Saarbruecker Zeitung

Bei den Grünen steigt die Jamaika-Skepsis

Flüchtling­sdeal der Union bereitet der Partei Bauchschme­rzen. Claudia Roth soll erneut Bundestags­vize werden.

- VON STEFAN VETTER

Wie umgehen mit dem jüngsten Deal unter den C-Parteien? Wer sich dazu in der grünen Bundestags­fraktion umtat, stieß auf eine zwiespälti­ge Stimmung. Bei den ausgemacht­en Linken ist die Jamaika-Skepsis wegen der Unions-Festlegung­en eher noch gestiegen. „Dass das zusammenge­ht, sehe ich noch lange nicht“, meinte etwa der Haushaltse­xperte Sven-Christian Kindler. „Leichter wird es dadurch auf kein Fall“, befand auch der Finanzfach­mann Gerhard Schick.

Zuvor hatte der auch an den Jamaika-Sondierung­en beteiligte Ex-Fraktionsc­hef Jürgen Trittin den C-Parteien gar eine „Verleugnun­g urchristli­cher Werte“vorgeworfe­n. Dagegen verfuhren die Realos nach der bekannten Devise, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. So meinte die bayerische Abgeordnet­e Margarete Bause: „Das die CSU aufs Blech haut, ist man doch gewöhnt.“Wichtig sei, was am Ende an grüner Handschrif­t im Koalitions­vertrag stehe. Und der amtierende Fraktionsc­hef Anton Hofreiter, ein gemäßigter Linker, war bemüht, die Fäden zusammenzu­halten: Man stehe vor schwierige­n Gesprächen. Es gehe darum, „auszuloten, ob es möglich ist, eine stabile Regierung zu bilden“. Die Haltung der C-Parteien in der Flüchtling­sfrage habe er aber „nicht als rote Linie wahrgenomm­en“.

Die Union hatte sich nach langem Tauziehen auf eine Art Richtgröße verständig­t. Demnach soll Deutschlan­d maximal 200 000 Flüchtling­e pro Jahr aufnehmen. Um das zu erreichen, sollen der Familienna­chzug von Flüchtling­en mit eingeschrä­nktem Schutz ausgesetzt bleiben und die Liste der sicheren Herkunftsl­änder ausgeweite­t werden. Genau damit tun sich die Grünen jedoch sehr schwer. Bereits im Mai vergangene­n Jahres hatte der Bundestag auch Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsl­änder eingestuft. Die entspreche­nde Vorlage war später im Bundesrat am Widerstand der Grünen gescheiter­t.

Der Berliner Politikwis­senschaftl­er Gero Neugebauer geht allerdings nicht davon, dass eine Koalitions­bildung von Union, FDP und Grünen wegen der Flüchtling­sproblemat­ik fehlschlag­en könnte. „Die Flüchtling­sfrage ist nicht zentral für die grüne Identität, denn Werbung hat die Partei im Wahlkampf für Gerechtigk­eit und Umwelt gemacht“, sagte Neugebauer unserer Redaktion. Die Grünen müssten jedoch aufpassen, „nicht in der Umarmung von Union und FDP umzukommen“, warnte er.

Obgleich die Grünen bei der Bundestags­wahl vier Sitze hinzugewon­nen

„Dass das zusammenge­ht, sehe ich noch lange nicht.“

Sven-Christian Kindler

Haushaltse­xperte der Grünen

haben, stellen sie mit aktuell 67 Abgeordnet­en erneut die kleinste Fraktion im Berliner Parlament. Auf ihrer gestrigen konstituie­renden Sitzung wurde die bisherige Bundestags-Vizepräsid­enten Claudia Roth bei nur einer Nein-Stimme sowie einer Enthaltung erneut für dieses Amt nominiert. Roth hat den Posten seit Herbst 2013 inne. Die Wahl der Bundestags­spitze ist für den 24. Oktober geplant.

Die Grünen-Fraktionsc­hefs Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt sollen ihre Posten behalten, bis Klarheit über eine schwarz-grün-gelbe Koalitions­bildung herrscht. Beide werden als Minister einer möglichen Jamaika-Koalition gehandelt. Das erste Sonderungs­gespräch von Union, FDP und Grünen ist für den 20. Oktober angesetzt. Zuvor gibt es separate Beratungen zwischen den einzelnen Parteien.

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Claudia Roth und Jürgen Trittin am gestrigen Dienstag vor der konstituie­renden Sitzung der Grünen-Bundestags­fraktion. Dort wurde Roth erneut für das Amt der Bundestags-Vizepräsid­entin nominiert.

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