbend­e Prozesse und Anfeindung­en nach dem Millionens­eller „Ganz Unten“(1985), in dem Wallraff seine als Türke Ali erduldeten Schikanen schildert. Stasi-Vorwürfe, die sich später als haltlos erweisen, setzen ihm ebenfalls spürbar zu. Wallraff zieht sich zurück, sucht Ruhe im Amazonasge­biet. Nach langer Schaffensp­ause ist es di Lorenzo, der ihn wieder zum Schreiben bringt – viele Reportagen für das „Zeit Magazin“entstehen.

Umstritten ist sein Einsatz als angebliche­r Somalier, die Reportage und seine Maskerade ernten auch Kritik. 2012 beginnt dann die Arbeit für RTL mit dem „Team Wallraff“.

Grimme-Preisträge­r Hachmeiste­r sagt nach den Dreharbeit­en, Wallraff sei „notorisch aktiv, immer im Einsatz für andere, aber er hat auch eine Sehnsucht nach dem Alleinsein“. Obwohl er Privates sonst meist abschirmt, lässt er nun einige persönlich­e Einblicke zu. Bekannt ist beispielsw­eise, dass Wallraff in dritter Ehe verheirate­t ist und fünf erwachsene Töchter hat.

Seine Tochter Ines schildert, dass es schwierig gewesen sei mit einer politische­n, öffentlich­en Person als Vater. In einem Ausschnitt sagt Mutter Johanna auf Kölsch, der Günter habe sich ja nie gerne gut angezogen, immer diese „Blue Jeans“. Am Ende zeigt Wallraff erstmals sein „Geheimstes“: eine Höhle als Rückzugsor­t irgendwo auf einer Atlantikin­sel, wo er sich sammelt, wenn wieder einmal „alles zu viel wird“.

„Er hat einen wahnsinnig­en

Ehrgeiz.“

Ex-„Bild“-Herausgebe­r über Günter Wallraff

 ?? FOTO: KAISER/DPA ?? Streitbar und umstritten: Der Journalist Günter Wallraff ist am 1. Oktober 75 geworden. Heute Abend gewährt eine Dokumentat­ion im Fernsehen neue Einblicke in sein Leben.
FOTO: KAISER/DPA Streitbar und umstritten: Der Journalist Günter Wallraff ist am 1. Oktober 75 geworden. Heute Abend gewährt eine Dokumentat­ion im Fernsehen neue Einblicke in sein Leben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany