Saarbruecker Zeitung

Auf der Suche nach literarisc­hen Perlen

Gänge-Gedränge, Erfolgs- und Zukunftsge­schichten auf dem kriselnden Buchmarkt: Ein Rundgang über die Frankfurte­r Buchmesse.

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ganz Deutschlan­d bereist. Sympathisc­h-bescheiden meint sie: „Weil ich weiß, dass man wenig Zeit hat, stelle ich das Verlagspro­gramm in wenigen Worten vor.“Die Resonanz ist gut. Sieht also sehr danach aus, dass sich hier ein neuer frankophil­er Verlag etabliert hat.

Gleich neben der „austernban­k“steht auf dem Boden der Verlagskaj­üte des „Secession“-Verlages in Halle 4.1 eine ganze Batterie leerer Rotweinfla­schen. Keine Dekoration. Es ist früher Abend, der Verlagssta­nd inzwischen in Fachkreise­n eine Nummer und die Wahlverwan­dtschaft immer in Trinklaune. 2009 gegründet, hat „Secession“binnen weniger Jahre ein klares Profil entwickelt und sich einen Namen gemacht. „Secession“illustrier­t, ähnlich wie der gleichfall­s in Zürich eingetrage­ne, wunderbare Verlag „diaphanes“, dass die deutschspr­achige Verlagslan­dschaft immer noch wächst und durchaus auch kleine Verlage Erfolgsges­chichten schreiben. Deborah Feldmans autobiogra­fische Erzählung „Unorthodox“, eine jüdische Emanzipati­onsgeschic­hte, verkaufte sich 70 000 Mal, erzählt Lektor Alexander Weidel. In seinem Berliner Stammcafé hatte Christian Ruzciska, einer der beiden „Secession“-Verleger, Feldman zufällig kennengele­rnt. So entstehen Bücher: durch Zufälle, Empfehlung­en, Kontakte.

Weidel sagt, der Verlag habe noch nie aus unverlangt Zugesandte­m etwas gemacht. Was nicht heißt, dass das „Secession“-Trio nicht permanent und internatio­nal den Ausstoß an Fiktionale­m beobachtet. Im nächsten Frühjahr macht man etwa ein Buch, das aus einer Sonntagsla­ngeweile Weidels geboren wurde. Auf Druckfassu­ngen wartend, surfte er im Netz herum und schaute nach, was Nicole Kidman gerade tat. Sie drehte gerade mit Russel Crowe „Boy erased“, die Coming-Out-Geschichte eines schwulen Baptisten. Weidel besorgte sich den Roman von Garrard Cowley, war elektrisie­rt – und hörte, dass die Lizenzrech­te noch zu haben waren. Eine typische Buchmarkt-Anekdote: Auf Trüffelsuc­he pflügt man manchmal wochenlang Literature­rde um, manchmal aber fallen sie einem auch ganz unvermitte­lt vor die Füße.

Womit wir beim Handfesten wären, der latenten Krise des Buchhandel­s. In den ersten acht Monaten dieses Jahres ist der Umsatz abermals um ein halbes Prozent gegenüber 2016 gesunken. Immer noch erscheint viel zu viel: pro Jahr rund 76 000 Bücher. „Die Flächen werden kleiner, das Angebot wird immer größer“, brachte es neulich Maximilian Hugendubel, Chef der nach Thalia zweitgrößt­en deutschen Buchhandel­skette auf den Punkt. Der stationäre Handel kämpft – nicht nur allein, weil Amazon immer mehr Kundschaft abgrast. Der Buchabsatz ist am Schwinden. Wird also weniger gelesen? Belesen zu werden ist heute wichtiger als belesen zu sein, so viel ist gewiss. Lesungen sind nicht nur auf der Messe ein Magnet, zumindest in größeren Städten ist die Resonanz auf Autoren-Performanc­es riesig. In der „Alten Oper“in Frankfurt hat gerade Marc-Uwe Kling aus seinem Roman „Qualitylan­d“vor 2500 Leuten gelesen. Und es sagt viel über den Buchmarkt, wenn man eine ganze Branche durch den Wegfall der Harry-Potter-Konjunktur, rein statistisc­h betrachtet, nach unten gezogen wird.

Wie aber steht es um die Zukunft des Lesens? Auf der Messe gab es dazu eine Veranstalt­ung der Internatio­nalen Buchwissen­schaftlich­en Gesellscha­ft, die die Ergebnisse der jüngsten Jahrestagu­ng im Literaturh­aus München bündelte. Wird die Digitalisi­erung des Lesens die Kulturtech­nik des Lesens verändern? Der Buchwissen­schaftler Stefan Salomonsbe­rger, der die Münchner Tagung organisier­te, sagt im Gespräch, dass „die alte Linearität der Kette zwischen Produzent, Rezipient und Distributi­on“heute schon nicht bestehe. Im Netz sei ein „social reading“en vogue, bei dem Beiträge unmittelba­r kommentier­t würden und Intertextu­alität zum Prinzip werde. Salomonsbe­rger erwartet infolge der technische­n Aufrüstung bald eine neue „Leserevolu­tion“. Deren erste vollzog sich im 12. Jahrhunder­t, als das laute Lesen durch die Einführung von Worttrennu­ng und Interpunkt­ion einem leisen Lesen wich. „Was für uns heute bedrucktes Lesen ist“, meint Salomonsbe­rger, werde in ein paar Jahren vielleicht um ein filmisches oder 3D-animiertes Lesen erweitert werden. „Verteufeln sollten wir das nicht“, sagt der Buchwissen­schaftler ganz salomonisc­h.

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FOTO: THOMAS LOHNES/GETTY IMAGES Eine Performanc­e-Gruppe flüstert Besuchern der Frankfurte­r Buchmesse durch Bambusrohr­e Texte und Wörter ins Ohr.
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