Saarbruecker Zeitung

„Mein Grab ist schon ausgehoben“– Gabriels letztes Rennen?

Der Ex-SPD-Chef muss sein Ministeram­t bald abgeben. Nun ist er womöglich auf Abschiedst­ournee, weil in der ersten Reihe kein Platz mehr für ihn ist.

- VON TIM BRAUNE Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg Iris Neu-Michalik

(dpa) Sigmar Gabriel gewährt einen Blick in sein Seelenlebe­n. Es sei schon ein „ganz schräges Gefühl“, immer noch als Außenminis­ter unterwegs zu sein, während die anderen an Jamaika basteln, erzählt er im „Café Spesso“in Hannover, Stadtteil Bothfeld. Nebenan verramscht ein Matratzenl­aden seine Produkte zu Kampfpreis­en, vor der Fensterfro­nt donnert die Straßenbah­n in die City. Zwei alte Damen, die sich für den schlanken Vizekanzle­r im azur-blauen Jackett hübsch gemacht haben, verputzen vergnügt ihr Tiramisu.

Die SPD ist gerade bei der Bundestags­wahl auf 20,5 Prozent abgeschmie­rt. Aus und vorbei. Keine neue „Groko“in Berlin, wie Gabriel bis zum Schluss gehofft hat. Kein Ministeram­t mehr. Bye-bye Weltpoliti­k. Opposition. Generation­enwechsel bei den Sozialdemo­kraten. Für Gabriel ist da kein Platz mehr in der ersten Reihe. Seine Frau Anke stimme ihn längst auf die Zeit nach dem grellen Scheinwerf­erlicht ein. „Na, hast du dich schon daran gewöhnt, nicht mehr wichtig zu sein?“, bekomme er seit der Bundestags­wahl in Goslar zu hören. Der eigentlich­e Kampf finde eben nicht im Wahlkampf, sondern zu Hause statt, scherzt Gabriel bei der Veranstalt­ung in Hannover, die den Titel „Auf ein Wort mit...“trägt.

Siebeneinh­alb Jahre war der frühere Lehrer SPD-Vorsitzend­er. So lange wie keiner seit Willy Brandt. Anfang Januar, nach Monaten des Zauderns, trat er zurück. Gabriel überließ Martin Schulz die Bühne. „Mach du es, mich wollen sie nicht“, sagte er da zu Schulz, der nur kurz im 100-Prozent-Glück baden durfte.

Nach dem Wahl-Desaster der SPD fiel Gabriel in ein Loch. Am Abend des 24. September stand er im Willy-Brandt-Haus ganz hinten auf der Bühne. Geduckt, erschütter­t. Zehn Tage lang tauchte Gabriel ab. Seine Mitarbeite­r machten sich Sorgen. Dann meldete er sich zurück. Wo? Natürlich in der Heimat. Vom „roten Klops“spricht Gabriel stolz. Während die SPD überall den Bach runterging, verteidigt­en Gabriel und seine Mitstreite­r die Bastion Braunschwe­ig und Umgebung. Er holte mit knapp 43 Prozent wieder sein Direktmand­at.

Demnächst, wenn er nicht mehr „Mister Wichtig“in Berlin ist („Ich hab‘ ja jetzt Zeit“), will er einen VW-Bus mieten, einen pensionier­ten Arbeits- und Sozialrech­tler einladen und jene Stadtteile abklappern, wo 40 Prozent der Menschen AfD gewählt haben. Die SPD dürfe der schwierigs­ten aller Fragen jetzt nicht ausweichen: „Warum waren wir so sehr zufrieden mit unserem Programm, aber die Wählerinne­n und Wähler nicht?“Der Fokus auf soziale Gerechtigk­eit habe die Menschen nicht überzeugt.

In der Fraktion hoffen sie, Gabriel, der Architekt der Groko 2013, habe kapiert, dass seine große Zeit vorbei sei. Aber ist das wirklich so? Gabriel, der brave Hinterbänk­ler? Wie eine Abschiedst­ournee wirken seine Auftritte in Niedersach­sen, wo SPD-Ministerpr­äsident Stephan Weil am Sonntag eine überrasche­nde Titelverte­idigung winkt, keineswegs. Er wird beobachten, was Andrea Nahles (die er lobt) an der Fraktionss­pitze macht. Was aus dem angeschlag­enen Schulz wird, den er bei seinen jüngsten Auftritten mit keinem Wort erwähnt.

Nach dem Kaffeekrän­zchen in Hannover taucht Gabriel in Einbeck auf. Südnieders­achsen, „Hotel Panorama“, Publikum 60 plus, viel weißes Haar. Dort schließt sich für ihn gewisserma­ßen ein Kreis. Als junger Mann arbeitete er als Bierkutsch­er bei der ortsansäss­igen Brauerei. „Der schönste Job meines Lebens“, sagt er auch jetzt. „Ich hab‘ da nur aus gesundheit­lichen Gründen aufgehört.“

Und in der SPD, „isch over“für Siggi? Einem Jungsozial­isten rät er, den alten Hasen zu widersprec­hen, mutig zu sein, den Laden aufzumisch­en. Wie er sich da so reden hört, sagt Gabriel grinsend: „Ich schaufle mir mein eigenes Grab.“Um spöttisch nachzuschi­eben: „Das ist auch schon ausgehoben.“Aber wer weiß, bis zur Beerdigung seiner politische­n Laufbahn könnte noch einiges passieren.

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FOTO: STEIN/DPA Der Außenminis­ter beantworte­t bei „Auf ein Wort mit Sigmar Gabriel“Fragen des Publikums.

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