Saarbruecker Zeitung

Gewerkscha­ften drohen zu vergreisen

Die Gewerkscha­ften vergreisen allmählich, wie aus einer Studie hervorgeht. Im Saarland ist der Altersdurc­hschnitt allerdings besser.

- VON JOACHIM WOLLSCHLÄG­ER

Gewerkscha­fts-Mitglieder sind älter als der Bevölkerun­gsdurchsch­nitt. Das geht aus einer Studie hervor. Im Saarland ist die Situation nicht so gravierend. Hier werde eine gute Jugendarbe­it gemacht, sagen Saar-Gewerkscha­fter.

Gewerkscha­ften, das zeigt eine Untersuchu­ng des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, werden in Deutschlan­d immer älter. Während der Studie zufolge 24,3 Prozent der Arbeitnehm­er im Jahr 2014 der Altersgrup­pe 16 bis 30 Jahre angehörten, waren es unter den Gewerkscha­ftsmitglie­dern nur 15,3 Prozent. Umgekehrt ist es bei den über 50-Jährigen. 35,5 Prozent der Arbeitnehm­er waren laut der Studie 51 bis 65 Jahre alt, bei den Gewerkscha­ftsmitglie­dern gehören 42 Prozent dieser Gruppe an.

Deutschlan­d ist kein Einzelfall, wie die IW-Studie zeigt. Nach einer Auswertung des European Social Survey (ESS) durch das Kölner Institut tritt das Phänomen alternder Gewerkscha­ften in den meisten europäisch­en Ländern auf. Ähnlich signifikan­t zeigt sich das auch in Norwegen, dem Vereinigte­n Königreich und Schweden.

Die Gewerkscha­ften im Saarland können dieses Phänomen nur bedingt bestätigen. Zwar würde der Altersdurc­hschnitt der Gewerkscha­ftsmitglie­der steigen, bestätigt Verdi-Sprecher Dennis Dacke – bundesweit beträgt das Durchschni­ttsalter der Verdi-Mitglieder demnach 53 Jahre – im Saarland dagegen seien die Mitglieder jünger – hier liegt das Alter laut Dacke im Schnitt bei 49,3 Jahren. Das Saarland sei in dieser Hinsicht ein Lichtblick, sagt Dacke: „Im Jahr 2016 sind mehr Auszubilde­nde denn je im Saarland Verdi beigetrete­n.“Verdi sei hier mit der Jugendarbe­it auch sehr aktiv: „Es zeigt sich, dass immer mehr junge Menschen einen Sinn in einer Gewerkscha­ftsmitglie­dschaft sehen“, sagt er.

Auch die IG Metall im Saarland geht die Nachwuchsg­ewinnung sehr offensiv an: „Natürlich ist es ein wichtiges Thema, junge Menschen für die Gewerkscha­ftsarbeit zu gewinnen“, sagt Ralf Reinstädtl­er, Erster Bevollmäch­tigter der IG Metall in Homburg. Aber gerade im Metallbere­ich sei die Bereitscha­ft sehr hoch, sich gewerkscha­ftlich zu organisier­en: 80 bis 85 Prozent der Auszubilde­nden im Homburger Bereich würden auch Mitglied in der Gewerkscha­ft. Noch besser ist es in Völklingen: Robert Hiry, Erster Bevöllmäch­tigter der Völklinger IG Metall sagt, dass bei ihnen im vergangene­n Jahr sogar 97 Prozent aller Auszubilde­nden Gewerkscha­ftsmitglie­d geworden seien. Grund dafür sei, dass sich beispielsw­eise über die Vergütung und die Urlaubstag­e zeige, dass sich Gewerkscha­ftsarbeit lohnt. Reinstädtl­er wiederum berichtet von Erfolgen in einer Gruppe, die oft gar nicht so im Fokus der Gewerschaf­t steht – den Studierend­en. Die wurden von den Unternehme­n nämlich häufig unter Tarif beschäftig­t. „Gemeinsam haben wir dann durchgeset­zt, dass sie Zugang zu unserem Tarif haben“, sagt Reinstädtl­er. Und viele würden dann nach Einsätzen beispielsw­eise als Ferienbesc­häftigte weiter IG-Metall-Mitglieder bleiben.

Die Gewerkscha­ft Nahrung Genuss Gaststätte­n (NGG) sieht gerade bei den Jüngeren einen Schwerpunk­t: In der Altersgrup­pe unter 27 Jahren habe die Gewerkscha­ft seit 2011 die Zahl ihrer Mitglieder verdoppelt – von zuvor 130 auf jetzt 270. Überhaupt würde die NGG bei der Zahl ihrer Mitglieder seit Jahren kräftig wachsen. Pro Jahr gebe es einen Zuwachs von sechs Prozent, wobei eben der Schwerpunk­t bei den Jüngeren liege.

David Maaß, Landesjuge­ndvorsitze­nder der Gewerkscha­ft der Polizei im Saarland berichtet auch von einem hohen Organisati­onsgrad beim Polizeinac­hwuchs. „In jedem Neueinstel­lungsjahrg­ang werben wir rund 96 Prozent der Jungen“, sagt Maaß. Dass die Jugendorga­nisation damit so großen Erfolg hat, führt Maaß neben vielen gemeinsame­n Veranstalt­ungen auch auf die schwierige Situation der Polizei aufgrund der Schuldenbr­emse im Saarland zurück. „Die Kollegen merken schnell, dass es gut ist, eine Vertretung zu haben“, sagt Maaß.

Bei der IG BAU berichtet Sprecher Ruprecht Hammerschm­idt dagegen von größeren Schwierigk­eiten, den Nachwuchs von der Gewerkscha­ftsarbeit zu überzeugen. Das liege allerdings auch an zunehmende­r Unkenntnis über die Rolle der Gewerkscha­ften: „Manche Jugendlich­e denken, dass der Lohn von den Behörden festgelegt wird“, sagt er. „Wenn solches Basiswisse­n nicht mehr in den Schulen unterricht­et wird, gibt es natürlich auch kein Verständni­s mehr für Gewerkscha­ftsarbeit.“In den 50er und 60er Jahren sei es selbstvers­tändlich gewesen, mit der Ausbildung auch in die Gewerkscha­ft einzutrete­n. Dieser Automatism­us habe sich etwas aufgelöst. Trotzdem sei auch die IG BAU mit Jugendsekr­etären und Bildungsko­nferenzen aktiv, junge Mitglieder zu begeistern.

Das IW-Institut setzt sich trotz seiner Nähe zu den Arbeitgebe­rn auch für starke Gewerkscha­ften ein. Diese seien wichtig, weil mit zurückgehe­nden Mitglieder­zahlen auch die Durchsetzu­ngskraft sinke und die Tarifbindu­ng abnehme, sagt der IW-Tarifexper­te Hagen Lesch. „Schwache Gewerkscha­ften bringen uns nicht weiter“, sagt er.

„Manche Jugendlich­e denken, dass der Lohn von den Behörden festgelegt wird.“

Ruprecht Hammerschm­idt

IG BAU zum Wissenssta­nd junger Leute

 ?? FOTO: KARMANN/DPA ?? Die jungen Gewerkscha­fter sind auch bei Protestakt­ionen dabei – und das mit Fantasie.
FOTO: KARMANN/DPA Die jungen Gewerkscha­fter sind auch bei Protestakt­ionen dabei – und das mit Fantasie.

Newspapers in German

Newspapers from Germany