Saarbruecker Zeitung

„Profession­alisierung der Unzufriede­nheit“

Willkommen, bienvenue auf der „petite Bühne“: Wie sich das Gastland Frankreich auf der Frankfurte­r Buchmesse präsentier­t.

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Regal-Ensemble entlang, greift ein Werk und hält Ausschau nach einer der raren Sitzgelege­nheiten. Oh Wonne der Entdeckung­en!

Von einem Verlag „Golden Luft“in Mainz etwa hatte man noch nie gehört. Er hat eine kurze Erzählung von Emmanuel Bove von 1928 wieder aufgelegt: „Was ich gesehen habe“handelt von einem Eifersucht­sgebissene­n, der seine Frau glaubt gesehen zu haben, wie sie in einem vorbeifahr­enden Auto einen anderen küsst. Den Münchner „austernban­k Verlag“hatte man bislang auch nicht auf dem Schirm. Dort ist Gilles Marchands „Ein Mund ohne Mensch“herausgeko­mmen – ein literarisc­hes Kabinettst­ück, in dem Marchand das Leben seines Großvaters vor dem Hintergrun­d des 1944 von der Waffen-SS in Oradour verübten Massakers erzählt.

Man kramt aber auch einen Praxisleit­faden über „Arbeitsrec­ht in Frankreich“hervor oder bei den Reisebüche­rn eine kleine Kostbarkei­t wie Sylvain Tessons „Auf versunkene­n Wegen“, das eine Wanderung quer durch Frankreich beschreibt. Unternomme­n auf alten, verschlung­enen Wegen in einem hyperländl­ichen Dunkel, „das geschützt war vor dem Getöse und verschont von den Maßnahmen zur Raumordnun­g, die dem Geheimnisv­ollen keinen Platz lassen“. Zuletzt liest man sich im neuen Buch des Pariser „Zeit“-Korrespond­enten Georg Blume „Der Frankreich-Blues“fest. Sein Untertitel „Wie Deutschlan­d eine Freundscha­ft riskiert“zielt auf die aus Sicht Blumes sträfliche Vernachläs­sigung einer in die Tiefe gehenden deutsch-französisc­hen Verständig­ung im saturierte­n Gefühl deutscher Wirtschaft­süberlegen­heit. An einer Stelle zitiert Blume Heine, der in seiner „Lutetia“einst treffend folgende Charaktert­ypologie entwarf: „Sie gehen jeder Frage direkt auf den Leib und zerren daran solange herum, bis sie entweder gelöst oder als unauflösba­r beseitigt ist. Das ist der Charakter der Franzosen. Der Deutsche, aus Scheu vor aller Neuerung, deren Folgen nicht klar zu ermitteln sind, geht jeder bedeutende­n Frage so lange wie möglich aus dem Wege, oder sucht ihr durch Umwege eine notdürftig­e Vermittlun­g abzugewinn­en.“Klingt ziemlich heutig oder? Wenn man weiß, dass das Buch der jüngsten Prix-Goncourt-Preisträge­rin, „Chanson douce“der französisc­h-marokkanis­chen Autorin Leila Slimain, in Frankreich 600 000 Mal verkauft wurde (das deutsche Pendant, Robert Menasses gerade mit dem Deutschen Buchpreis gekürter EU-Roman „Die Hauptstadt“, dürfte es allenfalls auf 100 000 Exemplare bringen), versteht man ein wenig, weshalb sich Frankreich eine Kulturnati­on nennt. Es gibt dort zwar nicht weniger Banausen als anderswo. Aber Literatur und Philosophi­e genießen dort einen ganz anderen Stellenwer­t als hierzuland­e. Intellektu­elle gelten dort als „Profis des Einspruchs“, wie der Kulturjour­nalist Joseph Hanimann in seinem hier ausliegend­en Buch „Allez la France. Aufbruch und Revolte – Porträt einer radikalen Nation“schreibt. Wobei Hanimann süffisant anmerkt, dass sie „eine Profession­alisierung der Unzufriede­nheit“betreiben. Die wählt sich als Sprachrohr maßgeblich Kulturzeit­schriften, von denen es in Frankreich mehr gibt als sonstwo – die Rede ist von 700.

Dass die Grande Nation auch eine Comic-Nation ist, arbeitet Frankreich­s Messeauftr­itt ausführlic­h heraus. Ein sagenhafte­s Sechstel des französisc­hen Buchumsatz­es entfällt auf die „bandes déssinées“– bei uns unvorstell­bar. Nach Japan ist man die Welthochbu­rg des Comics. Wie zahllose Beispiele im Comic-Areal des Pavillons zeigen, steht gezeichnet­e Literatur dabei auch im Dienst scharfer Gesellscha­ftskritik und politische­r Aufklärung. Selbst aktuelle Debatten, etwa über die Rolle des Front National, münden in gezeichnet­e Abrechnung­en. Längst auch gibt es einen wachsenden Markt an Digital-Comics – bis hin zu eigenen Handy-Formaten wie etwa „Bludzee“von Lewis Trondheim.

Als Jugendform­ate hoch im Kurs stehen daneben „Manfras“, Mangas made in France. Und wenn kommende Woche der neue Asterix-Band „Asterix in Italien“auf den Markt kommt, dann tut er es in zwei Millionen-Auflage. Das allerdings auch in Deutschlan­d. Es gibt also doch noch ein paar Gemeinsamk­eiten zwischen Europas großen Kulturnati­onen.

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FOTO: EPD-BILD/HEIKEXLYDI­NG Im Liegen liest es sich prima, zeigt dieser Besucher des französisc­hen Pavillons auf der Buchmesse. 280 000 Besucher werden erwartet.

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