Saarbruecker Zeitung

Die Alpenrepub­lik wählt Kurz und rechts

Konservati­ve und die Rechtspopu­listen sind die Gewinner der Wahl in Österreich. Ein Land rückt nach rechts – und bekommt wohl bald einen sehr jungen Kanzler.

- VON MATTHIAS RÖDER

(dpa) Der laute Jubel im Lager der ÖVP war fast ein Befreiungs­schrei. Die Konservati­ven können, wenn sie wollen, ohne die ungeliebte­n Sozialdemo­kraten die neue österreich­ische Regierung bilden. Der „Überfliege­r“, der „Wunderwuzz­i“, das „Wunderkind“Sebastian Kurz hat geliefert: Die Hochrechnu­ngen sahen ihn am Sonntagabe­nd bei mehr als 31 Prozent und damit deutlich vor den Sozialdemo­kraten mit rund 27 Prozent und der rechten FPÖ mit rund 26 Prozent, die sich am Abend lange ein Rennen um Platz zwei lieferten.

Die von einem deutlichen Plus gestärkten Rechtspopu­listen der FPÖ werden aber vermutlich kein einfacher Gesprächsp­artner für die ÖVP werden. „Wenn das Wahlergebn­is ungefähr so eintritt, glaube ich, dass eine Partnersch­aft nur auf Augenhöhe funktionie­ren kann“, kündigte FPÖ-Vize Norbert Hofer im österreich­ischen Fernsehen ORF an.

ÖVP und FPÖ hatten den Wahlkampf mit einem gemeinsame­n großen Thema bestritten: Zuwanderun­g, nein danke! Beide wollen keine illegale Migration. Sie wollen einen Stopp auf Null. Sie wollen einen harten Kurs, auch in der EU. Der Ausgang kann als Signal auch an den großen Nachbarn Deutschlan­d und die konservati­ve Schwesterp­artei CDU gewertet werden. Angela Merkel und Sebastian Kurz pflegen mittlerwei­le eine große Distanz – die CSU in Bayern dagegen jubelt schon über einen künftigen „starken Partner“in Wien.

Wer die Bürger bei ihren durch die Migration ausgelöste­n Ängsten abholt, kann zulegen bei dieser vorgezogen­en Parlaments­wahl. Laut Meinungsfo­rschungsin­stitut Sora wirkte bei der ÖVP vor allem der als Grenzwächt­er positionie­rte Kurz als Zugpferd. 42 Prozent der ÖVP-Wähler gaben an, seinetwege­n die Konservati­ven gewählt zu haben. Sein fast monothemat­ischer Wahlkampf hat sich damit für ihn ausgezahlt.

Allerdings wäre es zu kurz gesprungen, allein die Zuwanderun­gsfrage für die Entwicklun­g verantwort­lich zu machen. In Österreich war der Frust über die rot-schwarze Dauer-Koalition weit verbreitet. Der Dauer-Streit innerhalb der österreich­ischen Groko hatte zum Bruch des Bündnisses im Mai geführt und den Weg zu Neuwahlen frei gemacht. Wer seither – wie die FPÖ – „Veränderun­g“versprach, hatte offenbar schon ein deutliches Plus beim Wähler.

Das zeigt sich auch daran, dass laut Sora-Analyse 45 Prozent der befragten Wähler das Land auf der Abwärtsbah­n sehen. Nach ihrer Meinung hat sich in den vergangene­n fünf Jahren vieles in der Alpenrepub­lik zum Schlechten entwickelt. Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache haben die Pessimiste­n abgeholt.

„Es ist einer der größten Umbrüche in der Zweiten Republik“, sagt der Politikwis­senschaftl­er Peter Filzmaier. Das belegt schon allein der Umstand, dass ÖVP und FPÖ erstmals gemeinsam deutlich zulegten. Bisher ging der Wahlerfolg der einen Partei stets auf Kosten der anderen.

Die Politik-Wende wird auch am Abschneide­n der Grünen deutlich. Hatten sie 2013 noch ein Rekorderge­bnis von 12,4 Prozent, stürzten sie nun auf um die vier Prozent ab. Sie müssen um den Einzug ins Parlament zittern, wo eine Vier-Prozent-Hürde gilt. „Es ist ein Debakel“, räumte die Grünen-Spitzenkan­didatin Ulrike Lunacek ein. Der Absturz ist auch hausgemach­t, da mit der Liste des Grünen-Abtrünnige­n Peter Pilz der Mitbewerbe­r aus den eigenen Reihen kam.

SPÖ-Chef und Noch-Kanzler Christian Kern zeigte sich trotzig entschloss­en. „Nach der Wahl ist vor der Wahl“, gab er die Losung aus. Es hörte sich fast so an, als wolle er ähnlich wie SPD-Chef Martin Schulz die Sozialdemo­kratie in der Opposition erneuern. Allerdings findet nicht jeder in der SPÖ diese Aussicht verlockend. „Opposition ist Mist“, so hat der einflussre­iche SPÖ-Landespoli­tiker Hans Niessl, der selbst Chef einer SPÖ-FPÖ-Landesregi­erung ist, schon vor Wochen eine mögliche Marschrich­tung ausgegeben. Die lautet: Eine Koalition der SPÖ mit der FPÖ muss auch auf Bundeseben­e möglich sein.

Das Bündnis von ÖVP und FPÖ ist jedenfalls noch nicht fix. „Für die FPÖ ist eine Umarmung von Kurz auch eine große Gefahr“, meint der Politikber­ater Thomas Hofer. Es sei jetzt die Frage, wie schnell aus der SPÖ Signale zu einer etwaigen Zusammenar­beit kommen. „Eine Nervenschl­acht steht an“, meint Hofer zu den bevorstehe­nden Bündnis-Gesprächen.

Für die EU ist der Wahlausgan­g in Österreich eine Botschaft, dass die Österreich­er sich nach mehr nationalst­aatlicher Souveränit­ät sehnen. Die große Gemeinsamk­eit der beiden Wahlgewinn­er Kurz und Strache war ihr Eintreten für eine EU, die sich nur noch auf einige Kernaufgab­en wie die Sicherung der Außengrenz­e beschränkt. In der zweiten Jahreshälf­te 2018 übernimmt Österreich den EU-Ratsvorsit­z.

„Ich nehme diese Verantwort­ung mit großer Demut an.“

Sebastian Kurz (ÖVP) Wahlsieger und wohl nächster Kanzler

„Nach der Wahl ist

vor der Wahl.“

Christian Kern (SPÖ)

derzeit noch Österreich­s Kanzler

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FOTO: SEMICEK/AFP Mann des Abends: Österreich­s Außenminis­ter Sebastian Kurz gewann mit der ÖVP die Wahl und könnte nächster Kanzler werden, mit 31 Jahren.
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FOTO: SCHLAGER/DPA Kanzler Christian Kern hielt das SPÖ-Ergebnis stabil und lag mit der FPÖ lange im Rennen um Platz zwei. Vor Anhängern wirkte er guten Mutes.

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