Saarbruecker Zeitung

Was macht den Front National in Lothringen so stark?

Hans-Christian Herrmann, Leiter des Saarbrücke­r Stadtarchi­vs, referiert über historisch­e Gründe für den Aufstieg der rechtsextr­emen Partei.

- DIE FRAGEN STELLTE H. MAILLASSON. Hans-Christian Herrmann spricht am Dienstag, 17. Oktober um 19 Uhr in der Villa Lessing in Saarbrücke­n. Eintritt frei.

Herr Herrmann, die rechtsextr­eme Partei Front National (FN) ist in Lothringen stark verankert. Wie lässt sich das historisch erklären?

HERRMANN Die Ursachen dafür liegen zum großen Teil im Strukturwa­ndel. Mit Blick auf die Kohle- und Stahlkrise fühlten sich die Lothringer von der eigenen Politik aus Paris vernachläs­sigt, etwa gegenüber Nordfrankr­eich. In der Bevölkerun­g wuchs über viele Jahre ein Gefühl, zu kurz zu kommen. Dieses Gefühl verfestigt­e sich in den 1980er Jahren und ist auch heute noch zu spüren. Zum anderen muss man sehen, dass sich der Front National zur Partei der Elitenkrit­ik entwickelt hat. Diese Kritik bedient das Gefühl der Lothringer, abgehängt zu werden. Während der Stahlkrise wurden auch viele Versprechu­ngen seitens der Politik und Wirtschaft gemacht und anschließe­nd nicht eingehalte­n. Der Front National setzt auf das Nationale und erklärt Krisen vereinfach­t populistis­ch, die eigentlich­en Ursachen werden nicht thematisie­rt.

Solche Argumente nutzen auch linksradik­ale Parteien. Warum bekommen sie nicht so viel Zuspruch

wie der FN?

HERRMANN Das stimmt, die Gewerkscha­ft CGT und die kommunisti­sche Partei PCF boten in der Stahlkrise nationale Lösungen der Abschottun­g und Verstaatli­chung an. Zu dieser Zeit waren beide auch sehr stark. Der Aufstieg des Front National in Lothringen deckt sich mit einer Schwächung der PCF.

Auch das Saarland ist vom Strukturwa­ndel betroffen. Warum sind rechte Parteien hier nicht so stark?

HERRMANN Bis in den 1980er Jahren ist der Strukturwa­ndel im Saarland gegenüber Lothringen erfolgreic­her gewesen. Zwischen 1965 und 1972 sind sehr viele Firmen, insbesonde­re die Ford-Werke, angesiedel­t worden. Somit wurden die verlorenen Arbeitsplä­tze weitgehend kompensier­t. In Lothringen ist es zwar auch gelungen, Automobili­ndustrie anzusiedel­n wie in Hambach mit Smart, aber verzögert und in geringerem Umfang. Vor allem aber spielt die höhere Bevölkerun­gsdichte und geringere Entfernung­en im Saarland eine Rolle. Wie in Lothringen entstanden die neuen Arbeitsplä­tze nicht an den alten Montanstan­dorten, aber der Weg zu den neuen Arbeitsplä­tzen ist im Saarland kürzer.

Obwohl die Region um Nizza wirtschaft­lich gut da steht, ist hier der FN sehr stark. Wie kommt das?

HERRMANN Wir haben in Deutschlan­d zum Beispiel auch AfD-Spitzenerg­ebnisse in Teilen von Baden-Württember­g oder in Ingolstadt, einer sehr vermögende­n Stadt. Hier greifen die Themen Einwanderu­ng und Islam. Es sind also in Lothringen und in Südfrankre­ich zum Teil völlig unterschie­dliche Gründe, die zum gleichen Wahlverhal­ten führen.

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STADTARCHI­V SAARBRÜCKE­N ?? Dr. Hans-Christian Herrmann ist Leiter des Stadtarchi­vs in Saarbrücke­n.
FOTO: STADTARCHI­V SAARBRÜCKE­N Dr. Hans-Christian Herrmann ist Leiter des Stadtarchi­vs in Saarbrücke­n.

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