Was wird aus Sigmar Gabriel?
Warum der ehemalige saarländische Wirtschaftsminister Hanspeter Georgi auch mit 75 für seine Überzeugungen kämpft.
Nein: An Ruhestand ist auch mit 75 für einen agilen und umtriebigen Menschen wie ihn nicht zu denken. Der ehemalige saarländische Wirtschaftsminister (1999 bis 2007) Hanspeter Georgi zeigt auch zehn Jahre nach dem Ausscheiden aus seinem Amt nach wie vor hohe öffentliche Präsenz. Sein Terminkalender ist gut gefüllt. Ein gefragter Mann: ob als Mitwirkender in der Zukunftsinitiative Saar, dem Arbeitskreis Wirtschaft oder auch in der Aktion Lernpaten, die sich um digitale Hilfsmittel im Schulunterricht und die Förderung benachteiligter Schüler kümmert.
Fast schon ins Schwärmen gerät der ansonsten eher nüchtern argumentierende Georgi jedoch, wenn er auf sein Lieblingsprojekt zu sprechen kommt, das ihn besonders antreibt: die Großregion Saarland, Lothringen, Luxemburg, Wallonien und Rheinland-Pfalz. „Die Großregion muss endlich die Herzen der Menschen erreichen. Sie müssen es wollen, sie profitieren davon.“20 000 Berufspendler und Verbraucher täglich, die in diesem Großraum hin- und herfahren, „sind besonders für das Saarland eine riesige Chance, gerade wenn es um die wirtschaftliche und kulturelle Weiterentwicklung mitten im Herzen Europas geht“, sagt Georgi. Für ihn bedeutet das mehr grenzüberschreitenden Handel, mehr neue Unternehmen mit zusätzlichen Arbeitsplätzen, mehr Kooperationen der Schulen und Universitäten. Für diese Ziele kämpft Georgi an vielen Fronten auch persönlich mit, besonders als Vizepräsident des Instituts der Großregion in Gesprächen mit Entscheidern der Politik und Wirtschaft aus Luxemburg und Lothringen. Ganz im Geiste von Robert Schuman, den Georgi besonders schätzt. Schuman hatte als französischer Außenminister nach dem zweiten Weltkrieg die Aussöhnung mit Deutschland vorangetrieben und mit der Montanunion für Kohle und Stahl das Fundament für ein zusammenwachsendes Europa gelegt. Es geht Georgi einfach nicht schnell genug. Zweisprachigkeit an der Saar müsse eigentlich schon selbstverständlich sein, zweisprachige Hinweisschilder diesseits und jenseits der Grenzen sowieso. „Und ich frage mich auch, warum für saarländische Schüler nicht Schulausflüge ins Nachbarland längst Realität
Hanspeter Georgi
sind.“Es seien die vielen kleinen Dinge, die noch fehlten, weniger der politische Wille. Deshalb unterstützt Georgi die Frankreichstrategie der Landesregierung.
Von den jungen Saarländern ist er besonders angetan. Ihnen traut er viel zu. „Die junge Generation hat das mangelnde Selbstbewusstsein vieler Saarländer längst abgelegt. Selbstbewusstsein ist bei den jungen Leuten heute kein Problem mehr. Die haben nicht mehr die Skrupel der Älteren, sind sehr gut ausgebildet, gehen auch mal weg von hier und kommen meist mit vielen neuen Erfahrungen zurück, von denen sie im Beruf profitieren.“Einen energischen Mitstreiter für ein vereintes Europa hat Georgi in Eugen Roth, dem Landesvorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Ihm ist das auf Gewerkschaftsebene als Mitglied im Interregionalen Parlamentarierrat (IGR) ein Herzensanliegen. Beide kennen sich seit vielen Jahren, sind miteinander befreundet. Das ist wahrlich keine Selbstverständlichkeit, denn Georgi hat sich als Wirtschaftsminister immer wieder mit den Gewerkschaften und auch der Arbeitskammer als Arbeitnehmerorganisation heftig angelegt. Etwa wenn es um flexiblere Arbeitszeiten ging oder auch die Abschaffung von Feiertagen im Saarland.
