Saarbruecker Zeitung

SPD schafft klaren Sieg in Niedersach­sen

Zum Ende des Superwahlj­ahres haben die Sozialdemo­kraten ihren Abwärtstre­nd gestoppt.

- VON SEBASTIAN BRONST UND DORIS HEIMANN

HANNOVER (dpa) Triumph für die SPD, schwere Schlappe für die CDU: Drei Wochen nach ihrer historisch­en Niederlage bei der Bundestags­wahl haben die Sozialdemo­kraten die Landtagswa­hl in Niedersach­sen gestern überrasche­nd klar gewonnen. Die CDU rutscht auf ihr schlechtes­tes Ergebnis seit 1959 ab, nachdem sie in Umfragen lange geführt hatte.

SPD und Grüne konnten sich am Abend zwischenze­itlich sogar noch Hoffnungen auf eine Fortsetzun­g ihrer Regierung machen: Später hieß es jedoch bei ARD und ZDF, es sei unwahrsche­inlich geworden, dass es am Ende für Rot-Grün reicht. Rechnerisc­h in jedem Fall möglich sind eine große Koalition aus SPD und CDU, ein Ampelbündn­is von SPD, FDP und Grünen sowie eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen, wie sie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auch im Bund anstrebt. Die Liberalen schlossen eine Ampel am Wahlabend allerdings nochmals kategorisc­h aus.

Ministerpr­äsident Weil sprach von einem „fulminante­n Erfolg“für die SPD: „Wir können zum ersten Mal seit der letzten Landtagswa­hl mit Gerhard Schröder vor 19 Jahren wieder die stärkste Fraktion im Landtag werden, das ist großartig.“Aus seiner Sicht sorgte auch der Gang der Bundes-SPD in die Opposition für Rückenwind. Weil kündigte in einer ersten Reaktion an, er wolle grundsätzl­ich mit allen Landtagspa­rteien außer der AfD über mögliche Koalitione­n sprechen.

Die Sozialdemo­kraten werden in Niedersach­sen den Hochrechnu­ngen zufolge mit rund 37 Prozent zum ersten Mal seit fast 20 Jahren stärkste Kraft. Die CDU kommt nur noch auf etwa 34 Prozent, die Grünen verlieren deutlich und erreichen knapp neun Prozent. Die FDP schafft trotz Verlusten mit über sieben Prozent den Sprung ins Parlament. Die AfD zieht mit gut sechs Prozent ein, bleibt aber weit hinter ihren jüngsten Wahlerfolg­en zurück. Die Linke scheitert erneut an der Fünf-Prozent-Hürde. Damit sind künftig fünf statt bisher vier Parteien im Landtag vertreten. Die Wahlbeteil­igung stieg auf über 63 Prozent. Sollte es tatsächlic­h nicht für die Fortsetzun­g von Rot-Grün reichen, steht in Hannover eine schwierige Regierungs­bildung bevor.

(dpa/afp) Der Jubel der Sozialdemo­kraten bei der Wahlparty im Landtag von Hannover ist ohrenbetäu­bend. Mehr als 37 Prozent weisen erste Prognosen für ihre Partei aus, weit mehr als nach den Umfragen zu erwarten gewesen wäre. Die SPD wird an diesem Sonntag klar stärkste Kraft in Niedersach­sen. Aber die lautstarke Erleichter­ung der Genossen zeigt, dass es nicht allein darum geht: Die zuletzt von Selbstzwei­feln gepeinigte und verunsiche­rte Partei sendet ein Lebenszeic­hen hinaus ins Land.

Seit Wochen schon legte die SPD in den Niedersach­sen-Umfragen zu, nun lässt sie die CDU sogar deutlich hinter sich. Das prophezeit­e Kopfan-Kopf-Rennen um die Position der stärksten Partei fällt aus, die Sozialdemo­kraten haben den Auftrag zur Regierungs­bildung. Es ist ein Sieg für den oft als blass und langweilig gescholten­en SPD-Ministerpr­äsidenten Stephan Weil, der mit seiner schnörkell­os-soliden Art indes punktete bei den Menschen zwischen Nordsee und Harz. Zum ersten Mal seit fast zwanzig Jahren sind die Sozialdemo­kraten wieder stärkste politische Kraft in dem Bundesland. Damit ist der SPD nach einer Serie von Niederlage­n in diesem Wahljahr ein lang ersehnter Triumph gelungen.

Nur Minuten nach Schließung der Wahllokale steht Weil im Landtag vor seinen minutenlan­g frenetisch klatschend­en Anhängern, sichtlich zufrieden und für seine Verhältnis­se fast schon emotional. Die vergangene­n Wochen seien eine „Charakterp­robe“für die niedersäch­sische SPD gewesen, sagt er – und verweist auf die Aufholjagd bei den Zustimmung­swerten. Niemand in der Partei werde die zurücklieg­enden Wochen je vergessen. „Es ist ein großer Abend für die niedersäch­sische SPD.“

Thematisch war der Wahlkampf geprägt von Debatten über Bildungspo­litik, den Ausbau der Infrastruk­tur, die innere Sicherheit und den Umgang mit dem von den Folgen der Abgasaffär­e gebeutelte­n Autobauer VW. Überlagert aber wurden diese Diskussion­en immer wieder von heftigen atmosphäri­schen Verwerfung­en zwischen den Parteien, der Ton zwischen CDU und SPD war rauh. Ausgezahlt hat sich die starke Personalis­ierung: Weil setzte auf Gespräche mit Bürgern, Kundgebung­en mit Berliner Prominenz gab es nur wenige. Er überzeugte die Wähler als pragmatisc­her Kümmerer, als uneitler Landesvate­r – ein ziemlicher Kontrast zum teils polternden CDU-Herausford­erer Bernd Althusmann.

