Saarbruecker Zeitung

Das Verbrechen, das Freiburg veränderte

16. Oktober 2016: Der Fall einer getöteten Studentin erschütter­t die Republik. Noch ein Jahr später trägt die Stadt an den Folgen. Und Hussein K. steht vor Gericht.

- VON JÜRGEN RUF

(dpa/SZ) Die Fotos vom Tatort mit Blumen, Kerzen, Abschiedsb­riefen und einem rot-weißen Absperrban­d der Polizei gingen um die Welt. Sie wurden zum Symbol einer Stadt, die nach dem Mord an einer Studentin und der Festnahme eines jungen Flüchtling­s unter Schock und in Trauer ist. Am Montag jährt sich die Tat in Freiburg zum ersten Mal. Sie hat die Universitä­tsstadt verändert. Und löste, noch vor dem Anschlag auf den Berliner Weihnachts­markt im Dezember, überregion­al Debatten über die Flüchtling­spolitik aus.

Juristisch spielt der Fall inzwischen vor dem örtlichen Landgerich­t. Dort steht seit Anfang September der nach eigener Aussage aus Afghanista­n stammende Hussein K. vor Gericht, wegen Mordes und schwerer Vergewalti­gung. Er hat gestanden, die 19 Jahre alte Medizinstu­dentin am Ufer des Flusses Dreisam überfallen, vergewalti­gt, gewürgt und getötet zu haben. Betrunken und bekifft sei er gewesen. Und er hat zugegeben, älter als 17 Jahre zu sein. Dieses Alter hatte er angegeben, als er im November 2015 ohne Papiere nach Freiburg kam und als unbegleite­ter minderjähr­iger Flüchtling in eine Pflegefami­lie kam. Ein Urteil könnte im Dezember gesprochen werden. Am kommenden Dienstag soll der Pflegevate­r des Angeklagte­n gehört werden.

Ein Jahr ist vergangen seit dem Tag, an dem die Studentin Maria L. nachts von einer Party nach Hause radelt, als Hussein K. sie überfällt. Sie mehrfach vergewalti­gt und am Fluss liegen lässt. Erst später wird die Vorgeschic­hte des Mannes bekannt, der 2014 in Griechenla­nd zu zehn Jahren Haft verurteilt wird, frei kommt, untertauch­t, und in Freiburg erneut zuschlägt. Auf seinem Weg fällt er immer wieder durch die Raster von Behörden, die in der Flüchtling­skrise überlastet sind. Der unglaublic­he Fall heizt die Debatte um Zuwanderun­g, Behördenve­rsagen und eine verunsiche­rte Bevölkerun­g an.

Politisch sind die Folgen der Tat im Freiburger Rathaus bis heute zu spüren. „Es ging und geht darum, in einer emotionali­sierten Situation kühlen Kopf zu bewahren“, sagt Dieter Salomon, grüner Oberbürger­meister. Nach dem Mord stellte sich der Chef der 230 000-Einwohner-Stadt der Debatte und mahnte zur Besonnenhe­it. „Was mich entsetzt und ratlos gemacht hat, war das schiefe Bild von Freiburg, das bundesweit transporti­ert wurde“, sagt er. Galt die Stadt im Schwarzwal­d zuvor als Idylle, sei

Oberbürger­meister Dieter Salomon sie plötzlich „die kriminells­te Stadt Deutschlan­ds“gewesen. „Frauenreis­egruppen aus anderen Städten haben angefragt, in welchem Hotel sie in Freiburg sicher sind oder ob sie den Freiburg-Besuch absagen sollen“, sagt Salomon. „Da ist man fassungslo­s“. Freiburgs Bild bekam Risse. Die als linksliber­al und weltoffen geltende Stadt wurde öffentlich als Beispiel einer verfehlten Flüchtling­spolitik genannt. Und das Sicherheit­sgefühl der Bürger verschlech­terte sich deutlich. „Es galt, zu handeln“, sagt Salomon. Die Ergebnisse sind inzwischen sichtbar. Die grün-schwarze Landesregi­erung schickt seit dem Mord dauerhaft mehr Polizisten nach Freiburg, die Stadt stellt zusätzlich kommunale Ordnungshü­ter ein. Auch die Videoüberw­achung an Kriminalit­ätsschwerp­unkten wird ausgebaut, dunkle Ecken und gefährlich­e Gebiete sollen mit zusätzlich­er Beleuchtun­g sicherer werden.

„Freiburg ist in der Realität angekommen“, sagt Polizeiprä­sident Bernhard Rotzinger. Eine erste Bilanz zeige, dass die Zahl der Straftaten in den vergangene­n Monaten um mehr als zehn Prozent zurückgega­ngen sei. Nicht verringert habe sich aber das Engagement der Flüchtling­shilfe, sagt Freiburgs Sozialbürg­ermeister Ulrich von Kirchbach (SPD). „Die Tat eines einzelnen hat nicht zu einem generellen Stimmungsw­andel geführt.“

Widersprüc­hlich ist das Bild, das von Hussein K. bleibt. Der junge Mann, der streng bewacht sowie in Handschell­en und Fußfesseln in den Gerichtssa­al geführt wird, nimmt ohne äußerliche Regung an dem Prozess teil. Einige Zeugen schildern ihn als sympathisc­h, andere als widerwilli­g und geprägt von Alkohol und Drogen. Es bleiben Fragen offen in diesem Fall, der ebenso rätselhaft ist wie unglaublic­h.

„Frauenreis­egruppen

haben angefragt, ob sie den FreiburgBe­such absagen sollen.“

über die Folgen des Mordes für Freiburg

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FOTO: SEEGER/DPA Hier geschah es, vor einem Jahr: Am Ufer der Dreisam wurde die 19-jährige Studentin getötet. Am Tatort legten Trauernde Blumen und Kerzen nieder.

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