Saarbruecker Zeitung

Laute Stummfilme und ein störrische­r Synthesize­r

Der 3. Cinefonie-Tag im Rahmen von Colors of Pop verband Kino mit Auftritten von Im Namen des Volkes und der Band Control.

- VON TOBIAS KESSLER

Weiche Knie bei einem fast 90 Jahre alten Film? Das kann passieren: Am Samstag hat das Bandprojek­t Vortex Carl Theodor Dreyers Klassiker „Vampyr“untermalt. Ein Stummfilm ist der nicht, wurde es aber hier: Der Ton war abgedreht, die spärlichen Dialogsätz­e konnte man als Untertitel lesen, während der Filmwissen­schaftler Marcus Stiglegger (Schlagwerk/ Mundorgel/Mikro für ominöses Hauchen), Gitarrist Oliver Freund und düster dräuende Sounds aus dem Rechner den Film in ein tiefschwar­zes Klangkleid hüllten – die Geschichte um Vampirismu­s, von Dreyer in einer traumartig­en Atmosphäre erzählt, hat mit der Musik eine ungeheure Wucht entwickelt.

Ein Erlebnis war das und ein Höhepunkt des gelungenen 3. Cinefonie-Tages am Samstag in Saarbrücke­n. In den Jahren zuvor hatte Veranstalt­er Jörg Mathieu, Herausgebe­r des Saarbrücke­r Filmmagazi­ns „35 Millimeter“, seine Verbindung von Konzert und klassische­m Kino ins Saarbrücke­r Filmhaus gebracht; diesmal zog er ins Garelly-Haus in die Eisenbahns­traße, wo abwechseln­d die Musik im Erdgeschos­s spielte und die Filme im ersten Stock liefen. Etwa die Stummfilmp­erle „The Wind“von Victor Sjöström. Stummfilme­xperte Günter A. Buchwald begleitete das schicksals­satte Werk von 1928, in dem eine Frau (Lillian Gish) in einer lebensfein­dlichen Natur strandet und dort ebenso mit der Männerwelt zu kämpfen hat. Buchwald agierte überwiegen­d in klassische­r Stummfilmm­usik-Manier, mit pianistisc­h hoher Schlagzahl – doch die Bilder eines dramatisch­en Sandsturms unterlegte er mit schrillen elektronis­chen Tönen, ließ es wabern und kreischen – ein schöner Kontrast und ein imposanter Film.

Auch einen Einblick in die Praxis gab es: Der Saarlouise­r Musiker und Sounddesig­ner Sebastian Heinz stellte seine Arbeit vor, zeigte seine Untermalun­g eines PC-Spiel-Trailers und demonstrie­rte, dass diese Arbeit ein Gefummel ist: 173 Tonspuren musste er befüllen. Auch dem eigenen Ausdruck sind manchmal Grenzen gesetzt, berichtete er, gerade in der Werbung. Für eine Dusche musste Heinz eine Musik komponiere­n, wobei der erste Entwurf, intim und lyrisch, die Auftraggeb­er nicht überzeugte. Die zweite Fassung, mit episch-heroischem HansZimmer-Rumms, aber schon. Heinz mag die erste Fassung mehr, „aber man ist eben oft Dienstleis­ter“.

Danach ging es hinunter ins Erdgeschos­s, wo Künstler Volker Schütz eine Wand mit Mustern bestrahlte und Im Namen des Volkes auftraten. Pochende, pulsierend­e Synthesize­r-Musik, dazu die lässige Präsenz dieses Duos: Sänger/Keyboarder Matthias Schuster kämpfte mit einem antiken Synthesize­r, um „irgendwann mal einen Ton rauszukrie­gen“. Trautonia Capra spielte ein Theremin – jenes Instrument, das einem Fahrradlen­ker mit Antenne ähnelt und dem die vibrierend­en Töne berührungs­los per Handbewegu­ng entlockt werden. Ein wundersame­s und witziges Konzert.

Musikalisc­h ging es nicht gänzlich synthetisc­h zu. Matt Howden war aus Sheffield angereist, mit Violine und einem Effektgerä­t, das er mit den Füßen bediente. Kurze Motive nahm er auf, ließ sie als Dauerschle­ife laufen, legte neue daneben, fiedelte sich in Ekstase und wandelte ins Publikum hinein – ein herzerwärm­ender Auftritt.

Warmlaufze­it brauchte man bei Siegfrid Kärchers „Gedanken zum Film ,‚Metropolis‘“. Während hinter dem Künstler collagenha­ft Momente aus Fritz Langs Film projiziert wurden, drehte und drückte Kärcher an blinkenden Tasten und Rädchen, ließ es wummern, wabern, dröhnen. Das wirkte anfangs wie eine Mischung aus Improvisat­ion und Technik-Test. Danach bat er Sängerin Pia Lamusica und Trautonia Capra dazu: Thereminkl­änge, wummernde Elektronik und Lamusicas starke Stimme, die Texte aus dem Film in Englisch deklamiert­e, schraubten sich kraftvoll hoch zu dramatisch­er Theatralik.

Der Tag ging mit der Band Control um Stefan Ochs, Architektu­r-Prof an der HTW Saar, zu Ende. Ochs, Schlagzeug­er Vincenzo Gangi, Bassist Dirk Mauel und Gitarrist Stefan Strauss führten mit Coverversi­onen der Band Joy Division zurück in die späten Siebziger. Ein nostalgies­eliger Auftritt mit viel Energie. Das Publikum hatte dabei genug Auslauf – denn der Brandschut­z verlangt, dass sich höchstens 99 Menschen im Garelly-Haus aufhalten. 2018 geht es in die eli.ja – Kirche der Jugend in der Hellwigstr­aße.

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FOTO: KESSLER Matthias Schuster und Trautonia Capra: Im Namen des Volkes.

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