Doch trotz oft unterschiedlicher Ansichten sagt Roth über Georgi: „Er ist im positiven Sinn ein Besessener, jemand, der das, was er macht, mit großer Ernsthaftigkeit verfolgt. Er verfügt über eine große Überzeugungskraft.“Dann lacht Roth, denn Georgis Überzeugungsarbeit macht selbst auf dem Tennisplatz nicht halt. „In einer Spielpause mit ihm war ich damit beschäftigt, meinen Puls wieder in Ordnung zu bringen, während er mir etwas von angeblichen Vorteilen einer Arbeitszeitflexibilisierung erzählte.“
Seine typische Art reichte bis in Werksversammlungen hinein, was manche CDU-Strategen zuweilen zur Verzweiflung brachte. So erinnert sich Georgis Amtsnachfolger Joachim Rippel (CDU) an eine gemeinsame Betriebsbesichtigung in Wahlkampfzeiten. Georgi, selbst CDU-Mitglied, habe zu den Arbeitern gesprochen, um ihnen dann zu sagen: „Wir müssen mehr arbeiten.“Das klang zumindest mit Blick auf mögliche Wähler wohl eher ernüchternd. Rippel sagt deshalb auch mit einem Schmunzeln: „Ein Parteistratege war der Hanspeter nicht. Er war nahezu kompromisslos.“Das habe auch der CDU einiges abverlangt. Doch er sei eben auch immer getrieben gewesen, das Beste für die Menschen und das Saarland zu wollen.
Ähnlich äußert sich sein langjähriger Weggefährte Albert Hettrich, früher Wirtschafts-Staatssekretär, heute wieder Stahlmanager. „Hanspeter Georgi ist ein positiv denkender Mensch und großer Anhänger von klaren Entscheidungen. Er hat sich mit jedem auseinandergesetzt und verfolgte dabei das Ziel, aus bereits Vorhandenem etwas noch Besseres zu machen.“
Inhaltlich kann Georgi aus seiner Zeit als Wirtschaftsminister zahlreiche Erfolge vorweisen. Das Spektrum reicht von einer Innovationsstrategie für die Saarwirtschaft über eine besondere Förderung des Mittelstandes bis hin zur sozialverträglichen Bewältigung der Folgen des plötzlichen Endes im Saarbergbau. Doch Georgi bezahlt für seine Unabhängigkeit einen hohen Preis. Peter Müller, der ihn 1999 als Überraschungscoup von der Industrie- und Handelskammer (IHK) als dortigem Hauptgeschäftsführer in die Landesregierung holte, lässt ihn am 14. August 2007 fallen, eröffnet ihm, dass er dem nächsten Kabinett nicht mehr angehört. Georgi ist noch heute
„Ich traue Annegret Kramp-Karrenbauer eine bundespolitische Karriere zu, wenn sie
das will.“
verbittert darüber. Eine echte Aussprache zwischen den beiden Männern gab es bis heute nicht. Müller sah wohl auch seine Wiederwahl in Gefahr. Georgi: „Ich hätte meine Arbeit noch gerne fortgesetzt, aber ich habe auch immer die Spielregeln in diesem Geschäft akzeptiert.“Interessant, was Eugen Roth dazu sagt: „Wir als Gewerkschafter haben nie die Ablösung von Georgi gefordert.“
Doch trotz einer solch bitteren persönlichen Niederlage hält Georgi bis heute an seiner Grundüberzeugung fest: „Unabhängigkeit ist da A und O im Leben. Der unabhängige Weg ist der schwierigere, aber über die Dauer der beste und der einzige, wenn Sie wirklich von einer Sache überzeugt sind.“
An Müllers Amtsnachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer beobachtet er eine grundsätzlich andere Herangehensweise an Politik. „Sie sieht Politik nicht als Theater an. Solche Mätzchen wie die von Oskar Lafontaine, der sich früher mit einer Sofortbildkamera mit jedem ablichten ließ, das käme für sie nicht in Frage.“Die Ministerpräsidentin verfüge über großes Fachwissen, analysiere messerscharf, sei im Umgang nicht unbedingt volkstümlich und lege weniger Wert darauf, mit jedem per Du zu ein. „Ich traue ihr auch eine bundespolitische Karriere zu, wenn sie das will“sagt Georgi. Der Begriff „AKK“sei bundesweit schon ein Qualitätsmerkmal und das Saarland in der überregionalen Wahrnehmung positiv besetzt.
Wie weit Wertschätzung gehen kann, erfuhr Hanspeter Georgi beim Auscheiden aus dem Amt. Seine Mitarbeiter schenkten ihm einen Wanderweg und einen Radweg inklusive seines Namens als Beschilderung. Diese Wege sehen jetzt auch seine Enkelkinder. Der „Gelegenheitspensionär“entspannt gerne bei Wanderungen mit seiner Frau und mit Freunden. Auch hier hat Georgi eine klare Haltung: „Im Saarland ist es wunderschön. Hier bekommt uns keiner mehr weg.“