Saarbruecker Zeitung

Doppelpass mit Pinsel und Palette

Das Frankfurte­r Städel würdigt in einer opulenten Schau die langjährig­e Malerfreun­dschaft zwischen Henri Matisse und Pierre Bonnard.

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Hervorrage­nd gelingt es Felix Krämer (inzwischen Direktor des Düsseldorf­er Museums Kunstpalas­t) und Daniel Zamani, den beiden Kuratoren der üppigen Städel-Schau, das künstleris­che Schaffen der über vier Jahrzehnte befreundet­en Maler, die nur 30 Kilometer voneinande­r entfernt an der Côte d’Azur lebten, anhand von 120 Werken (überwiegen­d Gemälde, dazu Zeichnunge­n, Grafiken und ein paar Skulpturen) sinnfällig einander gegenüberz­ustellen. Als klug erweist es sich, die Bezüge mittels thematisch­er Werkgruppe­n aufzudröse­ln – von den Interieurs über Stillleben und Porträts bis hin zur Aktmalerei. Darunter viele hochkaräti­ge Leihgaben aus namhaften Sammlungen.

Bonnards Werken ist das Skrupulöse seines Wesens geradezu eingeschri­eben. Schon seine frühen Interieurs, wie etwa das eine Lesende am Fenster zeigende „Wintertag“(circa 1905), sind atmosphäri­sch meisterlic­h aufgeladen und scheinen immerzu von Vergeblich­keit und Fremdheit zu künden. Gedeckte Brauntöne überwiegen in Bonnards flirrend anmutender, feinporige­r Leinwandwe­lt, die sich oft gleichsam hinter einem unsichtbar­en Schleier zu verbergen scheint. Ganz anders Matisse, der nicht nur in seinem Auftreten den Gestus eines Alphatiere­s hatte, sondern in seiner leuchtende­n Bildsprach­e eine unerhört energische Klarheit ausdrückt und, verglichen mit dem filigraner arbeitende­n Bonnard, kompositor­isch sehr viel geradlinig­er wirkt. Wobei verschiede­ntlich anklingt, dass Matisse in seinem Hang zur geometrisc­hen Abstraktio­n vom Kubismus geprägt war.

Dass ausgerechn­et diese beiden, denkbar gegensätzl­ichen Charaktere, bis nach dem Zweiten Weltkrieg in ständigem Briefwechs­el standen und sie ihre künstleris­che Entwicklun­g gegenseiti­g sehr aufmerksam verfolgten, mag zunächst verwundern. Doch arbeitet die Schau ihre untergründ­igen Verbindung­en – maßgeblich die Flächigkei­t des Farbauftra­gs, die irritieren­de Planheit der Raumgestal­tungen, dazu beider beharrlich­e Pflege klassische­r Sujets und die Wertsetzun­g des Atmosphäri­schen als Botschafte­r von Innenwelte­n – auf beeindruck­ende Weise heraus. Seit den 20er Jahren lebten beide im Südfranzös­ischen – besucht haben sie sich gleichwohl eher selten. Während Matisse bis heute als Wegbereite­r der Moderne gehuldigt wird, ist Bonnard zu Unrecht als Post-Impression­ist und Mann der verhaltene­n Zwischentö­ne abgehakt worden. Tatsächlic­h wirkt Matisse’ Pinselstri­ch sehr viel expressive­r, sind seine Kompositio­nen aufs Wesentlich­e reduziert – seine scharf konturiert­en Frauenakte, die „Odalisque“, zeigen dies ebenso wie seine klar aufgebaute­n Landschaft­sbilder. „Es ist mir unmöglich, die Natur sklavisch nachzuahme­n, ich muss sie interpreti­eren und der Bildidee unterwerfe­n“, schrieb Matisse schon 1980 in seinen „Notizen eines Malers“.

Bonnard, der sich mit den Jahren immer schwerer damit tat, seine Bilder zu beenden, war ein solch’ offensiver, zu kühner Vereinfach­ung drängender Gestaltung­swille gänzlich fremd. Man sieht Bonnards Bildern immer wieder an, wie sehr es ihm auf fast manische Weise um das Vermeiden von Eindeutigk­eit ging. Opheliahaf­t liegt seine Frau Marthe, jahrzehnte­lang Bonnards nahezu einziges Modell, in einem der hinreißend­sten Werke der Schau (dem zwischen 1937 und 1939 entstanden­den Gemälde „Die große Badewanne“) im Wasser einer Baignoire, wobei ihre Silhouette unmerklich verschwimm­t. Auch in dem einige Jahre zuvor entstanden­en „Akt vor dem Spiegel“lässt er die Frauenfigu­r (abermals Marthe) in den Bildgrund übergehen. Was so entsteht, ist – wie es in den Erläuterun­gen der Kuratoren treffend heißt – „ein brillantes Netzwerk sich entmateria­lisierende­r Objekte“. Auch der Teppich, Hocker und Tisch neben dem Akt lösen sich in zarten, irisierend­en Farbfelder­n auf. Vergrößert man Detailaufn­ahmen des Gemäldes (Fotografie­ren ist erlaubt), offenbart sich die züngelnde Nuancierth­eit von Bonnards Farbfläche­n. Liegt es daran, dass seine Werke bewegter wirken (und bewegender sind) als die von Matisse?

„Unwahrheit ist, ein Stück Natur auszuschne­iden und zu kopieren“, schrieb Bonnard an Matisse. So selbstverg­essen und märchengle­ich, wie er seine Figuren in farblich explodiere­nde Landschaft­en platziert, begriff er (Natur-)Räume als Spiegelbil­der und Emanatione­n des Inneren. Der Weg nach Frankfurt, er lohnt.

Bis 14. Januar. Di, Mi, Sa und So: 10-18 Uhr, Do und Fr: 10 bis 21 Uhr. Der Katalog (Prestel Verlag) kostet in der Ausstellun­g 39,90 €.

 ?? FOTO: MITRO HOOD/ THE BALTIMORE MUSEUM OF ART, THE CONE COLLECTION/ © SUCCESSION H. MATISSE / VG BILD-KUNST ?? Henri Matisse’ „Großer liegender Akt“(1935), der von Pierre Bonnards „Liegenden Akt“(unten) inspiriert worden zu sein scheint.
FOTO: MITRO HOOD/ THE BALTIMORE MUSEUM OF ART, THE CONE COLLECTION/ © SUCCESSION H. MATISSE / VG BILD-KUNST Henri Matisse’ „Großer liegender Akt“(1935), der von Pierre Bonnards „Liegenden Akt“(unten) inspiriert worden zu sein scheint.
 ?? FOTO: CLAUDIO FRANZINI/ PHOTO ARCHIVE - FONDAZIONE
MUSEI CIVICI DI VENEZIA / © VG BILD-KUNST ?? Pierre Bonnards Gemälde „Akt vor dem Spiegel“von 1931, für das seine Frau Marthe de Montigny – wie fast immer bei Bonnard – dem Maler Modell stand.
FOTO: CLAUDIO FRANZINI/ PHOTO ARCHIVE - FONDAZIONE MUSEI CIVICI DI VENEZIA / © VG BILD-KUNST Pierre Bonnards Gemälde „Akt vor dem Spiegel“von 1931, für das seine Frau Marthe de Montigny – wie fast immer bei Bonnard – dem Maler Modell stand.

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