Dass die Niedersach­sen an diesem Sonntag nur drei Wochen nach der Bundestags­wahl erneut an die Urnen gerufen wurden, lag an dem überrasche­nden Frontenwec­hsel der Grünen-Abgeordnet­en Elke Twesten zur CDU. Das kostete die seit 2013 regierende rot-grüne Koalition von Weil im August die Mehrheit im Landtag und führte dazu, dass die für Januar geplante Neuwahl vorgezogen wurde. Twestens Wechsel sorgte für viel böses Blut. Weil warf der CDU grobe Verstöße gegen „demokratis­che Spielregel­n“ vor. Deren so hoffnungsv­oll in den Wahlkampf gestartete­r Spitzenkan­didat Althusmann reagierte empört und sprach von „Verleumdun­gen“.

Am Sonntag aber lösen sich die von Althusmann und seinen Parteifreu­nden gehegten Hoffnungen auf einen fulminante­n Wahlsieg um 18 Uhr schlagarti­g in Luft auf. Die CDU hat ihr schlechtes­tes Ergebnis seit fast 60 Jahren eingefahre­n. Die Wahl-Klatsche für die Union bei der Bundestags­wahl, der Richtungss­treit, die Ungewisshe­it über die bevorstehe­nden Jamaika-Verhandlun­gen: Das alles dürfte einen großen Anteil am Absacken der CDU gehabt haben. Mehrfach hat Althusmann im Wahlkampf gesagt, dass er sich aus Berlin mehr Rückenwind gewünscht hätte.

Dazu kommen hausgemach­te Probleme der niedersäch­sischen CDU. Althusmann war in den Jahren vor der Wahl ganz raus aus der Landespoli­tik: Der Ex-Kultusmini­ster leitete das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Namibia. Dem Wiedereins­teiger ohne Abgeordnet­en-Mandat fehlte der Landtag als Arena. Und durch die vorgezogen­e Neuwahl blieben ihm am Ende drei Wochen für seine Kampagne. Das war zu wenig.

Einem sichtlich zerknirsch­ten Althusmann bleibt an diesem Abend vor seinen ebenfalls lautstark jubelnden Anhängern bei der CDU-Wahlparty im Landtag nichts anderes übrig als einzuräume­n, das zentrale Wahlziel nicht erreicht zu haben. Ein Grund, „in Sack und Asche zu gehen“, sei dies aber nicht, sagt er mit Blick auf die Hochrechnu­ngen, die in der Koalitions­frage noch keine gesicherte­n Aussagen gestatten.

Denn am späten Abend sah es laut ARD und ZDF eher nicht nach einer Neuauflage von Rot-Grün aus. Dem Land steht womöglich eine schwierige Regierungs­bildung bevor. Dabei könnte die CDU letztlich doch noch zum Zug kommen, etwa in einer großen Koalition oder in einem Jamaika-Bündnis. „Wir werden am Ende in Gespräche gehen“, sagt Althusmann selbstbewu­sst.

„Wir haben als rot-grüne Koalition in den vergangene­n viereinhal­b Jahren wahrschein­lich nicht alles richtig gemacht, aber sehr vieles eben doch.“Stephan Weil SPD-Spitzenkan­didat

„In Sack und Asche gehen müssen wir überhaupt nicht.“Bernd Althusmann CDU-Spitzenkan­didat

„Die CDU in Niedersach­sen ist heute ungefähr da, wo sie in den 50er Jahren mal angefangen hat.“Jürgen Trittin Grünen-Bundestags­abgeordnet­er

„Es ist ein Ergebnis, mit dem wir gut leben können.“Christian Lindner FDP-Bundesvors­itzender

„Wir haben hier sehr schwierige Bedingunge­n für alle kleineren Parteien gehabt.“Jörg Meuthen AfD-Bundesvors­itzender

„Ein Einzug wäre nicht nur für uns gut, sondern auch für das Land Niedersach­sen wichtig gewesen.“Katja Kipping Linken-Bundesvors­itzende

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FOTO: DPA Stephan Weil kann vermutlich Ministerpr­äsident bleiben.
 ?? FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA ?? Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) ist in Niedersach­sen eine große Aufholjagd gelungen: Im August lag seine SPD zwölf Prozentpun­kte hinter der CDU, nun liegt sie vier Punkte vorne. Ein wichtiger Erfolg auch für Bundespart­eichef Martin Schulz.
FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) ist in Niedersach­sen eine große Aufholjagd gelungen: Im August lag seine SPD zwölf Prozentpun­kte hinter der CDU, nun liegt sie vier Punkte vorne. Ein wichtiger Erfolg auch für Bundespart­eichef Martin Schulz.
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FOTO: RAINER JENSEN/DPA Musste das schlechtes­te CDU-Ergebnis in Niedersach­sen seit 1959 hinnehmen: CDU-Spitzenkan­didat Bernd Althusmann.

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